"Die Hand ist immer ausgestreckt": ÖVP-Mediensprecher Kurt Egger signalisiert privaten Medienunternehmen weitere Gesprächsbereitschaft.

Foto: Robert Newald

Verständnis für die Sorgen privater Medienhäuser wegen der geplanten ORF-Novelle äußert Kurt Egger (48) im STANDARD-Interview. Der Mediensprecher der ÖVP hat das neue ORF-Gesetz wesentlich mitverhandelt. Wie bei anderen Mediengesetzen werde man Rückmeldungen sehr ernst nehmen, sagt Egger: "Die Hand ist immer ausgestreckt, weil uns die Medienvielfalt, der unabhängige Journalismus und die nachhaltige Absicherung des Standortes wichtig ist."

Der ORF braucht mit 2024 eine neue Finanzierung, weil der Verfassungsgerichtshof die GIS mit Ausnahmen für Streamingnutzung aufgehoben hat. Ein ORF-Beitrag für alle Haushalte – bis auf Einkommensschwache – und Unternehmen, reduziert gegenüber der GIS, wird die bisherige Rundfunkgebühr laut Entwurf ablösen. Die ORF-Finanzierung sei logisch verknüpft mit der Digitalnovelle, gegen die private Medienhäuser Sturm laufen, erklärt Egger, zugleich Generalsekretär des Wirtschaftsbundes: "Wenn man auf der einen Seite die Finanzierung umstellt, sollte man auch überlegen, was der künftige Beitragszahler dafür bekommt, auf welchen Plattformen, in welchen Sendeangeboten. Der Beitragszahler muss wissen, wofür er zahlt."

"Der Beitragszahler muss wissen, wofür er zahlt"

STANDARD: Mittwoch, zum Welttag der Pressefreiheit, sind fast alle österreichischen Tageszeitungen mit leeren Titelseiten erschienen, als Protest gegen das neue ORF-Gesetz mit Haushaltsabgabe für alle, die dem ORF 710 Millionen pro Jahr sichert, und einer Digitalnovelle, die dem ORF Produktion für Streaming erlaubt. Verstehen Sie die Sorge privater Medien?

Egger: Ich verstehe die Sorgen österreichischer Medienhäuser in Zeiten wie diesen. Die Energiekosten explodieren, es steigen die Papierpreise, es fehlen Arbeitskräfte im Vertrieb, die Gehälter steigen – und dazu der internationale Wettbewerb um Digitalwerbung. Daher muss man die Sorgen sehr ernst nehmen.

STANDARD: Wird es noch Änderungen am ORF-Gesetz geben?

Egger: Der Gesetzesentwurf ist jetzt in Begutachtung gegangen. Wie bei den anderen Mediengesetzen nehmen wir die Rückmeldungen sehr ernst. Die Hand ist immer ausgestreckt, weil uns die Medienvielfalt, der unabhängige Journalismus und die nachhaltige Absicherung des Standortes wichtig ist.

"Ich war über die Schärfe der Diskussion zwischen privaten Medienhäusern und ORF sehr überrascht."

STANDARD: Private Medien warnen davor, dieses ORF-Gesetz könnte darauf hinauslaufen, dass es statt Medienvielfalt nur noch den ORF gibt.

Egger: Ich war über die Schärfe der Diskussion zwischen privaten Medienhäusern und ORF sehr überrascht. Ich bin überrascht, wie Journalisten untereinander und übereinander diskutieren. Mich stimmt die Wortwahl nachdenklich, wenn man den ORF als "Massenvernichtungswaffe" bezeichnet, die Politik und den ORF als "Totengräber" des heimischen Medienmarkts. Das ist nicht angebracht, schon gar nicht, wenn in unserer Nachbarschaft Krieg geführt wird. Das dient nicht der Sache und gießt Öl ins Feuer, wo man eigentlich gemeinsam an einem Strang ziehen sollte. Ich hoffe, dass man wieder zurück Richtung Diskurs kommt.

STANDARD: Private Medien schlagen eine Trennung vor: Die neue Finanzierung des ORF muss bis Jahresende fixiert sein, weil der Verfassungsgerichtshof die GIS mit dieser Frist aufgehoben hat. Die Digitalnovelle mit mehr Möglichkeiten für den ORF indes sollte gründlicher diskutiert werden.

