Dass die jungen Leute das Interesse an Politik verloren hätten, dem widerspricht die Rapperin, Slampoetin Yasmin Hafedh aka Yasmo in ihrem Gastkommentar.

Um Geschichte zu lernen, zu verstehen oder vielleicht sogar ein reges Interesse daran zu entwickeln, braucht man einen gewissen Abstand. In meiner Schulzeit waren die Verstrickungen zwischen dem alten Ägypten und dem alten Rom viel greifbarer, als wer wen in Europa geheiratet hat. Wobei, auch die Jahrhundertwende und die Zeit hin bis zum Ersten Weltkrieg war für uns Schülerinnen und Schüler damals greifbarer als die Lovestorys der Habsburger, die ja doch einige Hundert Jahre Europa geprägt haben. Vielleicht wollten wir auch einfach nichts von der Heiratspolitik wissen. Vielleicht muss ich meine Behauptung auch einfach zurückziehen. Oder vielleicht gibt es mehrere Wahrheiten, und vielleicht könnte mir Pallas Athene darauf Antwort geben.

Foto: Fatih Aydogdu

Athene, die wegen eines Fails ihres Vaters ihre Freundin Pallas verliert und sich ihren Namen dazunimmt. Die 1902 vor dem Parlament auf der Ringstraße enthüllt wird, als zweite Wahl – ursprünglich hätte es eine Allegorie der Austria werden sollen – und jedenfalls zeitloser ist, denn Grenzen wurden immer wieder verschoben, das passiert auch heute noch. Wenn auch nicht mehr durch Heiratspolitik – vielleicht könnte ich mich langsam doch mal dafür interessieren. Aber nein.

Streit und Austausch

Um Politik zu lernen, zu verstehen oder vielleicht sogar ein reges Interesse daran zu entwickeln, muss man mittendrin sein. Und welch Glück: Jeder Mensch ist mittendrin. Jeder Mensch kann ins Parlament gehen, am 14. und 15. Jänner, wo Tage der offenen Tür stattfinden und man sich das renovierte Haus genau ansehen kann. Aber das Parlament ist natürlich mehr als ein Haus, das renoviert wurde, eine neue Glaskuppel bekommen hat und einen goldenen Bösendorfer anmietet. Das Parlament ist Nationalrat und Bundesrat, ist Gesetzgebung und Streiterei, ist Austausch und Auseinandersetzung.

Das Parlament ist der Austragungsort der österreichischen Demokratie. Während der Sanierungsarbeiten wurde es umgesiedelt, zum Teil auf den Heldenplatz (kommen diese Häuser dort jetzt eigentlich weg?) und in die Hofburg, in der ich mich mal verirrte. Kleiner Schwank aus meinem Künstlerinnenleben: Ich hatte in einem anderen Raum der Hofburg einen Auftritt, begab mich dann auf die Suche nach Kaffee und wollte nicht noch einmal durch die Sicherheitskontrolle beim Eingang, also dachte ich, ich würde in dem Haus schon irgendwo einen finden. Ich folgte einem Kaffeeschild, öffnete eine der vielen Türen zu früh und stand plötzlich in einer Nationalratssitzung. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, und ich ging rückwärts durch den Türrahmen, es war mein "Homer Simpson geht rückwärts in die Hecke"-Moment. Schwank zu Ende – zurück zum Parlament, denn das muss nach vorn schreiten, in die Zukunft.

"Mit einfacher Message-Control wird man in Zukunft nicht mehr weit kommen, weil sie so durchschaubar ist."

Die Zukunft sind die jungen Leute, und denen wird immer wieder nachgesagt, sie hätten das Interesse an Politik verloren. Ich verstehe diese Aussagen nie, ich habe sogar den Eindruck, dass mit jeder heranwachsenden Generation auch mehr politisches Bewusstsein heranwächst. Natürlich ist es einfacher, Jugendlichen dieses Bewusstsein abzusprechen und ihnen Impulsivität vorzuwerfen, aber klug ist das in meiner Wahrheit nicht. Klug wäre es in meiner Wahrheit, der Zukunft zuzuhören und sie zu fragen, was sie braucht, was sie sich wünscht und was man dafür tun kann. Das sollte auch an einem Austragungsort der Demokratie passieren, denn man riskiert jede Glaubwürdigkeit, wenn man nur lange genug das Gespräch auf Augenhöhe vermeidet.

Die jungen Menschen von heute erkennen Effekthascherei und Phrasendrescherei auf eine Distanz, so lang können die Arme zum Weghalten der Phrasen auf Papier bei Altersweitsichtigkeit gar nicht sein. Man saugt Inszenierung durch die Demokratisierung von Öffentlichkeit, vor allem im Bereich der sozialen Medien, mit der Muttermilch auf. Die Jugendlichen heute haben vermutlich noch nie von Edward Bernays, dem "Vater der PR", gehört, wissen aber ganz genau, wie sie Öffentlichkeit für sich und ihre Themen nutzen und wo sie was platzieren. In meiner Vorstellung hat schon jede dritte jugendliche Person ein Social-Media-Beratungsunternehmen, und natürlich ist das eine Polemik, eine, die mir besser gelungen wäre, wäre ich nach 2000 geboren. Aber was ich sagen will: Mit einfacher Message-Control wird man in Zukunft nicht mehr weit kommen, weil sie so durchschaubar ist. Was wäre also eine Alternative? Ernstgemeinte Politik, ernstgemeinter Austausch auf Augenhöhe, wirklich interessierte Auseinandersetzung mit den Themen der Gegenwart und der Zukunft, von der wir vielleicht nicht mehr alle betroffen sein werden, aber in die wir einen Haufen Leute schicken.

Missstände und Schieflagen

Jugendlichen ihr politisches Bewusstsein abzusprechen und sie zu verteufeln, weil sie mit ihren Mitteln auf Missstände und politische Schieflagen hinweisen, ist zu einfach und zu kurz gedacht, und doch sieht man das immer wieder vorkommen in der Rhetorik, der "Propaganda" mancher Politikerinnen und Politiker. Aber die Jugendlichen sind ja wie alle Menschen mittendrin in der Politik. Und deswegen gehen sie auf die Straße, gründen Netzwerke, blockieren Straßen oder schmieren Zeug auf Glasscheiben, die Gemälde schützen. Die jungen Menschen stehen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, auf, um eine Zukunft zu haben. Und ich wünsche ihnen, dass sie in der Zukunft eine Zeit finden, in der der nötige Abstand zu all den Krisen und Herausforderungen der kommenden Jahre gegeben ist, um über die Geschichte zu schmunzeln.

Dort, wo Demokratie passiert, müssen Austausch und Auseinandersetzung und meinetwegen auch Streitereien stattfinden, denn nur so kommen wir weiter. Die nächste interaktive Staffel beginnt am 12. Jänner am Dr.-Karl-Renner-Ring 3. (Yasmin Hafedh, 7.1.2023)