Ein Mann schwenkt eine Palästinaflagge im Hintergrund, vorne im Bild sind zwei Polizisten zu sehen
11. Oktober vor dem Stephansdom in Wien. Zur zuvor untersagten Pro-Palästina-Demonstration waren hunderte Menschen gekommen.
Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Im Jahr 2015 war ich am Westbahnhof dabei. Jeden Tag! Geklatscht habe ich selten, weil ich in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe gearbeitet habe. Optimistisch war ich damals. Ich dachte wie Angela. Ich dachte, wir schaffen das. Ich dachte, unsere westliche Lässigkeit muss man mögen und unsere Toleranz ist entzückend und wird sofort adaptiert. Shoppingcity statt Moschee. "Kronen Zeitung" statt Koran. Vögeln ohne Trauschein statt Juden hassen.

Wohnungen habe ich organisiert und Geld. Besonders um Deutschkurse habe ich mich bemüht. Irgendwann war ich dann zusammen mit dem Holocaust-Überlebenden Rudi Gelbard auf einer Israel-Solidaritäts-Demo. Das war am Al-Quds-Tag, und da habe ich einige meiner Schützlinge wieder getroffen. Leider waren zwei Dutzend Wega-Polizeibeamte zwischen uns, aber dafür kam das "Kindermörder Israel" praktisch akzentfrei. Gelobt seien die tüchtigen Deutschlehrer. Schade, dass das mit Wertekursen nicht so funktioniert hat. Seitdem gelte ich in meinen heimeligen, linken Kreisen als Verräter. Sorgen um unser Land darf ich mir nur machen, wenn die Sorgen mit der FPÖ zu tun haben. Eingewanderten Antisemitismus kann es nicht geben, sonst hätte die FPÖ ja recht, und das darf nicht sein.

Ganz andere Wünsche

Wobei: Die meisten der geflohenen Menschen haben ganz andere Wünsche. Gute Schulbildung für die Kinder, eine größere Wohnung, einen 20 Jahre alten VW Polo, einmal den FC Barcelona live spielen sehen oder eine Speziallampe für die verbotene Botanik im Abstellkammerl. An Machetenmorden, Bombenbauen oder Vergewaltigung, herrscht wenig Interesse. Würde ich meine Schützlinge fragen, wollt ihr eine Bombe basteln oder lieber ein Klimaticket haben, sie würden das Ticket nehmen.

"Wenn ich die Problemboys in diesen Tagen mit gereckter Faust am Stephansplatz sehen muss, wird mir buchstäblich übel."

Das Problem sind die Problemboys. Diese selbstbewussten Nichtswisser, die die unbarmherzige Welle zu uns gespült hat. Und ich weiß, von wem ich schreibe, weil ich hunderte Verfahren ehrenamtlich begleitet habe. Meist eine höchst fragliche Fluchtmotivation im Sinne des Asylrechts, aber aus meinem Selbstverständnis habe ich jedem geholfen, wie ich nur konnte. Aber wenn ich sie in diesen Tagen mit gereckter Faust am Stephansplatz sehen muss, wird mir buchstäblich übel. Wir haben keinen Platz für den folkloristischen Antisemitismus, den sie mitgebracht haben. Wer wegläuft, weil ihm sein Land nicht gefällt, muss sich an uns orientieren, und dazu war jetzt genug Zeit. Wer nicht verstanden hat, was geht und was nicht geht, muss weg. So schnell es irgendwie geht im Sinne des Rechtsstaats. Ab in Schubhaft und Tschüss im Idealfall. Feiere die Hamas-Mörder bei dir daheim. Baba und fall nicht.

Gaza und Gerasdorf

Manchmal diskutiere ich mit meinen arabischen Kollegen und mit Freunden aus den Wettbüros. Ich habe dann stets ein Fläschchen mit Beruhigungstropfen (fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker) dabei. Ich erkläre ihnen dann den Unterschied zwischen Gaza und Gerasdorf. Die Justizanstalt dort hat zum Beispiel keine Grenze zu Ägypten, und einige meiner arabischen Freunde kennen Gerasdorf. In Gaza waren sie noch nie. Und manchmal erkläre ich ihnen Israel. Zumindest geografisch. Von Gänserndorf nach Salzburg in der Länge und von Steyr nach Zwettl in der Breite. "Oida, und euer arabischer Kontinent ist riesengroß! Wäre Frieden nicht sexy? Lasst die Juden in Ruhe leben." Dann sagen sie sowas wie "Apartheidsstaat" oder "geraubtes Westjordanland", und dann nehme ich meine Tropfen (15 Tropfen direkt auf die Zunge) und wir reden wieder über Fußball. Nun, dumme Araber sind halt auch nicht gescheiter als dumme Österreicher.

"Viele Linke versagen, obwohl es so leicht wäre, das Richtige zu tun."

Kommen wir zu meinen linken Freunden. Selfies machen bei den Gedenken zu den November-Pogromen macht noch keine Auschwitzbefreier aus euch. Eingekifft auf der Friedhofstribüne "Antifascista" brüllen macht aus euch keine Geschwister Scholl. Das "Nie wieder" ist tatsächlich JETZT! Eine Stadt mit Juden, in denen sich die Juden bemühen müssen, nicht als solche erkannt zu werden, gibt sich selber auf. Wenn Menschen mit prekärem Aufenthalt gegen unsere Leute hetzen – und Juden sind fix unsere Leute –, dann müssen wir aus dem "prekären Aufenthalt" eben "keinen Aufenthalt" machen. Weg mit ihnen. Rasch und sofort! Wer Juden ins Meer treiben will, soll das in der Schubhaft besprechen mit Gleichgesinnten.

Loyal sein

Doch zurück zum Westbahnhof. Wir brauchen keine Antisemitismus-Fachkräfte importieren. Trotteln haben wir genug. Leider auch genug Linke, die bei den Hamas-Demos feuchte Augen bekommen und sich noch nicht positionieren, weil sie erst zuwarten wollen, ob die abgeschlachteten Babys nun geköpft oder "nur" verbrannt wurden. Viele Linke versagen, obwohl es so leicht wäre, das Richtige zu tun. Das Richtige wäre, loyal sein zu den Juden der Stadt, loyal sein zu Israel und loyal sein zu den vielen geflohenen Menschen, die sich ihr Leben aufbauen wollen.

Wien darf nicht Berlin werden, und dazu brauchen wir keinen Kanzler Herbert Kickl von der FPÖ, sondern Selbsterkenntnis, Entschlossenheit und Eier. Gehen wir es an. Wir sind das unserer Stadt schuldig. Unseren Leuten sowieso. (Götz Schrage, 24.10.2023)