Das Verhandlungsteam der Gewerkschaft auf dem Weg zu den Lohnverhandlungen in der Wirtschaftskammer.
Metallgewerkschaftschef Reinhold Binder (links) und Karl Dürtscher von der GPA wollen der Industrie doch noch einen höheren Lohnabschluss herausreißen – und sich noch in den Spiegel schauen können.
APA/GEORG HOCHMUTH

Den Anfang machen am Montag um sieben Uhr die Aufzugsfirmen in Wien-Favoriten. Mit ihnen fährt der Gewerkschaftsbund die von Montag bis Mittwoch anberaumten stundenweisen Warnstreiks in der Metallindustrie hoch. Offizieller Beginn ist auf der Wienerbergstraße, wo nächst den Aufzugsfirmen Schindler, Otis und Kone eine öffentliche Betriebsversammlung abgehalten wird, in der sich auch die ÖGB-Führung rund um ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl inszenieren kann. Alle zusammen werden die Abhaltung von stundenweisen Arbeitsniederlegungen beschließen.

Verlass ist traditionell auch auf die gewerkschaftlich wohlorganisierten Voestler, bei denen die Teilbereiche Stahl, Grobblech und Gießereien in Linz zu den Fixstartern im anrollenden Arbeitskampf gehören. Allen gemeinsam: Der Druck auf die Arbeitgeber in der Lohnrunde soll erhöht werden.

Eskalation wohldosiert

Wobei man dabei augenscheinlich wohldosiert vorgeht: Das nur einen Steinwurf von den Aufzüglern entfernt gelegene Sicherheits- und Schließtechnologieunternehmen Evva des Arbeitgeber-Chefverhandlers Stefan Ehrlich-Adám steht zumindest am ersten Aktionstag nicht oben auf der Liste. Wohl aber die Salzburger Feuerverzinkerei des Vorarlberger Metallveredelers Collini, die zur Collini-Gruppe des zweiten Arbeitgeber-Chefverhandlers, Johannes Collini, gehört.

Nach mehr als 500 Betriebsversammlungen, die in den vergangenen Tagen österreichweit abgehalten wurden, werde man eine Rekordzahl an Warnstreiks organisieren, kündigte der Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft GPA, Karl Dürtscher, nach dem Abbruch der vierten Verhandlungsrunde am Donnerstagabend an. Die von der Industrie angebotenen Modelle für die Lohnerhöhung seien nicht ausreichend. "Eine Gemeinheit, eine Ungerechtigkeit und eine Frechheit", nannte Metallgewerkschaftschef Reinhold Binder das aus Sicht der Gewerkschaft völlig ungenügende Angebot der Maschinen- und Metallwarenindustrie.

Alle Mühlen stehen still

Die Metalltechnische Industrie ist wie jedes Jahr die Speerspitze im Verhandlungsmarathon. Bringen die Sozialpartner des mit 137.000 Beschäftigten größten Fachverbands kein Ergebnis zustande, stehen die Mühlen bei allen sechs Branchenverbänden still. Das ist akutell der Fall, nun werden alle Sparten der Metallindustrie bestreikt, also auch Unternehmen der Fahrzeug-, Gießerei-, Nicht-Eisen-Metall-, Eisen- und Stahlindustrie sowie der Gas-/Wärmeerzeuger.

Allerdings werden die unterbreiteten Vorschläge auch von Wirtschaftsforschern als "ausbaufähig" beurteilt. Die angebotenen 2,5 Prozent, die um einen Fixbetrag von hundert Euro dauerhaft aufgedoppelt würden (zuzüglich einer Einmalzahlung von 1050 Euro) hätten eher den Charakter einer Kriegserklärung, merkt ein Makroökonom, der nicht genannt werden will, zynisch an. Um Reallöhne halbwegs konstant zu halten, brauche es zumindest eine teilweise Abgeltung der Inflation. Für einen Teil der zurückliegenden, sogenannten rollierenden Inflation, könnte mangels Produktivitätssteigerung und im Lichte der schlechten Auftragslage und Gesamtkonjunktur notfalls ein Einmalbetrag gewährt werden. Zur Dauereinrichtung sollte dies aber keinesfalls werden.

Auffällig an dem Modell mit den 2,5 Prozent Steigerung plus 100 Euro Fixbetrag: Die sogenannte Spreizung fällt durch den Fixbetrag noch stärker aus als im Vorjahr, als der Fixbetrag 75 Euro ausmachte. Diese Spreizung bewirkt zwar, dass die von der Inflation besonders betroffenen unteren Lohngruppen höhere Steigerungen erfahren - gemäß Modellrechnung der Arbeitgeber käme man auf 6,82 Prozent. Die Schattenseite: Besserverdiener würden bei dem von der Gewerkschaft abgelehnten Modell kurz gehalten. Ihre Löhne und Gehälter stiegen nur um 3,32 Prozent und würden erst unter Einrechnung der steuer- und abgabenfreien Einmalzahlung von 1000 Euro auf ein Plus von brutto 3,9 Prozent kommen - immer noch weit unter der aktuellen Inflationsrate. Netto käme ein Plus von 4,5 Prozent heraus, rechnen die Arbeitgeber vor, während die unteren Lohngruppen auf das am Donnerstagabend nach dem Abbruch der Gespräche genannte Plus von 9,91 Prozent kämen. Netto würde dies einem Plus von zwölf Prozent entsprechen.

Inflation verdienen

Die sogenannte Benya-Formel, also die Abgeltung der Produktivität plus einem Anteil am Produktivitätsfortschritt, funktioniere nur, wenn die Unternehmen die Inflation verdienen können, erklärt ein anderer Wirtschaftsforscher, der laufende Verhandlungen nicht kommentieren will. Andernfalls leide die preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Der alternativ vorgeschlagene Zweijahresabschluss mit einem Plus von 6,0 Prozent im ersten Jahr 2023/24 und 4,0 Prozent im Jahr 2024/25 – jeweils zuzüglich 750 Euro an Einmalzahlung – wiederum schiebt den Streit um die Abgeltung der Teuerung lediglich hinaus. 2025 beginne die Inflationsdebatte dann erneut. Auch damit ließen sich die Inflationskosten der Arbeitnehmer wohl nicht abgelten.

Ob die Gewerkschaft weiter eskaliert? Die Arbeitnehmervertretung signalisiert Entschlossenheit. Am Donnerstag, den 9. November wird weiterverhandelt.

(Luise Ungerboeck, 3.11.2023)