In der Werkshalle von Hygiene Austria wurden nicht nur Masken produziert. Hier passierten Dinge, für die sich mittlerweile die Staatsanwaltschaft interessiert.

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Die Affäre begann mit T. J. Der gebürtige Tschetschene wurde im Jänner vergangenen Jahres umfassend überwacht. Ermittler lasen seine Nachrichten, belauschten seine Telefongespräche, sogar von einer Einheit der Cobra wurde J. observiert. Man hätte den Eindruck gewinnen können, dass der Mann damals eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesellschaft dargestellt habe. Doch J. arbeitete lediglich für den heimischen Maskenhersteller Hygiene Austria. Und diesem Unternehmen war das Bundeskriminalamt auf der Spur.

Denn J. war dabei beobachtet worden, wie er öfter mit einer Fahrgemeinschaft aus mutmaßlich illegalen Arbeitern ins Maskenwerk im niederösterreichischen Wiener Neudorf fuhr. Die ausgeforschten Personen bezogen, wie J., lediglich Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung und hatten offiziell keinen Job.

Für die Ermittler verdichtete sich damals der "dringende Verdacht", dass es sich nicht um Einzelfälle handelte. Vielmehr könnte die Maskenproduktion von Hygiene Austria zu einem großen Teil durch organisierte Schwarzarbeit erfolgt sein. Aus abgehörten Telefonaten ergaben sich zudem Hinweise, dass Masken aus China umetikettiert und als "made in Austria" verkauft worden sein dürften.

Auf frischer Tat ertappt

Wenige Wochen später kommt es zur ersten Razzia bei Hygiene Austria. Als die Kriminalbeamten die Werkshalle betreten, sollen sie die Belegschaft tatsächlich auf frischer Tat beim Etikettenschwindel ertappt haben. Den Ermittlern offenbart sich auch ein Netz aus zwielichtigen Leiharbeitsfirmen, von denen zwei nur zum Schein existierten und mittlerweile vier in Konkurs gingen. Laut der Arbeiterkammer soll fast eine halbe Million Euro an Gehältern nicht ausbezahlt worden sein.

Als Hygiene Austria im vergangenen September dann auf Drängen der Europäischen Staatsanwaltschaft bereits zum zweiten Mal gefilzt wird, lauten die nächsten schweren Vorwürfe: Steuerhinterziehung und Zollbetrug.

Dabei hat alles so schön begonnen. Palmers und der Faserhersteller Lenzing erschienen wie weiße Ritter, die zu Beginn der Pandemie die Republik mit ihrer neu gegründeten gemeinsamen Firma Hygiene Austria vor den Verwerfungen am Weltmarkt retten.

Damals, als das Coronavirus im März 2020 endgültig in Europa angekommen war, versuchten Regierungen fast aller Länder verzweifelt, Schutzmaterial zu besorgen. Man überbot einander, schnappte einander Ware vor der Nase weg oder verweigerte den Weitertransport an die Zieldestination.

Die Fassade bröckelt

Dass Traditionshersteller das Problem nicht nur lösen, sondern auch die heimische Wirtschaft ankurbeln wollten, war politisch ein Jackpot. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) besuchte die Produktionsstätte und schwärmte, "dass es uns gelungen ist, die Produktion hochwertiger Schutzmasken im großen Stil nach Niederösterreich zu holen".

Damals, bevor die Skandale ruchbar wurden, wollte jeder ein Stück vom Hygiene-Austria-Kuchen haben. "Mit eigenen Mitarbeitern im Behördenverfahren und einem eigens dafür abgestellten Expertenteam zur Begleitung der Projektabwicklung" habe man geholfen, sagte Mikl-Leitner.

Der damalige Kanzler Sebastian Kurz schaute vorbei, ebenso Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (beide ÖVP). Auch das staatliche Krisen- und Katastrophenschutzmanagement kümmerte sich um Hygiene Austria und machte in Sitzungen auf die Problematik fehlender Produktionsmaschinen aufmerksam.

Doch schon nach wenigen Monaten begann die schöne Fassade zu bröckeln. Hygiene Austria wollte an Staatsaufträge kommen, etwa bei der Aktion 65 plus, als die Regierung Schutzmasken an ältere Personen verteilen wollte. Das sollte nicht klappen, weil die Bundesbeschaffungsagentur das Angebot für zu teuer erachtete.

Mit der laufenden Produktion kam Hygiene Austria bald auch nicht mehr hinterher. Der Betrieb konnte die stetig steigende Nachfrage nach FFP2-Masken wohl schon im Herbst 2020 nicht mehr stemmen. Palmers orderte viele Millionen Masken aus China und mischte sie unter die eigene Ware.

