Demonstrierende, Sprecher in einem offenen Lkw, dahinter Zuschauer auf der Albertina-Stiege
Identitären-Gallionsfigur Martin Sellner hält bei einer Kundgebung im Sommer 2023 in Wien auf dem Helmut-Zilk-Platz eine Rede – just dort, wo das Mahnmal des Bildhauers Alfred Hrdlicka gegen Faschismus steht. Die Demonstration der rechtsextremen Bewegung stand unter ihrem Leitsatz "Remigration".
Foto: Christian Fischer

Einem Bericht des deutschen Recherchekollektivs Correctiv zufolge planten rechtsextreme Akteurinnen und Akteure bei einem geheimen Treffen in Potsdam die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Auch ein führender Kader der österreichischen Identitären hielt dabei einen Vortrag über das zentrale Thema der Zusammenkunft: "Remigration". Von den Identitären durch seine stetige Wiederholung popularisiert, ist der Begriff inzwischen in der politischen Debatte angekommen und wird von zahlreichen Politikerinnen und Politikern der extremen Rechten, so beispielsweise auch von den FPÖ-Politikern Herbert Kickl oder Christian Hafenecker, verwendet. Kaum bekannt ist jedoch, dass der Begriff ursprünglich aus der NS-Exilforschung stammt und erst von den Identitären erfolgreich umgedeutet wurde.

Simple Umdeutung

Seit ihrer Gründung nahm die Identitäre Bewegung von belasteten und eindeutig rechtsextrem geframten Begriffen Abstand und versuchte, über die Etablierung einer "neuen Sprache" und scheinbar harmloserer Botschaften die gleichbleibenden Inhalte zu propagieren. Wie erfolgreich die Gruppe mit dieser Strategie war, eigene, von ihr mit bestimmten Bedeutungsinhalten aufgeladene Begrifflichkeiten in bestehenden politischen wie auch gesellschaftlichen Diskursen zu verankern und somit diese auch in ihrem Interesse zu verändern, zeigt sich auch am Begriff "Remigration". Anstelle von (Massen-)Abschiebungen fordern Identitäre seit vielen Jahren eine solche. Was auf den ersten Blick wie eine neue Wortkreation als Alternative zu einem "belasteten" Terminus wirkt, kann jedoch als simple Umdeutungsstrategie entlarvt werden. Es handelt sich dabei nämlich um einen vor allem in der NS-Exilforschung etablierten Begriff, der eigentlich die Rückkehr von vor dem Nationalsozialismus geflohener Menschen umschreibt.

"Nicht vergleichbare historische Ereignisse werden in einen Topf geworfen."

Die Adaption von "Remigration" für identitäre Zwecke und die Durchsetzung des Begriffs im politischen Diskurs hat bedeutende Folgen. So werden dadurch nicht vergleichbare historische Ereignisse in einen Topf geworfen und damit der Nationalsozialismus letztlich auch verharmlost. Zugleich kommt es zu einer Aussparung des Umstands, dass jene Menschen zwar in postnazistische Länder zurückkehrten, der Krieg jedoch beendet war. Anders als im Falle einer Abschiebung "remigrierten" die im Exil lebenden Menschen zudem freiwillig. So erweckt das hier geschaffene Sprachbild für jene, die den Begriff kennen, auch positive Assoziationen: Nach der schrecklichen Zeit des Zweiten Weltkriegs konnten Menschen, die durch Flucht im Exil überlebten, (endlich) in ihre ehemals vertraute Umgebung zurückkehren.

In der identitären Adaption wird jedoch die damit verknüpfte Bedeutungsdimension des Exils beziehungsweise die wichtige Möglichkeit des Überlebens eines Krieges durch Flucht und Aufnahme in andere Länder abgespalten, und es kommt zu einer Resignifikation, einer Neubesetzung und damit Umdeutung des bisher unbelasteten Begriffs. Im Unterschied zu gänzlich neuen Begrifflichkeiten klingt in der Umdeutung bereits bekannter Wörter, wie Margret und Siegfried Jäger aus Sicht der Sprachwissenschaft (1999) unterstreichen, "das Neue vertraut und (...) dadurch glaubwürdiger".

Beschönigende Sprache

Die aktuellen Ereignisse und Debatten verdeutlichen, dass die identitäre Forderung nach "Remigration" inzwischen Eingang in aktuelle politische Diskussion und mediale Berichterstattung gefunden hat und dabei als Synonym für Massenabschiebungen verwendet wird. Langfristig geht es den Identitären um die Schaffung einer "ethnisch relativ homogenen Gemeinschaft", die unter den Voraussetzungen einer durch Migration geprägten Gesellschaft nur mit massiver Gewalt durchzusetzen wäre.

Insofern steht der Begriff der "Remigration" in der identitären Verwendung für nichts anderes als die massenhafte Deportation von Menschen, versucht aber mit einem harmlosen klingenden Begriff diese Forderung zu beschönigen. Es zeigt sich, dass Transformationen von Bedeutungsinhalten, Resignifikationen ebenso wie das Ersetzen bestimmter Begrifflichkeiten im etablierten Diskurs zu den sprachlichen Praktiken der Identitären zählen, die darauf abzielen, einen von ihnen geprägten, ganz neuen Diskurs zu starten.

Erkennen und dechiffrieren

Der Kampf um Deutungs- und Bedeutungshoheiten ist jedoch längst nicht abgeschlossen, so er das denn auch jemals sein kann. Gerade die Rechtsextremismus begünstigenden Faktoren wie eine steigende Akzeptanz von undemokratischen und antiegalitaristischen Einstellungen in der Gesellschaft lassen jedoch die Chancen auf einen veränderten, differenzierten, respektvollen und solidarischen Diskurs aktuell eher in die Ferne rücken. Dringend notwendig ist es daher, zu intervenieren und (diskursiv) gegenzusteuern. Dies bedeutet freilich zuallererst, rechtsextreme Artikulationsformen erkennen und dechiffrieren zu können, um sie als solche auch zu benennen. (Judith Goetz, 12.1.2024)