Exakt siebeneinhalb Minuten. So lange dauert es, bis der Elefant im Raum angesprochen wird – und die spröde Parteiveranstaltung plötzlich interessant wird. Die Bühne im Stage 3, einer schmucklosen Eventlocation in Wien-Landstraße, erstrahlt in Lila, der Farbe der Frauenbewegung. "Brot und Rosen" ist in riesigen Lettern auf die Rückwand der Halle projiziert. Davor steht Pamela Rendi-Wagner in Jeans, T-Shirt, Blazer – ihrer neuen Uniform.

Sie stützt sich über das Stehpult: "Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um persönliche Worte zu sagen. Es wäre auch komisch, wenn ich es nicht täte." Die Parteikrise hat sie überraschend selbstsicher werden lassen.

Die Jahreskonferenz der Wiener SPÖ-Frauen ist eine Veranstaltung, die außerhalb der Partei in der Regel kaum jemanden interessiert. Diesmal ist das anders. Es ist Rendi-Wagners Gelegenheit, im internen Rennen um die Bundesparteispitze wahlzukämpfen, ohne es so nennen zu müssen. Die 51-Jährige verzichtet demonstrativ auf eine Werbetour in eigener Sache. Ihre bisherige Arbeit sei Eigenwerbung genug. Wirklich?

Pamela Rendi-Wagner gibt sich auf der Wiener Frauenkonferenz siegessicher. Bürgermeister Michael Ludwig leistet Beifall und gibt Rückendeckung.
Foto: Heribert Corn

"Einige Männer", sagt sie mit fester Stimme, hätten ihr "Loyalität und Solidarität ganz gezielt verweigert". Ihr, der gewählten Vorsitzenden, der ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokratie, beklagt Rendi-Wagner.

Der Elefant im Raum: Hans Peter Doskozil, Burgendlands Landeschef, der seit März offiziell am Sessel Rendi-Wagners sägt. Womöglich meint sie auch Andreas Babler, den unerwarteten Dritten im Rennen um den Parteivorsitz.

Rendi-Wagner lauschen ihre wichtigsten Unterstützerinnen und Unterstützer: Die Frauenorganisation, das rote Wien, einige Gewerkschafterinnen. Ganz vorn – in der ersten Reihe – sitzt Bürgermeister Michael Ludwig und klatscht.

Die Mitgliederbefragung läuft bis 10. Mai. Niemand weiß, wie es ausgeht. Oder zeichnen sich schon Favoriten ab? Wer steht wofür?

Rendi-Wagner repräsentiert die SPÖ, wie sie ist – und aus Sicht ihrer Anhänger bleiben soll. Ihre Konkurrenten fordern Veränderung, Klarheit, einen anderen Kurs. Weniger Wien, mehr Basis. Vor diesem 1. Mai 2023, dem wichtigsten Feiertag der SPÖ, steht die Partei vor einer Richtungsentscheidung. Die kommenden Wochen werden prägen, wofür Österreichs Sozialdemokratie der Zukunft steht.

Babler

Wenn Andreas Babler sein Bild der Partei zeichnet, dann ist das keine retuschierte Kopie, sondern eine ganz frische Skizze. Babler spricht im "wir". Das ist aber kein Majestätsplural, mit "wir" meint er die Mitglieder, die Basis – und sich. Das kommt bei seinen Anhängern an. Es ist eine Version der SPÖ, die sich viele Aktivistinnen und Mitglieder wünschen. Eine Partei von unten, eine Partei, in der nicht nur die Granden in der Löwelstraße in ihren "Hinterzimmern" entscheiden; eine "Mitmachpartei", wie Babler sagt.

Er steht vor dem Presseclub Concordia in der Wiener City und raucht eine Zigarette. Eigentlich habe er vor rund 15 Jahren aufgehört. Manchmal greift er jetzt wieder zum Tschick, filterlos. Abgenommen habe er auch. Die vergangenen Wochen waren fordernd: 30 Events hat er bei seiner Tour durch Österreich bisher besucht. 5000 Menschen will er dabei getroffen haben. Er ist der Außenseiter im Match um den Chefsessel: der Bürgermeister aus Traiskirchen, der marxistische Rebell vom linken Rand. Jetzt ist Halbzeit. Er muss anzah’n.

