Lena Schilling, mit – im Vordergrund von der Seite zu sehen – Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer und Vizekanzler und Parteichef Werner Kogler.
Lena Schilling mit führenden Köpfen der Grünen bei der ersten Pressekonferenz, nachdem die Vorwürfe gegen die EU-Spitzenkandidatin im STANDARD publik wurden.
Foto: Heribert Corn

Auf Hitzewellen folgen Überschwemmungen und das CO2-Klimaziel von 1,5 Prozent wird in circa zwei Jahren fallen, wenn es uns nicht gelingt, mehr Sofortmaßnahmen zum Klimaschutz, der ja eigentlich Menschenschutz ist, umzusetzen. Derzeit erleben wir umweltpolitisch auf EU-Ebene einen Backlash. Ambitionierte Ziele werden mit Unterstützung der rechten und konservativen Parteien zurückgenommen. Statt den Ausstieg aus dem Verbrennermotor zu forcieren, möchten ÖVP und FPÖ gemeinsam diese Errungenschaft wieder rückgängig machen. Und auch die SPÖ zeigt, gut sichtbar in Wien beim Festhalten am Lobautunnel, dass sie eine ökologische Wende in der Verkehrspolitik nicht wirklich will.

Natürlich geht es nicht nur um Ökopolitik in der EU. Es geht auch um eine stärkere Sozialpolitik. Und es geht um die Frage, wie weiter im Ukrainekrieg, wie weiter mit unserer Neutralität und einer gemeinsamen Rüstungspolitik in der EU. Aber trotz all dieser Probleme wird es eine starke ökologische Stimme im EU-Parlament nur geben, wenn die Grünen stärker werden.

Grüne Personalpolitik

Die notwendige Diskussion für eine starke Ökopolitik in der EU, um dann auch ein starkes grünes Ergebnis bei der EU-Wahl zu erreichen, wird derzeit leider überlagert von der Debatte über mögliches privates Fehlverhalten der Grünen-Spitzenkandidatin Lena Schilling. Diese Debatte wäre gar nicht notwendig geworden, wenn die Grünen, statt immer beim EU-Wahlkampf parteifremde Personen mit Mandaten zu belohnen, den eigenen Nachwuchs pflegen und EU-begeisterte grüne Politikerinnen aufbauen und nach Brüssel schicken würden.

Eine kluge, vorausschauende grüne Personalpolitik hätte die 2019 frisch eingestiegene und gewählte Sarah Wiener so aufgebaut, dass sie 2024 eine strahlende und überzeugende Spitzenkandidatin gewesen wäre, oder hätte, nachdem dies anscheinend nicht gelang, den erfahrenen Europapolitiker Thomas Waitz an erster Stelle vorgeschlagen. Schilling als politisch parteiunabhängiger Jungstar auf Platz zwei wäre völlig ausreichend gewesen.

Immer falsch

Auch die Zuspitzung des Wahlkampfs auf die Spitzenperson ist bei den Grünen immer falsch, da die Grünen den höchsten Anteil an Programmwählenden haben. Bei der letzten Nationalratswahl wählten uns die meisten Menschen der Programmatik wegen. Werner Kogler war nur für vier Prozent der Wählerinnen und Wähler der Wahlgrund. Daher müssen die Grünen jetzt zurück zu den grünen Inhalten.

Damit dies möglich ist, braucht es eine Beruhigung der aufgeheizten Situation, ein Insichgehen der handelnden Personen und eine anständige Lösung. Dass die Verteidigungsstrategie Schillings und der Grünen falsch war, ist offensichtlich. Statt um Entschuldigung zu bitten, wurde gemauert und völlig unangemessen und unnötig von "Gefurze" gesprochen. Auch wenn Kogler sich dafür bereits entschuldigt hat, bleibt dieser Ausraster unverständlich.

"Wenn Schilling in sich geht und ehrlich die Situation betrachtet, wird sie merken, dass es gut wäre, wenn sie sich jetzt eine politische Auszeit nimmt."

Nachdem die Grünen unlängst noch "Der Anstand würde Grüne wählen" plakatiert hatten, ist es hoch an der Zeit, diese ungute Situation anständig zu beenden. Wenn Schilling in sich geht und ehrlich die Situation betrachtet, wird sie merken, dass es gut wäre, wenn sie sich jetzt eine politische Auszeit nimmt. Eine Auszeit, um den eingetretenen Schaden für die grüne Bewegung zu minimieren und auch um Zeit zu haben, sich zu sammeln, um dann zu entscheiden, was am besten für sie ist und wie sie wieder Vertrauen zurückgewinnen kann.

Und auch die Medien sollten in sich gehen und darüber nachdenken, inwieweit Persönliches politisch relevant ist und ob die Fokussierung vor der Wahl auf persönliche statt auf politische Inhalte nicht die Politikverdrossenheit herbeischreibt, die dann bitter beklagt wird. (Franz Klug, 24.5.2024)