Im Gastkommentar repliziert der frühere Grünen-Abgeordnete Karl Öllinger auf Aussagen des Kunst- und Medientheoretikers Peter Weibel im STANDARD-Interview.

Russlands Präsident Wladimir Putin.
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Den meisten Unterzeichner und Unterzeichnerinnen des offenen Briefes von Alice Schwarzer und anderen an den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Aufforderung, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern, nehme ich ihre ehrenwerten und ernsthaften Motive gerne ab, dem Mitunterzeichner Peter Weibel, der sich im STANDARD dazu erklärt, sicher nicht.

Zynische Ratschläge

Kann man glaubhaft für einen baldigen Frieden eintreten, wenn man so unverhohlen wie der österreichische Medientheoretiker Weibel die Position des russischen Aggressors einnimmt? Die Ukraine sei eigentlich kein wirklicher Staat, sondern ein "failed state", dem die Nationsbildung noch nicht gelungen sei, sagt Wladimir Putin – nein Weibel! Er weiß auch schon, wie ein Kompromiss nach seinem Geschmack aussehen müsste: die Krim, die Teilrepubliken Donbass, Donezk und Luhansk und zur Draufgabe auch noch der integrale Bestandteil der Republik Moldau (!), Transnistrien, müssten "endlich anerkannt" werden. Von wem? Transnistrien ist bislang nicht einmal von Russland anerkannt! Was an Weibels Beuteverteilung ist ein Kompromiss? Dürfen die Russen in seinem "Kompromiss" auch die geplünderten ukrainischen Güter – vom Getreide bis zu den Kunstschätzen – behalten?

Für die Ukrainer und Ukrainerinnen, die vor der russischen Aggression flüchten, hat der Medientheoretiker besonders zynische Ratschläge parat: Die Menschen, die aus den Kriegsgebieten des Ostens und Südens "kommen, könnten ja im Norden und Westen der Ukraine Sicherheit und Schutz finden". Sicherheit und Schutz natürlich nur, solange es Russland nicht neuerlich einfällt, in diese Gebiete einzufallen oder durch Raketen und Bomben zu verwüsten. Denn,meint Weibel, Widerstand vernichtet an einem bestimmten Punkt "das eigene Land". Also keine Sicherheit, kein Schutz! Da haben die Geflüchteten dann halt Pech.

Putins "Phantomschmerz"?

Die fünf Millionen, die "die Ukraine verlassen", fliehen – so der scharfe Blick Weibels – nicht allein vor dem Krieg, sondern "auch aus der korrupten Ukraine". Warum wollen dann aber so viele Geflüchtete so rasch als möglich wieder zurück in ihre Heimat?

Die Ursache der russischen Aggression sieht Weibel in Putins "Phantomschmerz". Nicht Großmachtträumen hänge Putin nach, sondern den gebrochenen Versprechen des Westens zur Nato-Erweiterung: "(...) immer wieder tauchen Dokumente auf, die genau dieses Versprechen belegen". Sorry, aber ein Memo-Zettel ist noch kein Dokument! Die Helsinki-Verträge (1975), die Pariser Charta (1990), das Budapester Memorandum (1994) und die Nato-Russland-Grundakte (1997) aber schon. In diesen Dokumenten geht es um die Souveränität der Länder, ihre territoriale Unverletzlichkeit, ihre Freiheiten, ihre Bündnisse selbst wählen zu dürfen. Im Budapester Memorandum verzichtete die Ukraine auf ihre Atomwaffen. Russland verpflichtete sich im Gegenzug zur Achtung ihrer Souveränität. Seit 2014 wissen wir, was davon zu halten ist.

Zynischer Höhepunkt

Ihren zynischen Höhepunkt erreichen die Weibel’schen Ausführungen aber, wenn er dem Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland das Wort redet, sie verharmlost, indem er sie mit Grafitbomben vergleicht. Den Einsatz taktischer Atomwaffen hält er für "durchaus realistisch, weil sie eben nicht mehr einen unkontrollierten, verheerenden Flächenbrand auslösen".

Kann man glaubhaft vor der Ausweitung zu einem dritten Weltkrieg, einem Atomkrieg warnen, wenn man taktische Atomwaffen verharmlost und den Standpunkt des Aggressors einnimmt? Ich finde, die UnterzeichnerInnen des offenen Briefs haben da ein Problem mit ihrem Mitunterzeichner Weibel, das sie dringend lösen sollten. (Karl Öllinger, 8.5.2022)