Was bedeutet "links", was "rechts"? Ist Ersteres ein "Markenzeichen" für humanitäre politische Haltungen?, fragt Bildungswissenschafter und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner in seinem Gastkommentar.

Alles "Linke"? Umweltaktivistin Greta Thunberg, Papst Franziskus, SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler.
Fotos: AP / M. Probst, EPA / F. Frustaci, Regine Hendrich

Dass Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die wohl rechteste FPÖ-Landesgruppe in Regierungsverantwortung gehievt hat, beschert auch den extrem Rechten in Österreich einen Höhepunkt an "Salonfähigkeit". Viele sehen darin – auch wegen der selbst immer weiter nach rechts rückenden ÖVP – eine Gefahr für eine liberale Demokratie.

Die Grünen – gezähmt und machtverliebt

Umgekehrt scheint die "Linke" abzutauchen: Die einst als linkeste Partei geltenden Grünen wirken durch die Koalition mit der ÖVP so gezähmt und machtverliebt, dass von "links" nicht mehr viel übrig ist. Die ehemals als (relativ) links geltende Sozialdemokratie schielt – vor allem in Person des Herausforderers von SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil – auch nach rechts, und zwar hauptsächlich in Form einer verschärften Migrationspolitik.

Eine harte, restriktive Migrationspolitik scheint heute Kennzeichen rechter Politik und angeblich erfolgreicher Wahlbewegungen zu sein. Nun hat die SPÖ eher ungewollt einen Bewerber um die Parteispitze hervorgebracht, der beweist, dass man auch mit einer humanitären Migrationspolitik Wahlen gewinnen kann: Andreas Babler, Bürgermeister der Stadt Traiskirchen, wo wegen des erst blauen, dann türkisen Innenministeriums viel zu viele Flüchtende in einem Erstaufnahmezentrum ausharren müssen. Babler hat gezeigt, dass eine Pro-Migration-Politik auf Akzeptanz stößt, wenn sie auch auf die sozial Schwachen der "eigenen" Bevölkerung zugeht. Dies wiederum scheint heute ein Kennzeichen linker Politik zu sein.

Alter "Klassenkampf"

Das wirft die Frage auf, was "rechts" und "links" noch bedeuten. Die "Rechte" und ihre Extreme sind europaweit neben hartherziger, feindseliger Haltung gegenüber Migrantinnen und Migranten recht klar auch für rassistische "Einzelfälle", die restriktive Behandlung sozial Schwacher, rückschrittliches Denken in Geschlechter- und Familienfragen oder Parteinahme für die oberen Zehntausend bekannt.

Wer Letzteres kritisiert, gilt als Linker mit veralteten "Klassenkampf"-Allüren. Der von Rechten verwendete Begriff "links" ist im Unterschied zu "rechts" aber eher diffus und ohne deutliches Identitätsmerkmal. Links ist offenbar alles, was die herrschende Ordnung stört (mit Ausnahme rechter Anti-System-Schwurbler). Alle die also – trotz vieler Reicher, die das für sich selbst fordern –, die für eine Vermögens- oder Reichensteuer eintreten oder radikalere ökologische Maßnahmen zum Schutz des Globus befürworten – alle die sind irgendwie Linke.

Rechte Atteste

Während sich rechte Strömungen wehleidig gegen die Kritik von Kulturschaffenden oder Medien ("Jagdgesellschaft") wehren, kennen sie selbst bei ausgrenzender Etikettierung von "Linken" oder gar "Linkslinken" keine Zurückhaltung. FPÖ-Chef und "Links-Diagnostik-Weltmeister" Herbert Kickl zählte einst ja sogar den Mitte-rechts-Kanzler Sebastian Kurz zu den Linken, weil er mit den Grünen koalierte. Und nach der Bestellung von Alma Zadić zur Justizministerin warf er dem Bundespräsidenten "Spielräume für gemeingefährliche linkslinke Experimente" vor. Und der strauchelnde Heinz-Christian Strache attestierte seinem durch Ibiza zum Widersacher mutierten Norbert Hofer, er hätte bei seinem Rausschmiss aus der FPÖ "die Geschäfte der Linken" erledigt. Auch manche deutsche Christdemokraten ließen sich nicht lumpen und witterten in der Migrationspolitik Angela Merkels ("Wir schaffen das!") linke Tendenzen.

Linkes Bekenntnis

Ist "links" – im Gegensatz zu "rechts" – also ein "Markenzeichen" für humanitäre politische Haltungen? Man gewinnt den Eindruck, als wäre ein Engagement für die Randständigen, für sozial Schwache, für Migrantinnen und Migranten selbstredend links. Während das Bekenntnis zu marxistischen Theorien oder zur Mao-Bibel heute unbedeutend ist, wird der Einsatz gegen gesellschaftliche Ungleichverteilung und das Größerwerden der Schere zwischen Arm und Reich auf einmal zu einem klar linken Bekenntnis.

Und wie stehen dazu jene Rechten, die sich auf "christliche Grundsätze" (sechs Mal im Kurz’schen ÖVP-Parteiprogramm) beziehen? Peinlicherweise ist ja der Einsatz für Arme schon im Neuen Testament und zuvor auch bei den Propheten des Alten Testaments nachzulesen, und zwar in aller Deutlichkeit! Sind also viele gläubige, karitative Menschen, Befreiungstheologinnen und -theologen bis hin zu herausragend sozial engagierten Päpsten wie Johannes XXIII. oder Franziskus I. also eigentlich auch Linke?

Auch die Umweltaktivistinnen und -aktivisten der Letzten Generation werden von rechts als "linke Terroristen" beurteilt. Und die Diffamierung Greta Thunbergs als Verfechterin einer "Zöpferl-Diktatur" durch Hofer meinte wohl ebenso eine Links-Diktatur. Wer also gegen die zerstörerische Kraft des Kapitalismus auftritt, zu wenig an "die Wirtschaft", ihre Profite und mehr an deren Folgeschäden denkt, ist heute ein/e Linke/r?

Würdevolle Erneuerung

Rechte wären dann folglich jene, denen sozial Schwache letztlich egal sind und die die Interessen der Reichen vertreten? Und die soziales Unrecht in Wahrheit nicht stört? Die dem Turbokapitalismus, seinen ruinösen Folgen wie der Ausbeutung der ärmsten Länder der Welt oder dem Klimawandel nicht wirklich etwas entgegenhalten wollen?

Da kann man nur hoffen, dass die SPÖ die Signale hört und der "linke" Kandidat und andere, die ob des mannigfachen gesellschaftlichen Unrechts ihr "Herz am linken Fleck" tragen, eine Chance zur würdevollen Erneuerung des traditionell linken Images der Partei bekommen.(Josef Christian Aigner, 5.4.2023)