Für Ex-Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny reicht die Abfederung von Inflationseffekten nicht aus. Es brauche auch andere Maßnahmen, schreibt er in seinem Gastkommentar.

Was immer die österreichische Regierung tut, sie kann den dramatischen Anstieg der Inflation seit Jahresanfang nicht rückgängig machen. Die Teuerung beruht vor allem in Europa zu einem wesentlichen Teil auf dem internationalen Anstieg der Preise für fossile Energie, spezielle Vormaterialien und zunehmend auch für Agrarprodukte. Dies führt notwendigerweise zu Wohlstandsverlusten im Inland, gegen die binnenwirtschaftliche Maßnahmen unmittelbar nicht helfen. Das bedeutet aber nicht, dass die Wirtschaft- und Gesellschaftspolitik keine Handlungsspielräume hat, um den schlimmsten Folgen entgegenzuwirken. Sie muss diesen nur nutzen.

Die Preise steigen so stark wie seit langem nicht. Was kann man dagegen tun? Wie soll man eingreifen?
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In Österreich besteht die dominante Strategie der Politik darin, in Preis- und damit Inflationsentwicklungen nicht direkt einzugreifen, sondern durch Förderungsmaßnahmen "soziale Härten" abzufedern. Das hat zu einer oft verwirrenden Vielfalt von Unterstützungspaketen geführt. Dem Grunde nach hat dieser Ansatz zweifellos seine Berechtigung, aber er leidet darunter, dass all diese Maßnahmen angesichts vieler administrativer und rechtlicher Probleme viel Zeit für die Umsetzung benötigen. Die Menschen spüren die Teuerung hingegen jetzt. Dazu kommt, dass viel Geld an Haushalte geht, die es nicht unbedingt benötigen. Eine "soziale Feinsteuerung" für bedürftige Familien ist technisch besonders schwer umzusetzen, da wir in Österreich eine Individualbesteuerung und einen oft überschießenden Datenschutz haben.

Wenn man sich das Regierungspaket anschaut, sieht man allerdings, dass von den Kosten her die bei weitem größte Einzelposition die Abschaffung der stillen (oder kalten) Progression darstellt. Dies ist eher als eine Form einer Steuerreform zu sehen, aber ohne Gegenfinanzierung – und eine, die höheren Einkommensgruppen den absolut größten Entlastungseffekt bietet.

Sozial begrenzte Abfederung

Deshalb sollte die österreichische Wirtschaftspolitik neben der sozial begrenzten Abfederung von Inflationseffekten auch zumindest einige Maßnahmen setzen, die direkt die Inflationsdynamik bremsen – und damit auch die Inflationserwartungen. Dies ist insbesondere dort möglich, wo im Preis einzelner Güter auch eine staatliche Komponente wie Steuern und Abgaben enthalten ist. Ein solch "direkter" Ansatz wäre wichtig, um eine drohende Lohn-Preis-Spirale schon im Ansatz zu verhindern. Denn bei den Lohnverhandlungen werden die Arbeitnehmervertreter genau auf die Inflationszahlen schauen, begrenzte und wenig transparente Transferzahlungen aber kaum in Betracht ziehen. Für Österreich ergeben sich daher aus meiner Sicht vor allem drei Bereiche:

· Erstens: ein Aussetzen der Mehrwertsteuer für lebensnotwendige Güter, speziell Grundnahrungsmittel.

· Zweitens: ein Aussetzen der administrativen Erhöhung der Kategorie- und Richtwertmieten.

· Und drittens: eine Verschiebung der geplanten Einführung der CO2-Abgabe bis zu einem Zeitpunkt, wo die mittelfristige Inflationsrate etwa bei unter drei Prozent liegt. Die für Oktober geplante Auszahlung des Klimabonus und Antiteuerungsbonus kann davon unberührt bleiben, da es sich ja jedenfalls um eine Teuerungskompensation handeln soll.

Preiskämpfe mit Sonderangeboten

Für alle genannten Maßnahmen gilt, dass sie nicht als Ersatz, sondern als befristete Ergänzung bestehender inflationspolitischer Ansätze zu sehen sind. Gegenüber diesen – schon von anderen vorgebrachten – Vorschlägen wurde bereits eine Reihe von Argumenten erhoben: Es fehle die "soziale Treffsicherheit". Dies gilt nicht, wenn etwa die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gesenkt wird. Hier würden eindeutig Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen überproportional entlastet – und das unbürokratisch und mit sofortiger Wirkung. Es sei fraglich, ob "eine Steuerentlastung bei den Verbrauchern tatsächlich ankomme". Dies ist ein relevanter Einwand. Gerade im Lebensmittelsektor gibt es jedoch Preiskämpfe mit Sonderangeboten, die entsprechend hohe Preissensibilität lässt daher gerade bei Gütern des täglichen Bedarfs eine Weitergabe von Steuersenkungen erwarten. Sicherlich wären aber eine entsprechende publizistische Vorbereitung und auch laufende Kontrolle sinnvoll.

Zusatzkosten vermeiden

Und letztlich heißt es: "Die steuerpolitischen Maßnahmen seien ein klimapolitisch falsches Signal." Dies gilt eindeutig nicht in Bezug auf Lebensmittel und Mieten. Hinsichtlich der CO2-Abgabe ist der Einwand aus theoretischer Sicht relevant, praktisch aber irreführend. Denn die Abgabe wurde ja zu einer Zeit konzipiert, als die Inflationsentwicklung noch wesentlich geringer war. Das heißt, die im politischen Konsens getroffene Lenkungswirkung zur Verringerung von CO2-Emissionen ist durch die Marktpreisentwicklungen schon übererfüllt. Jetzt geht es nicht darum, auf die Lenkungswirkung von Preisen zu verzichten, sondern darum, problematische Zusatzkosten zu vermeiden.

Wenn die Regierung zusätzlich zu ihren Entlastungen all diese Schritte setzt, würde die Inflationsrate tendenziell zurückgehen, so wie es auch in Deutschland geschehen ist. Eine rasche Rückkehr zur Preisstabilität wäre auch dann nicht zu erwarten. Dafür müsste erst der Krieg in der Ukraine beendet werden und die Weltmarktpreise für Öl und Gas wieder deutlich sinken. (Ewald Nowotny, 31.8.2022)