Egger: Wenn man auf der einen Seite die Finanzierung umstellt, sollte man auch überlegen, was der künftige Beitragszahler dafür bekommt, auf welchen Plattformen, in welchen Sendeangeboten. Der Beitragszahler muss wissen, wofür er zahlt. Und der ORF muss digitale Möglichkeiten haben, um das gesamte Publikum erreichen zu können, von sehr jung bis sehr alt, von Menschen in der Stadt bis zu jenen auf dem Land. Daher war klar, dass man das gemeinsam umsetzt. Auf der Basis sehr breiter Diskussionen, das war keine Ho-ruck-Aktion.

STANDARD: Der Gesetzesentwurf schien private Mitbewerber zu überraschen. Waren die nicht eingebunden?

Egger: Es hat unterschiedlichste Gespräche auf verschiedensten Ebenen gegeben, mit allen wesentlichen Playern und immer wieder auch im Austausch. Wir sind ja nicht neu im politischen Geschäft. Uns allen ist eine vernünftige Lösung ein Anliegen.

STANDARD: Das heißt, diese Kombination aus Finanzierung und Digitalnovelle wird nicht aufgeschnürt?

Egger: Nein, es liegt jetzt ein Vorschlag vor, den man diskutieren kann und soll. Anhand dieses Vorschlags werden wir uns anschauen, ob es noch Veränderungsbedarf gibt, der auch umsetzbar ist. Das werden wir intensiv diskutieren und dann entscheiden.

STANDARD: Der Manager eines sehr großen Medienunternehmens hat den Eindruck, die Grünen hätten sich in der Medienpolitik gänzlich durchgesetzt.

Egger: Das sehe ich nicht. Das war ein gemeinsamer Kompromiss.

STANDARD: Aus der GIS wird nun ab 2024 eine Haushaltsabgabe unabhängig vom Empfang oder Empfangsgerät. Ist das vermittelbar?

Egger: Wir hatten drei Möglichkeiten der Finanzierung. Die Erweiterung der GIS um Streaming wäre kaum zu kontrollieren und ein gewaltiger bürokratischer Aufwand. Bei Finanzierung aus dem Bundesbudget gibt es die Sorge um die Unabhängigkeit des ORF. Nach gründlicher Abwägung sind wir zum Schluss gekommen: Der ORF-Beitrag ist die verträglichste Variante.

"Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der gerne FPÖ-TV, Echokammern und Fake News produziert, keine große Freude mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Qualitätsjournalismus hat."

STANDARD: Wird der ORF-Beitrag nicht ein Wahlkampfschlager von Herbert Kickl und der FPÖ?

Egger: Regierungsparteien müssen notwendige Entscheidungen treffen. Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der gerne FPÖ-TV, Echokammern und Fake News produziert, keine große Freude mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Qualitätsjournalismus hat.

STANDARD: Wenn nach der nächsten Nationalratswahl ÖVP und FPÖ wieder zusammenfinden: Ist der ORF-Beitrag disponibel? Die ÖVP hatte mit der FPÖ 2019 schon einen Gesetzesentwurf mit Budgetfinanzierung ausverhandelt, als das Ibiza-Video die Regierung sprengte.

Egger: Ich möchte nicht über künftige Koalitionen und Regierungsprogramme spekulieren. Der Verfassungsgerichtshof hat uns aufgetragen, die Finanzierung des ORF auf neue Beine zu stellen, unabhängig zu sichern. Das sollte auch für die Zukunft gewährleistet sein, weil uns die Medienvielfalt, der Medienstandort, der Qualitätsjournalismus und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein großes Anliegen sind. Daher muss man das auch für die Zukunft sehen.

STANDARD: Sie sind auch Generalsekretär des Wirtschaftsbundes. Rund 100.000 Unternehmen mehr als bisher müssen künftig ORF-Beitrag zahlen. Wie wird das aufgenommen?

Egger: Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war auch hier eine Neuregelung nötig. Das ist nie sympathisch und wird nie alle zufriedenzustellen. Wir haben uns um die bestmögliche Regelung bemüht, und das scheint uns ganz gut gelungen: 97 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer müssen höchstens zwei Beiträge zahlen.

STANDARD: Warum haben Sie mit der großen ORF-Novelle nicht auch gleich den Politikeinfluss auf die ORF-Gremien beschränkt – wohl weil ÖVP-nahe Mitglieder dort derzeit die Mehrheit haben?