Andreas Babler ist der Außenseiter im Rennen um den Parteivorsitz. Die Aufholjagd des Traiskirchner Bürgermeister begann am 30. März, als er 2.000 Unterstützungserklärungen einreichte.
Foto: Heribert Corn

So richtig begonnen hat die Aufholjagd am 30. März. Es ist der Tag bevor Babler mehr als 2000 Unterstützungserklärungen für seine Kandidatur zum Vorsitz einreicht. Sein Antritt löste Euphorie bei den Linken in der Parteibasis aus. Im Roten Bogen in Wien werden Unterschriften für den Niederösterreicher gesammelt. "Es hieß, man soll auch Freundinnen und Freunde überzeugen", sagt eine junge Frau, die mehrere Zettel am Eingang abgibt. Der kleine Gürtelbogen ist bis zum Rand gefüllt. Nicht alle passen hinein.

Es ist Bablers erster Auftritt in Wien. Er wirkt überwältigt. Ein Programm hat er da noch nicht. Nur Themen, die ihm wichtig sind. Seine Rede dauert rund eine Stunde. Er hält sie an diesem Abend zwei Mal. Erst im Lokal, dann vor der Tür. Menschen hätten ein Recht auf Bildung, faire Löhne, das gute Leben. Die SPÖ müsse raus aus ihrer "Bittstellerinnenmentalität". Soll heißen: nicht betteln, sich nehmen, was einem zusteht.

Vor dem Presseclub, dreieinhalb Wochen später, nimmt er einen Zug von seiner Zigarette. Natürlich sei gerade alles anstrengend, "aber es motiviert auch".

Doskozil

"Geben wir diese Partei jenen zurück, für die sie gegründet wurde", ruft Max Lercher in ein Mikrofon. Im Knittelfelder Kulturhaus kommt das an, die Stimmung ist prächtig, noch bevor Doskozil die Bühne überhaupt betritt. Die Mehrzweckhalle ist ein Ort mit Geschichte. Hier fand 2002 jener FPÖ-Parteitag statt, bei dem Jörg Haider den Rücktritt von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer orchestrierte – seither firmiert "Knittelfeld" als Synonym für den Putsch.

Nationalratsabgeordneter Max Lecher ist Wingman und Einpeitscher von Hans Peter Doskozil.
Foto: Heribert Corn

Jetzt, 2023, gibt dort ein Mann mit weißem Rauschebart und Polo den DJ. Dire Straits, Hits aus Grease, er spielt alle alten Hadern. Es ist eine Art 50-plus-Party für beherzte Sozis.

Der gebürtige Steirer Lercher war SPÖ-Bundesgeschäftsführer, bis ihn Rendi-Wagner absägte. Im parteiinternen Wahlkampf wurde er zu Doskozils Wingman, seinem entschlossensten Unterstützer und zum Einpeitscher auf Veranstaltungen. Doskozil wird mit Standing Ovations und "Bravo"-Rufen empfangen. Für den burgenländischen Landeshauptmann ist es ein Heimspiel, auswärts.

Er stellt sich wie ein Cowboy auf die Bühne – breitbeinig, breitschultrig, selbstsicher. Die Absolute im Burgenland hat ihm die letzten Zweifel genommen: Er kann, wenn er will. Jetzt braucht er nur noch die relative Mehrheit der Partei hinter sich. Er sei jemand, der spüren wolle, was in der Bevölkerung los ist, was in der Partei los ist, sagt er. Seine Stimme, die durch eine Kehlkopferkrankung immer blechern und heiser klingt, irritiert die meisten Menschen nur kurz. Wenn er länger spricht, gewöhnt man sich daran.

Der burgenländische Landeshauptmann spricht gerne und viel, Fragen aus dem Publikum beantwortet er mit Anekdoten.
Foto: Heribert Corn

Und Doskozil spricht gerne und viel. Er beantwortet Fragen aus dem Publikum mit vielen Anekdoten – über seinen Chauffeur, der früher Fliesenleger war; über die Köchinnen im Spital Oberwart, die ihm gar nicht geglaubt hatten, dass sie durch seinen Mindestlohn bald mehr Geld auf dem Konto haben werden.

