Heide Schmidt , Gründerin des Liberalen Forums, analysiert in ihrem Gastkommentar, wie sehr die österreichische Politik unter den bekanntgewordenen Skandalen leidet. Sie fordert die Bürgerinnen und Bürger auf, sich zu engagieren.

Zwischen dem 27. April (Unabhängigkeitstag) und dem 8. Mai (Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa) über die österreichische Demokratie zu reflektieren macht befangen. Welch unglaubliche Aufbauleistung wurde da – trotz manch dunkler Punkte – geschafft!

Die Ziele der Rechtsstaatlichkeit, des sozialen Ausgleichs, der Chancengerechtigkeit, der Medienfreiheit, des gleichen Zugangs zu Bildung und Beruf, der Unabhängigkeit der Justiz – allesamt Kennziffern einer Demokratie – wurden zwar von den beiden dominanten Parteien mit unterschiedlichen Vorstellungen verfolgt, aber das Wissen um den Wert der Demokratie war jener Kitt, der das Land nach vorn gebracht hat. Dieses Wissen scheint abhandenzukommen. Und auch die Bürgerinnen und Bürger rufen zwar nach Demokratie und Mitbestimmung, aber sie kümmern sich kaum um sie. Mancher Geduldsfaden scheint erst zu reißen, wenn der Ton zu rüde und die Uhr zu protzig wird.

Ex-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef: Sebastian Kurz bei seinem Rücktritt.
Foto: Heribert Corn

Pauschale Angriffe auf die Justiz vonseiten einiger Regierungsmitglieder einschließlich Kanzler, besonders skrupelloser Postenschacher, Verdacht auf mehrere Korruptionsfälle sowie missbräuchliche Verwendung von Steuermitteln, das Ibiza-Video, schlicht der Verlust jeglichen Anstands bei einer Gruppe politischer Akteurinnen und Akteure: Was macht das mit unserer Demokratie? Wie resistent gegen eine derartige Untergrabung ist sie? Wie viel Vertrauensverlust in die Politik hält eine Demokratie aus? Und nicht zuletzt, was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Österreich?

Insel der Unseligen

Fragen über Fragen, und wir stellen sie uns nicht auf einer Insel der Unseligen, sondern als Nachbarland autokratischer Staaten in einer Atmosphäre der Zunahme von Populismus sowie Aggressivität in der Bevölkerung, ansteigender sozialer Ungleichheit und Verwerfungen in der Arbeitswelt.

Die Globalisierung, seit Jahrzehnten von den meisten als Wohlstandsmehrerin gesehen, zeigt nun ihre problematische Kehrseite. Und vor allem: Es ist zu befürchten, dass die Weltordnung seit dem 24. Februar 2022 eine andere wird. Bibliotheken füllen sich mit Büchern über die Krise der Demokratie, zwei Harvard-Professoren konstatieren in "Wie Demokratien sterben", dass der demokratische Rückschritt heute an der Wahlurne beginne, dass die meisten demokratischen Zusammenbrüche inzwischen durch gewählte Regierungen verursacht werden. "Illiberale Demokratie" wird zum Terminus technicus, obwohl es sich dabei um eine Autokratie als Vorstufe zur Diktatur handelt. Nur nebenbei sei daran erinnert, dass der Führer einer solchen, Viktor Orbán, seinerzeit der erste Staatsgast des neu gewählten Kanzlers Sebastian Kurz war. (Die protokollarische Usance gibt dem ersten Staatsgast besondere Bedeutung.)

Versuchte Reinwaschung

Also zum österreichischen Zustand der Demokratie: Die Exzesse, die durch das Ibiza-Video und die Chat-Affäre aufgedeckt wurden, erzählen von einem Demokratieverständnis der dort Agierenden, das die Hülle benützt, um Wesensfremdes hineinzustopfen. Tatsächlich geht es um Machtmissbrauch, von dem wir noch nicht wissen, was sich davon darüber hinaus auch noch als strafbar erweisen wird. Auch das ist österreichisch: Während der Qualitätsjournalismus inzwischen den Anspruch auf politische Kultur unabhängig vom Strafrecht formuliert, versucht die Verteidigung der Betroffenen bis hin zum Nationalratspräsidenten eine Reinwaschung und Banalisierung des Fehlverhaltens, solange keine Strafbarkeit erwiesen ist. Mit der darauf folgenden Reaktion so mancher Bürgerinnen und Bürger, "Sind eh alle gleich", einem Satz, der keinem Realitätscheck standhält, wird das offenkundige Fehlverhalten verharmlost und in Kauf genommen. Derartiges ist geeignet, die Demokratie zu ruinieren. Da verbünden sich Täterinnen und Täter mit Zuschauerinnen und Zuschauern, Letztere vielleicht, ohne es zu begreifen. Es geht aber auch anders:

Bis 9. Mai liegt noch ein Volksbegehren auf, das eine Reihe von konkreten Vorschlägen macht, wie der Rechtsstaat gestärkt und der Korruption entgegengewirkt werden kann. Wie wir erfahren haben, orientieren sich in der Regierung viele gern an Umfragen. Ein Volksbegehren kann eine ähnliche Wirkung entfalten. Beteiligen wir uns an der Demokratie. Davon lebt sie!! (Heide Schmidt, 8.5.2022)