Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell schreibt in seinem Gastkommentar über den Umgang von Sebastian Kurz mit Medien und über den Kurz-Film, für den er zwar interviewt worden ist, aber in dem er nicht vorkommt.

Das System Message-Control war umfassend und ist in der Namensgebung schon eine Beschönigung. Im engen Sinn standen am Anfang dafür die genau koordinierten Absprachen zumindest zwischen den ÖVP-Ministerinnen und -Ministern, was wann wer in der Öffentlichkeit präsentiert und sagt. Das alleine ist noch keine wirkliche Schwächung des Journalismus. Aber selektive Einladung von ausgewählten Journalistinnen und Journalisten zu Hintergrundgesprächen beispielsweise schon. Ebenso gehört dazu das Hochziehen der Regierungsinserate und vermutetes Verknüpfen der Gewährung von üppigen bis keinen Regierungsinseraten in Medien in so höchst unterschiedlichem Ausmaß, dass sie aus fachlichen Gründen nicht erklärt werden können. Und wie die bisherigen Erhebungen der WKStA zeigen, vermutlich sachlich weniger begründet waren.

Sebastian Kurz bei der Kinopremiere im Kinosaal
Zwei ehemalige ÖVP-Bundeskanzler im Kinosaal: Sebastian Kurz und Wolfgang Schüssel. Im Film ging es dann nur um einen.
Foto: Regine Hendrich

Als SPÖ-Kanzler Werner Faymann das System Regierungsinserate erstmals dynamisierte, waren viele Medien noch wesentlich stärker im Werbegeschäft und konnten leichter entscheiden, ob sie den Verlockungen der üppig werbenden Politik durch Zugeständnisse, also weniger unangenehme bis freundlichste Berichterstattung, folgen wollten oder eben nicht. In den von Sebastian Kurz dominierten Regierungszeiten hatte der Werbestrukturwandel längst dafür gesorgt, dass die Sorgenfalten der Manager klassischer journalistischer Medien zum Dauerzustand wurden.

Die Türkisen setzten auf zwei Strategien: Ausbau der eigenen PR-Leistungen, um den redaktionell geschwächten Journalismus noch stärker mit Regierungs-PR zu durchtränken. Die PR-Stäbe bei Bundeskanzleramt und in den Ministerien, die für Medienarbeit zuständig sind, wurden kontinuierlich aufgestockt, weil es gesetzlich hier keine wirksame Begrenzung gibt – und die Kurz-Leute gar kein Interesse an einer Balance der Kräfte zwischen Regierungs-PR und unabhängigem Journalismus hatten und haben.

Bewusst unterlassen

Alles, was konstruktive Medienpolitik tun hätte können, um die in der liberalen Demokratie wesentliche vierte Macht zu stärken, wurde bewusst unterlassen: Trotz der EU-Verpflichtung gibt es immer noch kein Informationsfreiheitsgesetz, das Journalismus den Zugang zu relevanten Informationen erleichtern würde. Erst sehr spät kam eine finanzielle, aber viel zu geringe Anhebung der finanziellen Unterstützung der Journalismusproduzenten. Keine gesetzlichen Maßnahmen zur Stärkung der inneren Medienfreiheit (Redaktionsstatuten). Keine Initiativen zur besseren Entwicklung der Medienkompetenz der Bürgerinnen und Bürger, um Journalismus von PR und Propaganda unterscheiden zu können. Keine Einführung eines längst überfälligen Litigation-PR-Registers, dem Journalismus wie Bürgerinnen und Bürger entnehmen könnten, wer gerade zu welcher Thematik mit welchem finanziellen Aufwand und welchen Tools (Studien, Gutachten, Medienarbeit, Publikationen) im Kontext von straf- und zivilrechtlichen Causen Reputationsmanagement betreibt. Statt gesetzlicher Maßnahmen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dem Parteienzugriff zu entziehen, detaillierte geheime Sideletter bei den Regierungsvereinbarungen punkto parteilich begründeter Postenbesetzungen.

Zu diesen absichtlichen strukturellen Versäumnissen gesellten sich unter Kurz Praktiken, die auf eine systematische Schwächung des Journalismus abzielten: zum einen die direkten Angriffe auf einzelne Journalistinnen und Journalisten, die für die ÖVP unangenehme journalistische Enthüllungen geleistet hatten. Zum anderen die von Kurz und Co forciert betriebene Einteilung in Freunde und Gegner/Feinde.

Schweres Foul

Der Einsatz von "Strategisch notwendigem Unsinn" (SNU) in der politischen PR, den Gerald Fleischmann zugegeben hat, kommt hinzu. Er ist zumindest ein schweres Foul im Verhältnis zwischen Regierungspolitik und Journalismus und ein massiver Missbrauch öffentlicher Mittel, weil SNU von politisch relevanten Debatten ablenkt beziehungsweise diese zerstört. Diese Täuschungsmanöver sollten eigentlich verboten werden.

Der Erfolg von Kurz baute nicht unwesentlich darauf auf, den Journalismus strukturell zu schwächen, um ihn seinen eigenen Zielen gewogener zu machen. Kritische Elemente des Journalismus wurden systematisch bekämpft, die eigene PR maßlos ausgeweitet und mit zum Teil unsauberen Methoden betrieben. Derartige Sichtweisen aus der Perspektive der kritischen Wissenschaft, die sich dem Freund-Feind-Schema entzieht, sollten in "Kurz – der Film" keinen Platz finden. Das erklärt wohl, warum das von den Filmemachern angefragte und von mir gegebene Interview im Film keine Verwendung fand. Und wohl nicht aus "dramaturgischen" Gründen, wie sich der Regisseur die Sache schönredet. Sondern weil die türkisen Masseure der Message-Control schon ab Spätsommer des letzten Jahres, wie wir im "Dunkelkammer"-Podcast von Michael Nikbakhsh gerade erfahren, den Regisseur offensichtlich erfolgreich "abgecheckt" haben.

Strahlende ÖVP-Gesichter

Als ich am Mittwochabend zum Artis-Kino gekommen war, sah ich dort lauter strahlende ÖVP-Gesichter. Denn sie wussten vor der Premiere, welcher Film sie erwartete. Die Kritik war schwächer dosiert als bei den klassischen Strategien, für ein strittiges Produkt Überredungskommunikation zu leisten: einem Drittel Kritikaspekten zwei Drittel positive Argumente entgegenzusetzen und immer damit auch zu enden, hieß lange die Formel. Genau das tut der Film, allerdings ist das Verhältnis zwischen Kritik und Affirmation gegenüber dem stark beschädigten Politikprodukt Sebastian Kurz je nach Thema im Verhältnis von 1 zu 4 bis 1 zu 6.

Gäbe es ein Litigation-PR-Register, wüssten wir wahrscheinlich schon jetzt den eigentlichen Auftraggeber. Der Nutznießer ist klar: Kurz und seine Truppe. Der Zweck auch: Reputationsmanagement vor Gerichtsverfahren und möglicher politischer Wiederkandidatur. Im Wahlkampf ist der Film bei Anhängerinnen und Anhängern gewiss gut einsetzbar, vielleicht etwas zu lange. Ob es am freien Markt ein Kinoerfolg wird? Ich vermute: nein. (Fritz Hausjell, 9.9.2023)