"Lieblingsserie" steht da neben einem Regenbogen, der auf kleinen weißen Wölkchen schwebt. Ich zögere keine Sekunde und schreibe in lila Blockbuchstaben: "Sex and the City" ins Freundschaftsbuch meiner sechsjährigen Tochter. Keine andere Serie habe ich so oft und so gern gesehen und auch wiedergesehen. Mit 20 und mit 25 und mit 35 und jetzt mit 42 für diesen Artikel noch einmal.

Bei meinem ersten Abtauchen in die Welt von Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker), Charlotte York (Kristin Davis), Miranda Hobbs (Cynthia Nixon) und Samantha Jones (Kim Cattrall) war ich gerade frisch aus der obersteirischen Provinz in Wien gelandet – in einer WG ohne Kabelfernsehen. Also trafen sich fünf Studienanfängerinnen – ich glaube, es war mittwochabends – vor einem anderen WG-Fernseher mit Kabelanschluss in Nussdorf, später Margareten, um gemeinsam diesen Wesen aus einer anderen Welt dabei zuzusehen, wie sie in New Yorker Cafés und Restaurants Probleme besprachen, die null mit unserem Alltag zu tun hatten, und dabei immer fabelhaft aussahen.

Schaut mal, wer da jetzt spricht: Dass vier Frauen das Thema Sex mit einer schonungslosen Offenheit diskutierten, war ein Novum in der Fernsehwelt der Jahrtausendwende.
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"Sex and the City" wurde zwischen 1998 und 2004 in New York gedreht und war die erste große Erfolgsserie des US-amerikanischen Bezahlsenders HBO. Sie trug wesentlich zum Erfolg des Senders bei, der später mit "The Wire", den "Sopranos" oder aktuell "Succession" Fernsehgeschichte schreiben sollte. Das SATC-Serienuniversum umfasst sechs Staffeln mit 94 Episoden - ergänzt um zwei Kinofilme und seit 2021 um die Nachfolgeserie "And Just Like That" von der aktuell die dritte Staffel in Arbeit ist.

Was an dieser Serie so viele bis heute, mehr als 25 Jahre später, fasziniert, erschließt sich beim Wiedersehen allerdings nicht auf den ersten Blick. Da wirkt "Sex and the City" plump, konstruiert, konsumfixiert. Vier Frauen auf der Suche – aber wonach? Dem Traummann? Dem nächsten amourösen Abenteuer? Dem perfekten 400-Dollar-Stöckelschuh? Sich selbst?

Cosmos, Manolos, Karriere 

Ende der 1990er-Jahre zeigt "SATC" erstmals Frauen, deren Singleleben glamourös und schick ist. Cosmos, Manolos, Karriere, Eigentumswohnungen – ein selbstbestimmtes erfülltes Leben ist auch als unverheiratete Frau möglich, so der Tenor. Zwar sind auch in "Sex and the City" drei der vier Damen auf der Suche nach einem Partner. Und auch das vieldiskutierte und oft kritisierte Serienfinale lässt alle vier in klassischen Beziehungsformaten enden. Aber dazwischen gibt es Highlights wie "A Woman's Right to Shoes", wo Carrie sich finanzielle Kompensation für ihre bei einer Party gestohlenen Manolos erstreitet.

SATC | Season 6 | Episode 9 | Carrie's Shoe Revenge
In this clip: Tatum O' Neal (1:32), Sarah Jessica Parker; Patrick O'Sullivan and Kelly O'Sullivan. About this clip: Kyra and the cigaresque Chuck with their boisterous children Mylo and Allegra, excelling the Cobbs' in annoyance can be rated as the most lai
SEX AND THE CITY 𝓐𝓻𝓬𝓱𝓲𝓿𝓮𝓼

Carrie besteht darauf, dass ihr Lebensentwurf als gleichberechtigt gesehen und wertgeschätzt wird, wie der einer Bekannten, die nun – verheiratet und Mutter – Carries Schuhkäufe als wertlos abqualifiziert. Ja, Feminismus reduziert sich nicht darauf, sich Konsumbedürfnisse selbst erfüllen zu können. Nur weil Frauen ihre Schuhe selbst kaufen können und nicht mehr wie Aschenputtel auf den Märchenprinzen warten, ist das Patriarchat noch nicht abgeschafft. Aber immerhin – Babysteps, auch im Fernsehen.

