Die Schulen sollten nicht nur auf die Politik warten, sagt Johann Hagenhofer, pensionierter Schuldirektor, im Gastkommentar.

Ganztagsklassen statt "Zwangstagsschule"?
Foto: APA / Helmut Fohringer

Seit Jahrzehnten gibt es in der Schulpolitik keine echten Fortschritte, weil sich die im Parlament vertretenen Parteien bei den Themen Gesamtschule und Ganztagsschule einzementiert haben und zu keinen Kompromissen bereit sind. Nach den jüngsten Statements der Bildungssprecherinnen und -sprecher der im Parlament vertretenen Parteien im STANDARD ("Wann sollen sie getrennt werden?") sieht es auch nicht danach aus, dass es diesbezüglich in den nächsten Jahrzehnten zu einer Einigung kommen wird.

Alternative Ganztagsklassen

Dabei gibt es viel wichtigere Fragen als die Befürwortung oder Ablehnung der Gesamtschule. Zuallererst sollte man sich um die Kindergärten kümmern. Diese gehören aufgewertet und mit mehr Personal ausgestattet. Sie sind das Fundament jeder Ausbildung. Die Volksschule ist in Österreich eine Gesamtschule, aber niemand wird behaupten, dass es in den Volksschulen keine Probleme gebe.

Der Wissensstand der Volksschulkinder am Ende der vierten Klasse hängt neben dem sozialen Background der Eltern in erster Linie davon ab, ob die jeweilige Volksschule viele, wenige oder gar keine Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch hat. Daher sollte zunächst so rasch wie möglich für die Volksschülerinnen und Volksschüler stufenförmig eine ganztägige Betreuung mit verschränktem Unterricht angeboten werden. Vor allem für Kinder mit Defiziten in Deutsch, aber auch für alle sonstigen daran Interessierten auf freiwilliger Basis mit einer Aufnahmegarantie. Also Ganztagsklassen für alle, die diese brauchen oder wollen, statt einer verordneten Ganztagsschule ("Zwangstagsschule") für alle.

Pflichtgegenstand Informatik

Diese Regelung sollte später stufenförmig auch für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen eingeführt werden. Dann wäre auch die Wahl zwischen Mittelschule und Gymnasium nicht mehr so entscheidend. In den Mittelschulen sollten wieder Leistungsgruppen für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch eingeführt werden. Es gab und gibt auch sehr gute und engagierte Mittelschulen, deren Absolventinnen und Absolventen gerne von weiterführenden AHS und BHS aufgenommen werden. Und es gibt auch große Qualitätsunterschiede in den Gymnasien. Was u. a. es noch braucht:

· Finanzielle Verbesserungen für die Eltern, Schülerinnen und Schüler aus einem sozial benachteiligten Milieu, wie es zuletzt mit der Einführung des Gratisschulbuchs, der Schülerfreifahrt und von Stipendien praktiziert wurde.

· Die EDV-Kenntnisse aller Schülerinnen und Schüler gehören durch die Einführung des Pflichtgegenstandes Informatik für die Zehn- bis Vierzehnjährigen verbessert.

· Bei der Lehrerausbildung sollte es strenge Persönlichkeitstests vor Beginn des Studiums und eine mehr praxisorientierte Ausbildung geben.

· Der Einfluss der Parteien bei der Direktorenbestellung gehört beendet.

Mit Privatschulen mithalten

Die Schulen sollten aber auch nicht nur auf die Politik warten. Als frisch ernannter "roter" Direktor hatte ich schon 1982 die Vision, ein öffentliches Gymnasium, in dem man kein Schulgeld bezahlen musste, so zu leiten, dass es mit den besten Privatschulen des Landes mithalten konnte. Dazu gehörte etwa die enge Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft (Schulsponsoring), Englisch als Arbeitssprache in zumindest einem Gegenstand von der ersten bis zur achten Klasse und nicht zuletzt die Einführung von Informatik als Pflichtgegenstand von der ersten bis zur vierten Klasse. Das war übrigens schon im Schuljahr 2002/2003 möglich – als schulautonome Lösung. (Johann Hagenhofer, 1.2.2022)