Der hartnäckige Nebel, der uns bei der Anfahrt begleitet hat, lichtet sich endlich und gibt den Blick frei auf das Örtchen Le Brassus im Vallée de Joux. Hier präsentiert sich die Schweiz im Frühling wie auf einer Postkarte. Voll im Saft stehende Wälder, grüne Wiesen, Kühe, Landluft, am Horizont glitzert der Lac de Joux. Umrahmt wird die Szenerie von Berggipfeln. Es würde einen nicht wundern, kämen Heidi und der Geissenpeter gleich um die Ecke.

Station auf dem "Uhrmacherweg"

Die Luft ist rau hier oben, da und dort sind Schneereste zu sehen. Man kann sich gut vorstellen, wie die Bauern in den harten Wintern in ihren Stuben an feinmechanischen Kleinteilen für Uhrwerke herumfeilten, um sich ein Zubrot zu verdienen. Nicht umsonst gilt das ruhige, abgelegene Tal im Jura, nahe der französischen Grenze, als eine Wiege der Uhrmacherei. Namhafte Marken haben in der Gegend ihren Ursprung.

Das Hôtel des Horlogers wurde von der BIG (Bjarke Ingels Group) entworfen und von dem schweizerischen Architekturbüro CCHE gebaut. Die avantgardistische Architektur orientiert sich an der Topografie des Vallée de Joux. Flache Baukörper verlaufen in Zickzackform zu den Wiesen hinunter.
Hôtel des Horlogers/Maris Mezulis
Die 50 Zimmer kombinieren Verkleidungen aus Fichte, große Glaserker und glatten Beton.
Hôtel des Horlogers
Die avantgardistische Architektur orientiert sich an der Topografie des Vallée de Joux. Flache Baukörper verlaufen in Zickzackform zu den Wiesen hinunter.
Hôtel des Horlogers/Maris Mezulis
Die Innendekoration ist eine Hommage an die Landschaften des Vallée de Joux. Sie würdigt einheimische Materialien wie Holz und Stein. So ist die Decke über dem Rezeptionsbereich mit weißen Bäumen dekoriert –eine Anspielung an den Risoud-Wald, der sich im Lac de Joux spiegelt.
Hôtel des Horlogers

Als eine Station am Chemin des Horlogers, dem "Uhrmacherweg", der das Vallée mit Genf verband, wurde in Le Brassus 1857 das Hôtel de France eröffnet. Nach einer wechselvollen Geschichte wurde es vergangenes Jahr komplett neu erbaut, als Hôtel des Horlogers, nunmehr im Besitz der familiengeführten Luxusuhrenmarke Audemars Piguet, wiedereröffnet. Deren Hauptsitz samt sehenswertem Museum ist praktischerweise gleich nebenan.

Reizreduzierte Umgebung

Aber nichts an dieser Viersterneherberge deutet darauf hin. Im Gegenteil scheinen die Bauherren den Architekten Nachhaltigkeit und Zurückhaltung als oberstes Ziel ins Auftragsbuch geschrieben zu haben. Von der Straßenseite her betrachtet ist der Bau unscheinbar mit viel Holz verkleidet, verläuft auf der Rückseite zickzackförmig zu den Wiesen hinunter, wo ein Bach dahinmäandert. So kommt es, dass die Zimmer alle eine unterschiedliche Raumhöhe haben (bis zu sechs Meter).

Dank großzügiger Fensterfronten hat man in jedem der 50 Zimmer das Gefühl, mitten in der sich davor ausbreitenden, menschenleeren Grünfläche zu stehen. Vom Blick auf den umliegenden Wald soll nichts ablenken. Dafür sorgen die grauen Sichtbetonwände, beige Möbel, viel Holz und organisch designtes Interieur. In einer derart reizreduzierten Umgebung kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren – die Natur und die Zeit. Die macht sich allein durch das zuverlässige Schlagen der Kirchturmuhr bemerkbar. (max, 5.6.2023)