"Sex and the City" wird von Staffel zu Staffel besser. Anfangs noch ein wenig holprig, mit seltsamen, an das Fernsehpublikum gerichteten Monologen, werden aus den Hauptdarstellerinnen komplexe und vielschichtige Charaktere. Charlotte merkt, dass ihre Ehe mit dem vermeintlichen Traummann Tray kein Glücksgarant ist. Sie leidet unter einem unerfüllten Kinderwunsch, lässt sich scheiden und verliebt sich in ihren Anwalt Harry, der so gar nicht dem entspricht, was sie sich zu Beginn der Serie als Partner vorgestellt hätte. Miranda wird Mutter, hadert anfangs mit dieser Rolle, heiratet Steve und zieht nach Brooklyn, das damals noch nicht als hip, sondern als das Ende der Welt galt. Samantha besiegt ihre Krebserkrankung und wagt mit Smith eine monogame Beziehung. Carrie heiratet Aidan doch nicht, verlässt den egoistischen Russen in Paris und ist am Ende von Staffel sechs wieder mit Big liiert. Der ihr nach sechs Staffeln endlich die ersehnten Worte "Carrie, you're the one", ins Ohr flüstert.

Carrie und Big: Ist diese Beziehung eine gute Beziehung? Das Internet hat dazu mehr als eine Meinung. Der Pelzmantel ist echt. Was wohl in einer aktuellen Serie nicht mehr als schick durchginge. Er sieht trotzdem gut aus - der Mantel.
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Die Serie erfüllte um die Jahrtausendwende das Bedürfnis vieler Zuschauerinnen nach einer anderen Darstellung von ihren 30ern und 40ern, ihren Wünschen, Sehnsüchten und Realitätsfluchten. Erstmalig haben Frauen im TV offen und unverkrampft über Sex geredet. Aber weil sich die Welt seit der Erstausstrahlung weitergedreht hat, gerät einiges beim Wiedersehen auch zum Fremdschämmoment. Die Welt von Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha ist weiß, heterosexuell, schlank und reich. Alles, was davon abweicht, wird lächerlich gemacht, negiert oder ignoriert. Das ist auch bemerkenswert, weil es kaum eine Metropole gibt, die diverser ist als New York City. Die oft als fünfte Hauptdarstellerin betitelte Stadt war zum Beginn der Serie gerade erst wieder aus dem Märchenschlaf wachgeküsst worden. Oder besser: aus einem Albtraum erwacht.

Laufsteg Manhattan 

In den 1970er-Jahren begann es in Manhattan ungemütlich zu werden. Die Stadtkasse war leer, die Arbeitslosigkeit hoch, Investitionen in Schulen oder städtische Infrastruktur wurden massiv zurückgefahren. Wer es sich leisten konnte – sprich: die weiße Mittelschicht –, zog in die Suburbs. Eine Stadt, in der eine Show namens "Sex and the City" weniger Glamour, dafür mehr Gangster gewesen wäre. Erst Ende der 1990er kehrte New York dank des landesweiten wirtschaftlichen Aufschwungs und des Booms an der Wall Street zu altem Glanz zurück. Die Straßen Manhattans konnten nun auch im Fernsehen wieder als Laufsteg bespielt werden. Apropos Laufsteg: Fashionmäßig ist "Sex and the City" ganz groß. Was Carrie trägt, war stilprägend und so wenig "trendy", dass es auch heute noch wundervoll aussieht. Und wer der geneigten Leserinnen und Leser da eine andere Meinung hat – trefft mich im Forum!

Ich glaube, es ist eigentlich ziemlich einfach, wenn es auch ein bissl banal klingt: "Sex and the City" ist eine Serie über Freundschaften, Lebenspartnerschaften, Familie – erzählt als modernes Märchen. Es war immer egal, ob sich Carrie mit ihrer Kolumne Wohnung, Designerschuhe und Dinners in den besten Restaurants der Stadt leisten kann. Es machte Spaß, ihr und den drei anderen Ladys zuzusehen. Damals vor einem kleinen Fernseher mit Kabelanschluss in Wien-Margareten – und heute auf der Streamingplattform der Wahl, wenn die Kinder schlafen. Und wenn nix dazwischenkommt, steht auch noch im Freundschaftsbuch der Enkelin in lila Blockbuchstaben neben der Frage nach der Lieblingsserie: "Sex and the City". (Michaela Kampl, 6.4.2024)