Menschen gedenken, Kerzen am Boden 
Gedenken an die Opfer des Hamas-Angriffs auf Israel vergangenen Montag nahe der Downing Street in London.
Foto: EPA / Neil Hall

Die aktuellen Bilder aus Israel übertreffen unsere schlimmsten Befürchtungen. Sie zeigen, was passiert, wenn die Sicherheit des jüdischen Staates in einem kurzen Moment nicht gegen die mörderisch antisemitische Aggression islamistischer Terrororganisationen greift. Wir sehen Bilder von ermordeten Familien im eigenen Heim oder auf offener Straße, geschändete Leichen von jungen Partygästen, die in der Wüste im Süden des Landes gefeiert hatten, Videos von betagten Frauen und Männern, Müttern, Vätern und Kindern, die als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden.

Stündlich erreichen uns neue Horrornachrichten. Es sind die gleichen Terroristen, die sich seit Jahrzehnten dem Morden verschrieben haben und nicht davor zurückschrecken, auch die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschilde zu missbrauchen und ihr Leben zu opfern. Dies alles geschieht, während Israel unter Dauerbeschuss tausender Raketen steht und Angriffe an weiteren Fronten befürchten muss. Dies alles geschieht zum 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges, während der hohen jüdischen Feiertage, während Simchat Tora.

Mörderischer Hass

Die jüdische Gemeinde in Österreich ist tief mit den Menschen in Israel verbunden. Einerseits durch familiäre und freundschaftliche Bande, andererseits dadurch, dass Israel das spirituelle und kulturelle Zentrum des Judentums ist. Wie so viele Menschen bangen wir um unsere Liebsten. Für Gemeindemitglieder und in Wien festsitzende Israelis hat ESRA, das psychosoziale Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), eine Hotline eingerichtet, um über die Sorgen ebenso zu sprechen wie über den richtigen Umgang für Kinder mit den schrecklichen Nachrichten – mit dem Außenministerium und der Botschaft ist der Krisenstab der IKG in engem Kontakt, um festsitzende Menschen in Israel und Österreich schnellstmöglich zu ihren Familien zu bringen – in engem Austausch mit den österreichischen Sicherheitsbehörden wurden die Schutzmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen und Synagogen verstärkt.

Die barbarische Gewalt offenbart aber auch die blutdurstige Ideologie jener, die unter dem Deckmantel der sogenannten Palästina-Solidarität ihren Antisemitismus tarnen. Nur wenige Stunden nachdem das erste Ausmaß des Mordens an unschuldigen Zivilistinnen und Zivilisten auf allen Kanälen zu sehen war, feierten manche, wohlgemerkt einige wenige, tanzend mit Palästinenser-Flaggen auf dem Ballhausplatz. Ihre Wortführer machen keinen Hehl daraus, dass diese Bilder für sie "Dekolonialisierung" und "gerechtfertigten Freiheitskampf" bedeuten. Es ist klar: Es ging ihnen nie um Frieden oder Solidarität. Ihr Antrieb ist der mörderische Hass auf Jüdinnen und Juden in Israel und der ganzen Welt.

Massive Sicherheitsvorkehrungen

Für uns als jüdische Gemeinde ist dies leider keine Neuigkeit. Wir wissen aus unseren jährlich erhobenen Berichten der Antisemitismus-Meldestelle, dass Übergriffe auf Jüdinnen und Juden immer dann steigen, wenn diese Gruppen durch die Propaganda ihrer Vorbilder in Gaza, Ramallah, dem Libanon oder Iran auf die Straße mobilisiert werden. Als jüdische Gemeinde in Wien müssen wir an jedem Tag vor unseren Schulen, Synagogen und Altersheimen massive Sicherheitsvorkehrungen treffen, da die antisemitischen Gefährder wiederholt jüdische Einrichtungen ins Visier genommen haben und dies weiterhin tun. In Wien wäre es nicht der erste blutige Anschlag.

In Österreich sind wir dankbar dafür, dass wir als Kultusgemeinde in enger Kooperation mit den Sicherheitsbehörden auf Bedrohungslagen reagieren und gemeinsam die Sicherheitsvorkehrungen anpassen. Allein die IKG in Wien investiert jährlich mehr als 20 Prozent ihres Budgets in Sicherheitsmaßnahmen, damit Eltern ohne Sorge ihre Kinder in eine jüdische Schule schicken und Gläubige ihr Judentum uneingeschränkt praktizieren können. Es geht dabei um nichts weniger, als jüdisches Leben in Österreich zu gewährleisten und als selbstbewusster und selbstverständlicher Teil der Gesellschaft am öffentlichen Leben teilhaben zu können.

Für Vielfalt und Demokratie

Wir sind alle gefordert: Als selbstbewusste Demokratinnen und Demokraten müssen wir gemeinsam den Apologeten und Unterstützern dieser Mörder Grenzen aufzeigen. Die Verteidigung der freien und offenen Gesellschaft garantiert, dass Menschen in Sicherheit ihren Glauben frei leben können, in die Schule gehen oder eine Party feiern.

Es ist dabei erfreulich, dass sich seit Samstag sehr viele Menschen aus der Zivilgesellschaft, der Politik und andere im Angesicht des Mordens gegen israelische Zivilisten und mit der einzigen jüdisch geprägten Demokratie solidarisch gezeigt haben. Mittwochabend werden wir gemeinsam um 18.30 Uhr auf dem Ballhausplatz der Ermordeten gedenken und für die Rettung der Geiseln sowie die Genesung der Verletzten beten. Gemeinsam stehen wir gegen das barbarische Morden, für das Leben, die Vielfalt und Demokratie. (Benjamin Nägele, 11.10.2023)