Da war das Bundeskriminalamt den Methoden von Hygiene Austria schon auf die Schliche gekommen; im März 2021 folgte die erste Razzia. Plötzlich wollte niemand mehr etwas mit Hygiene Austria zu tun haben. Mikl-Leitner sprach von einer "Frechheit der Sonderklasse", sollte betrogen worden sein. Das Land Niederösterreich habe auch rechtliche Schritte eingeleitet, um sich Geld zurückzuholen, heißt es aus St. Pölten.

"Pff, ein steifer Junge"

Die tatsächlichen und vermuteten Verbindungen in die Politik wurden dann natürlich umso mehr zum Thema. Lisa Wieser, Ehefrau des Palmers-Vorstandsvorsitzenden Luca Wieser, war bis zu dessen Rücktritt Büroleiterin von Altkanzler Sebastian Kurz, dem sie erst vor kurzem auf ihrem Instagram-Account als "größten Politiker aller Zeiten" huldigte.

Vor dem kleinen Untersuchungsausschuss zu Corona-Beschaffungen hatte Lucas Bruder Tino Wieser noch gemeint, die politischen Verbindungen seiner Schwägerin hätten Hygiene Austria eher geschadet. Mit Kurz habe er höchstens zehn Sätze gewechselt und sich gedacht "Pff, ein steifer Junge, trinkt nichts, macht keinen Schmäh!", erzählte Wieser, der für einige Monate mit an der Spitze von Hygiene Austria gestanden hatte.

Auch den aktuellen Kanzler Karl Nehammer streiften indirekt Nachwehen des Skandals: So behaupteten die FPÖ und zahlreiche Menschen auf Facebook und Twitter, dass seine Ehefrau Katharina Nehammer die PR-Arbeit für Hygiene Austria gemacht habe. Dagegen wehrte sich Nehammer juristisch, etliche Userinnen und User mussten zahlen.

Der Rosenkrieg

Nach der Maskenaffäre zerbrach aber nicht nur das Hygiene-Austria-Versprechen einer österreichischen Eigenproduktion, sondern auch die Firmenpartnerschaft. Man trennte sich in einem Rosenkrieg. Lenzing warf Palmers vor, wichtige Unterlagen zur Aufklärung der Causa nicht herauszurücken, und trat die eigenen Anteile an Hygiene Austria ab. Auch auf der Geschäftsführungsebene gab es ein reges Sesselrücken. Auf Tino Wieser folgten gleich drei Nachfolger an der Spitze, die den Betrieb wieder aufrichten sollten.

Eine Antwort auf die Frage, wie viele Masken aus China man als "made in Austria" in Umlauf gebracht habe, blieb Hygiene Austria lange schuldig. Erst heuer im Jänner erklärte der Betrieb, dass es rund acht Millionen Stück gewesen sein sollen. Den gesamten Bericht über die "forensische Untersuchung" der Unternehmensberatung Ernst & Young hält Hygiene Austria aber unter Verschluss. Auch wer mit der weiterhin laufenden Produktion beliefert, ist ein gut gehütetes Geheimnis.

Im Visier der Ermittlungen

Auch der Inhalt der zweiten Razzia im September des Vorjahres blieb lange geheim. Erst aktuelle STANDARD-Recherchen legten nun offen, dass die Ermittler damals einem Verdacht nach mutmaßlicher Steuerhinterziehung nachgingen. Die Europäische Staatsanwaltschaft glaubt, dass Palmers für Hygiene Austria in "großem Ausmaß" Steuern hinterzogen haben könnte. Beim Kauf von mehr als 37 Millionen FFP2-Masken aus China soll der Konzern die Zollabgaben mit "künstlich niedrig gehaltenen chinesischen Ausgangsrechnungen" um fast 700.000 Euro gedrückt haben.

Im Visier der Ermittlungen stehen die Gebrüder Wieser und der Leiter von Palmers Hongkong, Jackson L. Palmers bestreitet alle Vorwürfe gegen die Genannten. Alle Lieferungen seien korrekt verzollt worden, und es gebe auch keine verfälschten Belege, erklärt der Konzern. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Innerhalb von nur einem Jahr wurde aus Hygiene Austria, dem "weißen Ritter" wider die Corona-Pandemie, ein skandalumwitterter Geächteter. Die Zukunft des Unternehmens liegt in den Händen von Korruptionsjägern, Zollfahndern und Justiz. Die restlose Aufklärung der Affären wird wohl noch einige Zeit dauern. Für harte Zeiten hat Hygiene Austria wenigstens Masken mit dem passenden Spruch im Sortiment: "Keep smiling". (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 20.8.2022)