Mehr Geld für harte Arbeit, das ist eines von Doskozils Lieblingsthemen. Seine Idee des gesetzlichen Mindestlohns erzürnte die Gewerkschaft. Inzwischen beteuert er, mit der Arbeitnehmerorganisation zusammenarbeiten zu wollen. Mehr noch: Ihr Ass im Ärmel zu werden. Wenn Gewerkschafter in Verhandlungen mit anderen Sozialpartnern nicht weiterkommen, sollen sie drohen können: "Wir haben da jetzt einen verrückten Burgenländer, der macht uns den Mindestlohn sonst gesetzlich." Doskozil meint: Wenn er Kanzler wäre.

Babler

Im Presseclub Concordia tritt Babler vor die Medien. Seine schwarze Jacke mit dem roten Logo des Hamburger Fußballklubs FC St. Pauli hat er gegen ein dunkles Sakko getauscht, das sonst zerzauste Haar wurde brav zur Seite gestriegelt. Auch er will Kanzler werden.

Seinen Look passt er dafür zumindest ein bisschen an die Politiker in Wien an. An seinem Revers steckt ein rotes Quadrat, ohne tiefere Bedeutung – ein Geschenk von Kärntens rotem Landeschef Peter Kaiser. Manche in seinem Team wollten Babler den Pin ausreden – der sei nicht Kanzler-like. Babler trägt ihn trotzdem.

Im Presseclub Concordia tritt Andreas Babler in Sakko vor die Medien – anstelle in FC-St.-Pauli-Jacke.
Foto: APA/Tobias Steinmaurer

Er erzählt, wie er die SPÖ als Vorsitzender einen will. Er wünsche sich eine Partei, in der alle Platz haben – von Doskozil bis Rendi-Wagner. Babler spricht dabei, wie man im Großraum Wien eben spricht. Ein "da" wird zu einem "do", ein "nein" zu einem "na" und die "Leute" zu "Leit". Das funktioniert an der roten Basis. Und es passt zu einem niederösterreichischen Bürgermeister. Würde es auch zu einem Kanzler passen?

Rendi-Wagner

Rendi-Wagner kämpft mit einem anderen Problem. Sie hat den Ruf der elitären, abgehobenen und von der Basis entfernten Parteichefin aus der Hauptstadt. Dass sie Regierung kann, hat sie 2017 in einem neunmonatigen Zwischenspiel als Gesundheitsministerin gezeigt. Ihr Style war immer: urban, ladylike mit einem Hauch Business-Touch. Sie trägt dunkle Hosenanzüge, die Haare geföhnt. Aber kommt das bei der Basis auf dem Land an?

Mit kleinen Tricks versucht Rendi-Wagner, sich aus ihrer Schublade zu ziehen: Shirt und Jeans bei der Frauenkonferenz sind nicht das einzige Signal. Nähe versucht sie in ihrer Rede mit flotten Sprüchen zu kreieren: Viele – vor allem Männer – hätten angesichts der aktuellen Situation in der Partei gefragt, wie sie das mache, erzählt Rendi-Wagner. "Wie schaffst ’n des?", äfft sie die nach.

Das kommt an. Rendi-Wagner erhält Applaus, am Schluss sogar Standing Ovations. Auf dem Weg von der Bühne strahlt sie, reißt die Arme in die Luft. Die Kameras halten alles fest.

Im lila Schweinwerferlicht legt Rendi-Wagner ihre Sicht der Dinge dar, wie es zum Führungsstreit kam: "Einige Männer" hätten ihr Solidarität und Loyalität verweigert.
Foto: Heribert Corn

Bei anderen Formaten ist die Öffentlichkeit unerwünscht. Wenn Rendi-Wagner bei den Bezirksparteien zu Gast ist, soll es keine externen Beobachter geben. Ihr Team ist sichtlich bemüht, solchen Terminen – Wahlkampfterminen? – nicht zu viel Bedeutung beizumessen. "Ein paar mehr solche Einladungen nehmen wir derzeit an", sagt eine Sprecherin demonstrativ gelassen.

Betont entspannt reagiert ihr Team auch auf eine aktuelle Schlagzeile: Ex-Kanzler Christian Kern, der Rendi-Wagner nach seinem Abgang in den roten Chefsessel hievte, unterstützt jetzt Doskozil.

Doskozil

Der burgenländische Landeshauptmann hat sich mit steirischen Funktionärinnen und Funktionären in einen kleinen Raum im Knittelfelder Kulturhaus zurückgezogen. Sie schauen sich die erste Hochrechnung der Salzburger Landtagswahl an. Draußen harren Doskozils Mitarbeiter der Dinge. Auf dem Smartphone verfolgen sie die Wahlberichterstattung.

