Dass auch Grüne und FPÖ beim Postenpoker mitspielen, schwächt die Vitalität der Republik, sagt der Staats- und Verwaltungsrechtler Gerhard Strejcek im Gastkommentar.

Das Höchstgericht auf der Freyung darf kein machiavellistischer Spielball sein.
Foto: APA / Herbert Neubauer

In den letzten Wochen war viel von Postenschacher und Parteibuchwirtschaft die Rede, leider auch in der Justiz. Sogar Bewerbungen, die nur zwecks Verhinderung einer "unerwünschten" Kandidatin provoziert wurden, traten in den Fokus des entsetzten Lesers. Die unverblümte Aufteilung von Jobs in einem "Sideletter" erbost all jene, die sich bisher mit guten Qualifikationen beworben haben, aber erfahren mussten, dass die Posten längst informell für andere reserviert waren. Aus reinen Formgründen inserierte die Regierung in der Wiener Zeitung per Ausschreibung Richterposten, die sie schon längst besetzt hatte. In der Verwaltung ist diese Praxis ohnehin längst üblich. Bis in die Finanzämter oberösterreichischer Bezirke reichte der lange Arm des Parteibuchnepotismus.

Polit-Beamte auf Zeit

ÖVP-Politiker, die einstmals hohe Ämter einnahmen, haben diese Praxis verteidigt. Jede Regierung suche eben die ihr genehmen Kandidatinnen und Kandidaten für hohe Ämter aus. Eine Partei müssen den ihr gewogenen Anhängerinnen und Anhängern auch etwas bieten können. Dieses Argument hat nur dort etwas für sich, wo es um die leitende Umsetzung politischer Ziele geht, also allenfalls an der Spitze der Ministerialverwaltung, nicht in der Justiz.

Loyale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Administration zu beschäftigen mag auch in anderen Ländern üblich sein. Daher wäre die Einführung "politischer Beamter auf Zeit" vorstellbar, um ein Regierungsprogramm umzusetzen. Zeitweilig eingesetzte Leitungsorgane könnten womöglich seriöser agieren als machtbesessene Kabinettsmitglieder. Aber das, was Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol offenbar mit der "Normalität" der Postenabsprachen meinte, gilt nicht für Richter- und staatsnahe Managementposten. Hier dürfen nur Qualifikation und Integrität zählen. Die Justiz im Allgemeinen und die Vorschläge für die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) im Besonderen dürfen nicht weiterhin Domäne der Parteien sein.

Nie "unpolitisch"

Historisch betrachtet ist das Höchstgericht auf der Freyung schon lange ein machiavellistischer Spielball. Für den VfGH bestanden seit jeher ungeschriebene "Parteienvereinbarungen", daher war dieses Höchstgericht nie "unpolitisch" in Besetzungsfragen. Stets haben die Parteien versucht, ihnen genehme Kandidatinnen und Kandidaten vorzuschlagen, häufig aber erfüllten diese die Erwartungen – zum Glück – nicht. Ein Verfassungsgericht hat eine eigene Dynamik, unabhängige Richterinnen und Richter gewinnen im Amt an Selbstsicherheit und agieren meist (nur) ihrem Gewissen und Wissen verpflichtet.

Aber zu leugnen, dass die Parteien hier seit jeher mitmischen, mutet seltsam an. Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner sagte vor kurzem auf die ausdrückliche Frage, wie es ihre Partei mit "Vereinbarungen" halte (ZiB 2, 10. 2. 2022), mit treuherzigem Augenaufschlag: "Ich kenne keine Vereinbarungen." Diese Aussage war vielleicht eine gut gemeinte Absichtserklärung, aber sie wirkte auf den geschulten Österreicher heuchlerisch. Wenn damit die Praxis der einstigen (und der künftigen?) SPÖ-ÖVP-Koalitionen gemeint war, dann war dies ein dramatisches Zeichen von Unkenntnis oder Nichtwissen. Denn obwohl in der Verfassung nichts von "Parteivorschlägen" steht, sondern nur von Vorschlägen a) der Bundesregierung, b) des Nationalrats oder c) des Bundesrats (Ernennungsorgan ist für alle der Bundespräsident), haben seit Anbeginn unseres republikanischen Staates und dann wieder intensiv ab 1945 politische Parteien bei der Besetzung der VfGH-Mitglieder ungeniert mitgemischt. Die Proporzregel wurde sogar in der SPÖ-Alleinregierung ab 1971 beachtet, was man als Zeichen eines längst verblichenen Anstands, aber nicht als Vorbild sehen kann. Zwar gab es keine "Sideletter" mit verbrieften Namen, aber einen mündlichen Austausch über erwünschte Personen und eine ungeschriebene Proporzregel, und auch das war eine "Vereinbarung" im juristischen Sinn.

"Wer sich nicht in die Patronage einlässt, gewinnt an Ansehen und Unabhängigkeit."

Den Grünen war im Lichte der Parteistatuten und der (früher) gelebten Basisdemokratie zuzutrauen, mit dieser Praxis zu brechen, aber sie haben sich ebenso wie die FPÖ in der Koalition mit Türkis ihren Happen am Postenpoker zusichern lassen. Qualifikation und Unabhängigkeit der Justiz waren offenbar nicht auf der Prioritätenliste, was letztlich auch die zu allen Vorgängen schweigende Justizministerin in Argumentationsnotstand bringt. Dass auch die dreimal mitregierende FPÖ nicht den Mut besaß, Unabhängige für die von ihr reklamierten Justizämter zu protegieren, sondern nach der ersten Ernennung 2003 (die mit Herbert Haller einen anerkannten Experten bis zu dessen Emeritierung 2010 in den VfGH brachte) in der Kurz-Strache-Ära zwei parteiaffine Juristen in den VfGH reklamierte, könnte sich längerfristig und atmosphärisch als Fehler erweisen.

Das ist nämlich ein Faktum, das übersehen wird: Wer sich nicht in die Patronage einlässt, gewinnt an Ansehen und Unabhängigkeit, aber jede Partei tappte bisher in dieselbe Machtfalle. Im Zweifel nehmen alle lieber doch ihre in der eigenen Wolle "gefärbten" Leute, so die unheilvolle Devise, welche die Vitalität unserer Republik schwächt. (Gerhard Strejcek, 15.2.2022)