Foto von einer Pride-Parade mit einer Menschenmenge und Regenbogenfahnen.
Für die 300.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Wiener Regenbogenparade soll zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden haben. Die Verdächtigen wurden zuvor festgenommen.
Christian Fischer

Für Österreichs obersten Staatsschützer Omar Haijawi-Pirchner war die Sache schon immer klar: Drei mutmaßliche Jihadisten im Alter von 15, 18 und 20 Jahren sollen heuer im Juni einen Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade geplant haben. Die entscheidenden Beweise dafür stehen allerdings bis heute aus. Alle Verdächtigen waren nach kürzester Zeit wieder frei. Nun dürften die Ermittler aber zeitnah einen wesentlichen Schritt weiterkommen.

Das deutet zumindest ein Dokument des Staatsschutzes aus dem Ermittlungsakt an. Darin wird die zuständige Staatsanwaltschaft St. Pölten ersucht, zwei brisante Rechtshilfeansuchen zu stellen.

Pläne in Telegram-Gruppe

Alle drei Verdächtigen, ein Brüderpaar mit bosnischen und ein Gymnasiast mit tschetschenischen Wurzeln, sollen nämlich in einer einschlägigen Telegram-Gruppe aktiv gewesen sein. Dort dürfte sich unter anderem ein amtsbekannter Jihadist aus Osteuropa getummelt haben, der mittlerweile in seinem Heimatland festgenommen wurde. Und die Chatverläufe auf dessen sichergestelltem Mobiltelefon sollen nun den Beweis dafür liefern, dass tatsächlich Terrorpläne rund um die Wiener Regenbogenparade gewälzt worden sein dürften. So lautet zumindest die Hoffnung der Ermittler.

Aus dem Verlauf soll hervorgehen, dass einer der Brüder mit dem ausländischen Jihadisten über einen Anschlag in Wien, konkret bei einer "gay parade", kommuniziert und in Aussicht gestellt habe, die dortigen Teilnehmer mit einem Auto überfahren und mit Messern attackieren zu wollen. Der jüngere Bruder wird verdächtigt, in der Chatgruppe angekündigt zu haben, ein großes Messer und ein AK-47 für seine angeblichen Anschlagspläne zu besorgen. Der Ältere soll ihn dabei zumindest "psychisch unterstützt" haben. Das zeigen Recherchen von STANDARD, Puls24 und APA.

Eine vermutete Ausreise nach Afghanistan

Aber das dürfte nicht alles gewesen sein. Der Jüngste im Bunde, auf dessen Smartphone etwa acht Bombenbaupläne und reichlich Propaganda der Terrormiliz IS gefunden wurden, wird verdächtigt, "terrorismusförderndes Propagandamaterial" erstellt und bearbeitet sowie in der Telegram-Gruppe eine Art Spendenwerbung für Waffenkäufe für den sogenannten Islamischen Staat der Provinz Khorasan (ISKP) betrieben zu haben. Der 15-Jährige habe in der Gruppe zudem avisiert, sich dem ISKP anschließen zu wollen, sobald er volljährig sei.

Beim ISKP handelt es sich um einen Ableger der jihadistischen Terrormiliz IS, der in weiten Teilen Afghanistans, Pakistans, des Iran und Zentralasiens aktiv ist. Die Mitgliederzahl des ISKP wird auf mehrere Tausend Personen geschätzt. Aus Sicht westlicher Dienste gewinnt der Ableger an Stärke. Auch Anschläge in Europa zählen zu erklärten Zielen.

Diese Informationen zum jüngsten Beschuldigten erhoffen sich die Staatsschützer ebenfalls von den Smartphonedaten eines anderen Jihadisten aus der Telegram-Gruppe. Offenbar konnten auch dessen Chatverläufe gesichert werden. Inwieweit der 15-Jährige aus Österreich in angebliche Anschlagspläne verwickelt sein könnte, bleibt allerdings unklar.

Beweise bisher nicht "gerichtsverwertbar"

Aber warum brauchen die Ermittler all diese Informationen überhaupt? Immerhin kam es im Zuge der Ermittlungen vor der Wiener Pride zu Razzien und Verhaftungen gegen das Dreiergespann?

Der Knackpunkt ist, dass die Verdachtslage der Staatsschützer auf Tipps eines ausländischen Partnerdienstes zurückgeht. Die Beweise sollen den Ermittlern zwar vorliegen, wie in Sicherheitskreisen stets betont wird, aber sie sind nicht "gerichtsverwertbar". Niemand außerhalb des Staatsschutzes darf einen Blick darauf werfen – auch nicht die Justiz. Die Ermittler mussten also zunächst die Handys der Verdächtigen sicherstellen, um an Chats, Bilder und Dateien zu gelangen. Die nötigen Beweise dürften sich aber nicht mehr darauf befunden haben. Deshalb versucht es der Staatsschutz nun mit Rechtshilfeansuchen im Ausland. Diese komplizierte Vorgangsweise wählt die Behörde deshalb, um ihren Tippgeber nicht offenlegen zu müssen und damit schützen zu können. (Jan Michael Marchart, 7.11.2023)