Sie sind nervös. Gleich wird der Klubchef der Salzburger SPÖ interviewt. "Das ist jetzt wichtig", sagt eine Mitarbeiterin. Sie meint: Wichtig ist, wen er für das schlechte Abschneiden der SPÖ verantwortlich macht.

Im Knittelfelder Kulturhaus, wo 2002 Jörg Haider den Rücktritt von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer orchestrierte, wird Doskozil von seinen Fans umringt.
Foto: Heribert Corn

Es sei schwierig für die Salzburger Sozialdemokraten, analysiert der Funktionär und fügt an: bei den "Turbulenzen aus Wien". "Sehr gut", ruft die Mitarbeiterin Doskozils. "Perfekt", ein anderer.

Salzburgs SPÖ-Chef David Egger gilt als einer der ersten offenen Unterstützer Doskozils. Auch die Landespartei in Niederösterreich gilt als Doskozil-freundlich, das Burgenland sowieso. Wiens und Vorarlbergs Spitzen stehen hinter Rendi-Wagner. Die anderen Länder wollen sich nicht recht in die Karten schauen lassen.

Babler

Landeschefs hat Babler nicht auf seiner Seite. Dafür hat er unzählige Hände von Mitgliedern geschüttelt, fast genauso viele Selfies geschossen. Im Wiener Hanuschhof, einem Gemeindebau im dritten Bezirk, ist es Nacht geworden, eine Mitarbeiterin der SPÖ Landstraße hält einen Scheinwerfer in Richtung der Fotomotive. Viele wollen sich noch mit "dem Andi" abbilden lassen.

Viele wollen im Hanuschhof ein Foto mit "Andi". Als es dunkel wird, beleuchtet eine SPÖ-Mitarbeiterin die Motive mit einem Schweinwerfer.
Foto: Heribert Corn

An einem Biertisch sitzt ein älterer Herr. Er ist aus der SPÖ ausgetreten, "als die Burgenländer eine Koalition mit der FPÖ eingegangen sind", erzählt er. "Auch der aktuelle Landeshauptmann hat mit denen zusammengearbeitet." Eingetreten ist er nicht mehr, obwohl Babler ihn abholt. Denn: "Ich glaub, dass der Doskozil das Rennen machen wird."

Doskozil

Was die einen fürchten, ist die Hoffnung der anderen: "Dosko" muss gewinnen. So lautet zumindest der Wunsch in Knittelfeld. Der Burgenländer betritt das Hinterzimmer einer Pizzeria. An der Wand hängen große Spiegel und eine venezianische Maske. Vor dem Fenster wurden ein paar Holztische zusammengeschoben.

Harry Bergmann, der Bürgermeister der steirischen Stadt im Murtal, sitzt neben Doskozil. Bergmann wurde am 15. März plötzlich überregional bekannt. Doskozil hatte am Vortag den SPÖ-Gremien einen Brief übermittelt, der ein rotes Erdbeben auslöste: seine Bewerbung als Parteichef.

Es war ein relativ spontaner Konter: Rendi-Wagner wollte Doskozil in die Knie zwingen und schlug einen Sonderparteitag zur Klärung der Führungsfrage vor. Ihr Team ging davon aus, dass sich Doskozil keinem Duell mit ihr stellen werde. Aber er ist jemand, der sich aus Prinzip nicht in die Ecke drängen lässt. Doskozil gilt als mäßiger Stratege, aber gewiefter Taktiker. Er verlangte den Basisentscheid.

Pressekonferenz in der Pizzeria: Bürgermeister Harry Bergmann, der binnen weniger als 24 Stunden eine Initiative roter Amtskollegen für Doskozil organisierte, sitzt nun an dessen Seite.
Foto: Heribert Corn

In weniger als 24 Stunden organisierte Bergmann eine Initiative roter Bürgermeister für Doskozil. Jetzt sitzt er neben seinem sozialdemokratischen Heilsbringer. "Wenn du in Österreich etwas verändern willst, musst dich mit jemandem anlegen", sagt er.

Doskozil selbst spult bei dem Pressetermin seine Kernthemen herunter: Mindestlohn, Zwei-Klassen-Medizin eindämmen, pflegende Angehörige anstellen, starker Staat. Die ÖVP müsse in die Opposition. Seine Vorstellungen ließe nur eine Regierung ohne Volkspartei zu.

