Bücherträume von Schimek und Kuhlmann: Gastlandstand mit Landschaftselementen.

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Belletristik-Preis-Gewinner Dinçer Güçyeter in Leipzig.

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Seit Donnerstag ist die Buchmesse offen. Für die Architekten des Gastlandstandes hingegen ging es im Vorfeld ans Eingemachte: Was anfangen mit den 400 Quadratmetern? Sie sollen ja nicht nur Bücher präsentieren. Eine poetische Idee musste her: eine winterliche Bergwanderung! Verwitterte Stadel! Felsen in der Wintersonne! Die Weißtöne des Bodens? Könnten erddurchsetzter Schnee sein!

So klingt es, wenn die in Graz und Wien ansässigen Planer Heimo Schimek und Dörte Kuhlmann von ihrem in Grau und Weiß gehaltenen Entwurf für den Zentralort der heimischen Literaturleistungsschau in Halle 4 erzählen. Er bietet vor einer Lesungsbühne zickzackenden Bänken, hinter ihr Regalen für die 64 Verlage in der Gastlandselektion Platz, ein Kondomautomat mit Liebesgedichten fehlt ebenso wenig wie das traditionelle Café. Darüber hat Marko Lipuš als Befragung von Nation die in der Bundeshymne besungenen Landschaftselemente auf Banner gedruckt.

Künstliche Maserung

Land der Berge, am Strome, der Äcker, der Dome also – aber auch der faulen Kompromisse. Schmerzlich wird einem das hier bewusst. Nicht nur ist der inklusive Aufbau und Gebühren 500.000 Euro teure Pavillon ein pragmatisch Nutzraum statt Esprit generierendes Kasterlwerk. Das "Holz"? Ist Kunststofffurnier. Aus Brandschutzgründen und weil echtes Holz unbezahlbar wäre, wird erklärt. Echtholzfurnier könnte indes splittern. Kunststoff sei Standard für solche Projekte, und streiche man mit der Hand darüber, spüre man sogar Maserung! Ja, man fühlt die Rillen. Und fragt sich doch neidisch: Wie hat Frankreich angesichts solcher Hürden den Echtholzgastlandstand in Frankfurt 2017 zusammengesteckt?

Österreichs Auftritt als gesamtkulturelle Visitenkarte? Nicht für Architektur und Handwerk. Das ist nicht bloß ästhetisch schade. Es wird auch dem literarischen Furor und Wagemut heimischer Autoren nicht gerecht. Mit viel Humor erklärte Ana Marwan in einer der ersten Veranstaltungen, wie sie, als sie 2005 nach Österreich kam und das Land zusammen mit Slowenien EU-Vorsitzland wurde, "nur aus dem Grund, dass ich Slowenisch konnte, im Ministerium einen Job bekommen habe". Nach Josef Haslingers furios mit Niederösterreichs Regierungskoalition abrechnender Rede schlug Doron Rabinovici zur Standeröffnung in dieselbe Kerbe. Gegen solche "feiste Selbstgerechtigkeit" trete das Motto "mea ois wia mia" auf.

Preise ohne Österreich

Die Leipziger Buchpreise gingen an Regina Scher für ihr Sachbuch Bittere Brunnen, eine Biografie der jüdischen Kommunistin (1896–1990) Hertha Gordon-Walcher, an Johanna Schwering für ihre Übersetzung von Aurora Venturinis Die Cousinen und an Dinçer Güçyeter für den Roman Unser Deutschlandmärchen. Der ebenfalls nominierte Österreicher Clemens J. Setz ging damit leer aus. Güçyeters Debüt handelt von den schwierigen Erfahrungen, die seine Eltern machten, als sie Ende der 1960er als Gastarbeiter aus der Westtürkei nach Deutschland übersiedelten. (Michael Wurmitzer aus Leipzig, 27.4.2023)