Als das Südbahnhotel 1882 am Semmering aufsperrte, war es das einzige seiner Art an der damals höchsten Gebirgsbahn der Welt. Mehr noch: Zu dieser Zeit zählte das von der Südbahn AG erdachte Megaprojekt für Entdecker stadtnaher Wildnis zu den führenden Luxushotels des Kontinents. Kann man sich heute kaum vorstellen, so wie er da vor sich hingammelt, dieser Koloss auf der sonnigen "Meraner Seite" des Semmerings.
Ganzjährig bespielt
Bis 2025 will Investor Christian Zeller alten Fantasien auf die Sprünge helfen – mit der Wiederöffnung des mondänen Hotels. Noch ist es aber nicht so weit. Noch kommen jene, die für die Patina des alten Hauses Partei ergreifen, auf ihre Kosten. Derzeit kann man das alte Haus auch im Winter im Rahmen einer Führung erkunden, eine doppelte Bereicherung: Erstens, weil Stefan Wollmann von der "Südbahnhotel Kultur", die diese ehrwürdigen Hallen nun ganzjährig bespielt, auch besondere Qualitäten als Geschichtenerzähler bei einer Führung beweist. Und zweitens, weil an Tagen mit Veranstaltungen das Café Südbahnhotel geöffnet hat. Dafür erwacht die alte Eingangshalle kurz zum Leben und wird immerhin so beheizt, dass kleine warme Speisen nicht gleich wieder kalt werden. Zudem sorgt die historische Atmosphäre dafür, dass einem warm wird ums Herz.
Erzählungen von Eleganz
Der einstündige Rundgang durch das 140 Jahre alte Haus ist äußerst kurzweilig. Herzuzeigen gibt es neben weitgehend unveränderten Zimmern auch märchenhafte Ball- und Prunksäle sowie ein ausgeschlachtetes Hallenbad, das bei Veranstaltungen nunmehr als Bühne fungiert. Stefan Wollmann schafft es, die leblosen Hüllen an der Welterbebahn mit Erzählungen von vergangener Eleganz zu füllen.
Die eine oder andere schicksalhafte Geschichte, die sich hier zutrug, wird bei der Führung so geschickt angeteasert, dass man Lust auf einen Nachschlag bekommt. Kriegt man eh im Rahmen der 90-minütigen Touren, die mehr von der "feinen Gesellschaft" und ihren Affären wie Skandalen am Semmering erzählen.
Bis das Südbahnhotel als rundumerneuerte Luxusherberge aufersteht, bleibt es noch diese begehbare Zeitmaschine – und der gesamte Semmering eine vom Massentourismus überraschend isolierte Oase. (Sascha Aumüller, 10.2.2023)