Später präzisiert er: Mit ihm werde es keine Koalition mit der ÖVP geben, auch die FPÖ unter Herbert Kickl schließe er aus. Seine Ansage lautet: Ampel – eine Zusammenarbeit aus SPÖ, Grünen und Neos. Doch was, wenn der Plan nicht aufgeht? Es gebe auch Jobs außerhalb der Politik, sagt Doskozil.

Rendi-Wagner

Raus aus der Politik: Das ist Rendi-Wagners Plan, sollte sie gegen Doskozil oder Babler verlieren. Doch volle Sesselreihen signalisieren volle Unterstützung. Deshalb sei dafür gesorgt worden, wird hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass die rund 50 Stühle im Saal der Wiener Bildungsakademie auch sicher besetzt sind – werktags, 13 Uhr. Alle drei Kandidaten werden dort zu ihren politischen Konzepten befragt – aber nicht gleichzeitig.

Heute ist Rendi-Wagner an der Reihe. Sie weiß, was auf sie zukommt: Die Themengebiete wurden vorab bekanntgegeben. Rendi-Wagner sitzt in einem roten Fauteuil, redet über Strom- und Gaspreisdeckel, fordert Erbschaftssteuern, plädiert für den Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung, beklagt den Personalmangel im Gesundheitswesen.

Dabei dreht sie sich immer wieder zum Publikum, stützt die Arme auf die Oberschenkel, blickt offen und freundlich in den Raum, lacht schallend. Was die SPÖ brauche? Geschlossenheit und Einigkeit, "um die Programmatik nach außen zu vertreten".

Ein älterer Herr in der Wiener Bildungsakademie bemängelt, dass Rendi-Wagner die "Oppositionsgoschn" fehle, ein anderer lobt ihren Auftritt als "rhetorische Sternstunde".
Foto: Heribert Corn

Die Seniorin in senfgelbem Pullover bekommt das nicht mehr mit. Sie ist eingeschlafen. Ein älterer Herr bemängelt, dass Rendi-Wagner die "Oppositionsgosch’n" fehle, ein anderer lobt den Auftritt als "rhetorische Sternstunde". Rendi-Wagner findet: Im Austausch mit den Mitgliedern könne sie am klarsten sein. Das kleine Setting liegt ihr mehr als das große TV-Interview.

Babler

Babler hat seine Zettel vergessen, gibt er offen zu. Lachen hallt durch den Hanuschhof. Mittlerweile kann er seine Ansprache sowieso fast auswendig. Bablers Pointen sitzen, seine Anekdoten funktionieren: die von seinem Opa und Papa, die bei Semperit gearbeitet haben – in dem Werk, das zugesperrt wurde.

Seine Erfahrungen mit dem Traiskirchner Flüchtlingsheim, gegen dessen Überfüllung vor der Landtagswahl aus Kalkül niemand etwas getan habe. Gern spricht er darüber, als er selbst noch Schichtarbeiter war. Die Frau, die neben ihm stand, habe die gleiche körperliche Arbeit geleistet, aber weniger bezahlt bekommen.

Es sind Arbeitererzählungen, die perfekt in das Setting passen. Im Hof des Gemeindebaus im dritten Bezirk klingen die Ansagen des gelernten Maschinenschlossers nach Klassenkampf. Und nach einer SPÖ, wie man sie noch aus den Geschichtsbüchern kennt. Würde das auch heute wieder funktionieren?

Noitzzettel braucht Babler längst nicht mehr: Er kann seine Reden mittlerweile auswendig.
Foto: Heribert Corn

Es sind drei Wege, einen wird die SPÖ nach ihrem Mitgliedervotum wohl einschlagen. Inhaltlich unterscheiden sich die Verteidigerin und ihre Angreifer nur in Nuancen. Die großen Differenzen liegen in ihrer Radikalität, dem Zugang zur Politik und ihrem Umgang mit der Partei. Im Mai fällt die richtungsweisende Entscheidung. Danach hängt auch vieles an den beiden Unterlegenen. Es wird darum gehen, die Partei zu einen und zu einer führenden Kraft in Österreich zu machen.

Freundschaft? Das ist derzeit kein Thema. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, Stefanie Rachbauer, 28.4.2023)