Politologin Sieglinde Rosenberger schreibt in ihrem Gastkommentar über das Potenzial, das eine Mitte-links-Politik in Österreich hätte – auch angesichts des Rechtsrucks der ÖVP.

Links von der Sozialdemokratie konnte sich in Österreich bisher keine Partei dauerhaft und erfolgreich platzieren. Mitte-rechts-Mehrheiten mit traditionellen, konservativen und antiliberalen Ausrichtungen dominieren die politische Landschaft sowohl im Bund als auch in den Ländern – mit Ausnahme von Wien. Dennoch tragen Sozial- und teils auch Gesellschaftspolitik Mitte-links-Züge.

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Angesichts des massiven ÖVP-Rechtsrucks und des Steilflugs der FPÖ in Umfragen auf Kosten von SPÖ und ÖVP werden Bedenken über die demokratiepolitische und sozial-ökologische Zukunft laut. Anders gesagt: Wohin bewegt sich hierzulande die politische Mitte, und welche Rolle spielt dabei eine Mitte-links-Politik? Die aktuellen Analysen um die SPÖ-Parteiführung werden dominiert durch Überlegungen zu kommunikativen und elektoralen Strategien. Ob eine Mitte-links-Ausrichtung der SPÖ an der Wahlurne zukünftig erfolgversprechend sein kann oder ob auch sie einen Mitte-rechts-Kurs einschlagen sollte, das scheint die zentrale Frage zu sein.

Größeres Potenzial

Sozialdemokratische Positionen haben links der Mitte Potenzial, wie kürzlich im Gastkommentar von Silja Häusermann und Tarik Abou-Chadi hervorgehoben wurde. Mitte-links-Einstellungen sind demnach stärker in städtischen Milieus zu finden, neotraditionalistische in ländlichen Gegenden beheimatet. Die Stadtbevölkerung wächst. Allerdings wächst sie primär durch Zuwanderung, also durch Menschen, die in Österreich kein Wahlrecht besitzen. Diesbezügliche Reformüberlegungen werden durch eine rechte parlamentarische Mehrheit blockiert.

Politische Einstellungen entstehen über sozioökonomische und soziokulturelle Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung. Aber sie werden auch durch das politische Angebot hergestellt. Message-kontrollierte Politik macht Meinungen, Einstellungen und Bedürfnisse mittels hochmunitionierter Kommunikation. Erzählungen sickern von oben nach unten durch, die wählende Bevölkerung greift diese auf, erzählt sie nach. Meinungen werden also erzeugt und dann an der Wahlurne abgeholt. Migration und Impfen als die öffentliche Debatten dominierenden Themen sind augenscheinliche Beispiele dafür.

Wenn nun, wie gerade jetzt, mehr politische Parteien noch weiter nach rechts rücken, wenn rechts, rechtspopulistisch, rechtsextrem zur Gemengelage werden, dann mischt sich die politische Mitte inhaltlich neu. Die wachsende, ja asymmetrische Polarisierung durch die Normalisierung des Rechtsextremen bewegt die politische Mitte dorthin, wo bisher der rechtsextreme Rand war. Inhaltlich bedeutet dies eine Verortung außerhalb des Verfassungsbogens.

Fehlende Gegenpositionen

Schon jetzt fehlen Gegenpositionen zur ausgrenzenden Deutung im Politikfeld Migration und Asyl. In einer Zeit des massiven Arbeitskräftemangels wird Migration zum Thema Asyl verkürzt und primär als irreguläre, zu verhindernde Migration diskutiert. Um Konzepte und Programme, die Migration auch als gesellschaftliche und wirtschaftliche Chance und nicht nur als Problem begreifen, ist es in Österreich recht ruhig.

Damit der alte rechte Rand nicht die neue Mitte wird, braucht es ein prononciertes Mitte-links-Spektrum. Es braucht das konfliktbereite Engagement gegen antidemokratische Bewegungen und Parteien. Es braucht die öffentliche Rede für ein gesellschaftliches Grundverständnis, das sich an Eigenständigkeit, sozialer Mobilität, Anerkennung der Diversität und politischer Pluralität orientiert. Ein Mitte-links-Spektrum vergewissert sich einer selbstbewussten Mittelschicht als tragender Säule der gesamten Gesellschaft und behandelt die Marginalisierung von Wohnbürgerinnen und Wohnbürgern als ein Problem des gesellschaftlichen Zusammenhalts und nicht als Disziplinierungsmittel von Einzelnen.

Mitte-links-Positionen sind ein Hebel gegen das Autoritäre und Rückwärtsgewandte. Sie sollten gewährleisten, dass auch in der Parteienlandschaft zur Infragestellung von Menschenrechten Gegenstimmen laut geäußert werden, dass der Klimawandel nicht rückwärtsgewandt ignoriert wird. In einem weit nach rechts gerückten Land haben Mitte-links-Parteien eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, sich an prodemokratischen Erzählungen über Probleme und Lösungen zu beteiligen. Es geht darum, Mitte links wieder mit Inhalten ein Gesicht zu geben und die Abwanderung nach rechts zu stoppen – wo die moralischen Eckpfeiler und demokratischen Grundverständnisse fehlen, wo die Bedeutung der Vergangenheitspolitik zur Aufarbeitung der Pandemiepolitik verkommt.

Zur Mäßigung beitragen

Mit einer inhaltlich von Mitte links unterfütterten, zur Mäßigung beitragenden Politik hat die Sozialdemokratie eine Daseinsberechtigung und wohl auch eine elektorale Chance. Wenn Österreich die illiberalen ungarischen oder die nationalistisch-katholischen polnischen Verhältnisse vermeiden will, dann ist die politische Mitte mit sozialdemokratischen, grünen, liberalen Positionen und Debatten zu füllen und nicht, wie es sich andeutet, dem rechtskonservativen, rechtsextremen Rand zu überlassen. (Sieglinde Rosenberger, 21.3.2023)