Egger: In den Stiftungsrat entsenden die Parteien sechs Mitglieder, die Bundesländer neun, die Bundesregierung neun, der ORF-Publikumsrat sechs und der ORF-Zentralbetriebsrat fünf Mitglieder. Nur ein Viertel der Mitglieder wird von der Bundesregierung beschickt. Ich gehe davon aus, dass man sich bei der Zusammensetzung etwas überlegt hat, nämlich die Stakeholder aus unterschiedlichsten Bereichen. Mich hat Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger überrascht mit ihrer Beschreibung als "Methode Kuba" und im Ergebnis Ungarn. Den ORF mit dem ungarischen Regierungsfunk zu vergleichen halte ich für überzogen. Die Journalistinnen und Journalisten im ORF arbeiten unabhängig und mit hoher Qualität. Das immer wieder in Diskussion zu ziehen über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats halte ich für die falsche Diskussion.

STANDARD: Armin Wolf meinte im "ZiB 2"-Interview mit Medienministerin Susanne Raab, die journalistische Arbeit im ORF wäre einfacher, wenn dieses Aufsichtsgremium weniger politisch besetzt wäre. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass höchstens ein Drittel der Aufsichtsgremien "staatlich oder staatsnah" zu besetzen ist. Im ORF-Stiftungsrat sind das derzeit eher zwei Drittel.

Egger: Wir werden sehen, wie der österreichische Verfassungsgerichtshof das sieht. Wir haben wichtigere Diskussionen als über den Stiftungsrat. Wir haben eine gescheite Finanzierung auf die Beine gestellt, und der ORF kann nun unabhängig arbeiten.

"Es war eine langjährige Forderung der Wirtschaft."

STANDARD: Das Gesetz über die "Wiener Zeitung" ist nun beschlossen und damit deren Ende als gedruckte Tageszeitung mit Ende Juni. Es war eine langjährige Forderung der Wirtschaft, jene Pflichtinserate von Unternehmen abzuschaffen, die den allergrößten Teil der Finanzierung der Tageszeitung ausmachten.

Egger: Es war eine langjährige Forderung der Wirtschaft. Aber die Änderung wurde durch eine EU-Vorgabe notwendig. Dadurch wurde eine neue Finanzierung notwendig.

STANDARD: Die EU-Richtlinie hat die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, soweit ich weiß.

Egger: Aber die Abschaffung war schon in mehreren Regierungsprogrammen vorgesehen, beginnend mit Kanzler Werner Faymann (SPÖ). Nun ist es umgesetzt worden.

STANDARD: Ist ein Onlinemedium und eine Journalismusausbildung, unterstellt dem Bundeskanzleramt und aus dem Bundesbudget finanziert, eine kluge Lösung für die "Wiener Zeitung"?

Egger: Wir wollten die Marke "Wiener Zeitung" erhalten. Die Überlegung hat dazu geführt, dass wir sie in ein digitales Zeitalter begleiten. Die Journalismusausbildung gibt es in dieser Form schon seit Jahren. Dort wird nicht quasi in der Retorte ausgebildet, sondern in Kooperation mit Medienhäusern wie "Kleine Zeitung", "Profil" und "Dossier". Es besteht keine Gefahr, dass der Bundeskanzler oder die Medienministerin Journalistinnen ausbildet. Ausgebildet wird in der Redaktion, mit einem Statut, unabhängig.

STANDARD: Die Förderung für die "Wiener Zeitung" wurde beschlossen, die Journalismusqualitätsförderung noch nicht, weil noch von der EU behilfenrechtlich zu prüfen.

Egger: Wir sind da im Zeitplan, das soll vor dem Sommer ins Parlament und bereits für das Jahr 2023 gelten. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung des Medienstandortes mit 20 Millionen Euro zusätzlicher Medienförderung.

"Die Vielfalt des Marktes war mir klar, und nach den ersten Gesprächen auch, dass das keine einfache Aufgabe wird."

STANDARD: Haben Sie sich das einfacher vorgestellt, als Sie 2022 Mediensprecher der ÖVP wurden?

Egger: Die Vielfalt des Marktes war mir klar, und nach den ersten Gesprächen auch, dass das keine einfache Aufgabe wird. Man muss sehr unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen versuchen – und als Politik am Ende entscheiden. Die Politik wird es nie allen recht machen können. Aber es ist eine spannende Aufgabe, in diesem Land Medienpolitik zu machen.

STANDARD: Können Sie die Sorge von privaten Medienunternehmen nachvollziehen, dass am Ende nur der ORF übrigbleiben könnte?

Egger: Nein, diese Sorge teile ich nicht im Geringsten. Ich weiß, dass in den Verlagshäusern gute Managerinnen und Manager sitzen, die wissen, wie das Produkt aussehen muss, wo Zukunftsfelder sein können, kombiniert mit einem hochwertigen Journalismus, mit Qualität und Regionalität. Ich bin zuversichtlich, dass das Bestand haben wird. (Harald Fidler, 4.5.2023)