Die ersten Bewerbungsfristen an den Universitäten und Hochschulen sind bereits abgelaufen, die Termine für die schriftliche Zentralmatura im Mai rücken immer näher. Doch manche Unentschlossene wissen noch nicht, wie es danach weitergeht. Gleich studieren? Oder ein Jahr "Auszeit" nehmen? Immer wieder spaltet das Gap-Year die Gemüter. "Perspektivenerweiternde Chance", sagen die einen, "unnötige Pause für Privilegierte" die anderen.

Unnötige Pause oder neue Perspektive? Das Gap Year spaltet die Gemüter.
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Melina kennt die Skepsis gegenüber einem Gap-Year gut. Schon in der Mittelschule hat die Wirtschaftsstudentin gewusst, dass sie nach der Matura ins Ausland gehen möchte. Ihr Vater war von der Idee ganz und gar nicht begeistert. "Er hatte Angst, dass ich in eine Abwärtsspirale komme und nie zu studieren beginne", sagt die heute 21-Jährige im Gespräch mit dem STANDARD. Nach ihrem Gap-Year, das genau genommen nur ein halbes war, da sie zuvor in Cafés und bei Cateringfirmen gejobbt hatte, um sich ihren Traum zu finanzieren, hat Melina ihr Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien aber "ganz normal" begonnen. Sie spricht jetzt fließend Spanisch und Englisch. Am eindrucksvollsten war für Melina die Dankbarkeit und Zufriedenheit der Menschen, die sie in Mexiko und Costa Rica erlebt hatte.

Schule in Costa Rica
Eine Schule im Dschungel von Costa Rica – Hier hat Melina gemeinsam mit anderen Freiwilligen mit den Kindern gespielt.
Melina Ansperger

Mehrere Monate war Melina allein in Mittelamerika unterwegs, hat in Communitys gearbeitet, Müll gesammelt, Fassaden erneuert, mit anderen Backpackern eine Bar aufgebaut. Ihre größte Angst sei die vor dem Alleinsein gewesen, was sich rückblickend als unberechtigt herausstellte: "Ich bin zwar allein gestartet, aber von Tag eins war ich nicht mehr allein." Sie habe jetzt Freundinnen und Freunde auf der ganzen Welt. Anders machen würde sie heute nur, dass sie länger bleiben würde. Herausfordernd gewesen sei, als sie in Mexiko plötzlich kein Bargeld mehr hatte, da sie ihre Bankomatkarte verloren hatte. Auch ihr Handy sei einmal abhandengekommen. "Man lernt, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt", sagt Melina.

Aber wie bewerten Unternehmen ein Gap-Year? Zeitverschwendung oder Lebenserfahrung, die auch im künftigen Job wichtig sein könnte? HR-Expertin Monika Fuchs sagt, sie beobachte, dass solche Auszeiten junge Menschen für "Herausforderungen öffnen". Ein Gap-Year demonstriere zudem Neugierde und Selbstständigkeit, sagt Fuchs. Das könne auch beim künftigen Arbeitgeber gut ankommen. Allerdings: Generell sei ein Gap-Year im Lebenslauf nicht automatisch ein Vorsprung gegenüber anderen, denn sie würden von Unternehmensseite unterschiedlich bewertet, sagt die HR-Expertin.

Farmköchin im australischen Outback

Neugierig auf das Leben und Arbeiten im Ausland war die 24-jährige Miriam schon immer. Bereits in den Schulferien hat sie Erfahrung als Au-pair in Deutschland und Irland gesammelt, nach der Matura ging es dann weiter weg – nach Australien. Da dies immer schon ihr Traum gewesen sei, habe sie sich genügend Geld für Flüge, Visum und ein notwendiges Englischzertifikat angespart, bevor es überhaupt losging, sagt Miriam. Um so viel vom australischen Kontinent wie möglich zu sehen, hat sie ihr Au-pair-Jahr gedrittelt und so bei drei Familien in Queensland, Tasmanien und Südaustralien gewohnt. Dort betreute sie deren Kinder, unterstützte bei Schulaufgaben oder übernahm leichte Haushaltstätigkeiten.

Das Autofahren auf der linken Straßenseite sei gewöhnungsbedürftig gewesen, auch der australische Slang nicht immer leicht zu verstehen. Die größte Herausforderung für Miriam sei allerdings die Heimreise gewesen – und für ihre Familie in Kärnten war es die Angst, dass sich Miriam kein Rückflugticket kaufen werde. So weit ist es nicht gekommen, aber Miriam hat ihren Aufenthalt in Australien tatsächlich verlängert. Nach ihren Jobs als Au-pair arbeitete sie für mehrere Wochen als Farmköchin im australischen Outback, 230 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Sie war dafür verantwortlich, 20 Erntehelfer zweimal pro Tag zu bekochen. Wochenenden gab es weder für sie noch für die Arbeiter. Gut bezahlt war der Job allerdings, Miriam stieg aus ihrem Gap-Year mit einem finanziellen Plus aus.

Farmarbeiter im australischen Outback
Diese Erntearbeiter hat Miriam im australischen Outback bekocht. Die nächste Stadt war 230 Kilometer entfernt, eingekauft wurde nur einmal pro Woche – dem Kühl- und Gefrieranhänger sei Dank.
Miriam Sticker

Ihre Auslandserfahrungen möchte Miriam nicht missen. Die Hebammenstudentin schwärmt von Erfahrungen, die man sich nicht kaufen könne, und dem Gefühl von Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, wie man sein Leben verbringen möchte. Zudem sei sie persönlich gewachsen und flexibler geworden. Rückblickend anders hätte sie nur die Dauer des Gap-Year gewählt: Sie wäre länger geblieben.

Monika Fuchs rät Unternehmen dazu, die Vielfalt und Tiefe der Erfahrungen anzuerkennen und als Bereicherung zu sehen. Ein Gap-Year sei laut Fuchs "keine Pause vom akademischen oder beruflichen Weg, sondern eine Investition in persönliches Wachstum, Selbstständigkeit und interkulturelle Kompetenzen, die in unserer Arbeitswelt immer wichtiger werden."

Präsenzdienst als Hürde

So wie Melina und Miriam hätten Max (27), Kevin (22) und Florian (23) auch gerne ein Gap-Year absolviert, es letztlich aber nicht gemacht. Die drei Burschen eint ein Gefühl: zu langsam im Leben und im Studium voranzukommen im Vergleich zu den Kolleginnen. Denn die meisten Burschen verlieren im Gegensatz zu den Mädchen ihres Alters sowieso Zeit. Nach der Matura steht für sie der Präsenzdienst beziehungsweise der Zivildienst an. Florian erzählt etwa, nach einer fünfjährigen Oberstufe und dem Präsenzdienst noch ein Jahr zu "verlieren" habe er nicht gewollt. Auch Max erzählt dem STANDARD, dass er gerne ein Gap-Year gemacht hätte – für seine persönliche Entwicklung. Zeitlich sei das aber "nicht drinnen gewesen". Auch ein Auslandszivildienst etwa kam für den heutigen Juristen nicht infrage. (Antonia Wagner, 4.4.2024)