Dinçer Güçyeter erzählt in seinem Leipziger Siegertitel von Gastarbeitern in Deutschland.

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Dürfen Österreichs Germanisten jetzt in Frühpension gehen? Weil die Deutschen und Schweizer dank des Gastlandauftritts auf der Leipziger Buchmesser nun verstanden haben, wie gut österreichische Literatur ist? Das fragten sich Klaus Kastberger und Daniela Strigl im Rahmen des Gastspiels ihrer Literaturshow Roboter mit Senf in der ausverkauften Schaubühne Lindenfels. Veranstaltungen seien oft zu 50 Prozent überbucht, beschreibt Gustav Soucek (HVB) das Interesse am heimischen Programmexport. Tatsächlich füllten einen Gutteil des Saals Österreicher. Kastberger: Trete man eben "für den einen Deutschen im Publikum" auf.

Ein paar mehr waren es schon. Viele wissen bereits, wie gut die österreichische Literatur ist. Immerhin stellt Österreich in Leipzig und Frankfurt, so HVB-Präsident Benedikt Föger, nach Nationen gerechnet stets die meisten Gastaussteller. Ob sich das auch heuer lohnt? In ersten Reaktionen vom Freitag zeigen sich heimische Verlage zufrieden sowohl mit dem Auftritt als auch mit Branchengesprächen auf der Messe. Für freundliche Nasenlöcher sorgten auch die Zusagen des Kulturministeriums bezüglich der Sonderförderung nach der Insolvenz des Auslieferers Medienlogistik genau zum Messeauftakt: Von 20 Verlagen, die angesucht hatten, bekommen sie elf. Die maximalen 150.000 Euro kann etwa Brandstätter verbuchen.

Sieg für Gesellschaftskritik

Etwas weniger, nämlich 15.000 Euro, erhält Dinçer Güçyeter als Gewinner des Leipziger Buchpreises in der Kategorie Belletristik. Die Entscheidung für Güçyeter ist mehrfach sympathisch. Erstens wird mit Mikrotext erneut ein kleiner, mutiger Verlag ausgezeichnet (2021 und 2022 gewann der Grazer Verlag Droschl). Zweitens konfrontiert Unser Deutschlandmärchen das Land mit dessen Gastarbeitergeschichte. 1979 in Nordrhein-Westfalen geboren, erzählt der Autor sie angelehnt an seine Familie: abwesende Väter, arbeitende Mütter, Anschlusssuchen, Fremdenfeindlichkeit. Eigentlich Lyriker und Theatermacher, fährt Güçyeter in Teilzeit Gabelstapler, um seinen 2012 gegründeten Verlag Elif zu finanzieren. Erst 2022 hat er den Peter-Huchel-Preis erhalten. "Dieser Roman ist eine Verehrung von allen Menschen, die trotzdem immer noch Hoffnung haben und etwas bewegen wollen", sagte Güçyeter nach der Zuerkennung.

Und ebenso ein Auftrag wie die zahlreichen politkritischen Wortmeldungen der heimischen Autoren in Leipzig. Dass fern von zu Hause alles sehr angenehm sei, hatte Bernhard Fetz, der Leiter des Österreichischen Literaturarchivs, im Lauf der Woche Thomas Bernhard zitiert. Fern von zu Hause ist aber eben kein Dauerzustand. Die Messe läuft noch bis Sonntag. (Michael Wurmitzer aus Leipzig, 28.4.2023)