Raffiniert, wie da mit Genderrollen gespielt wird. Jesus hängt am Kreuz, er trägt eine Krone, aber auch ein prunkvolles Kleid mit allerlei Maschen und Silberketten verziert. Seine Gesichtszüge sind sanft und verklärt, seine Taille ist erstaunlich schmal. Aber handelt es sich überhaupt um Jesus in dieser femininen Darstellung?

Die heilge Wilfortis
Die heilge Wilfortis
Karin Cerny

Die heilige Wilgefortis ist eine Frau mit Bart, eine Vorfahrin von Songcontest-Gewinnerin Conchita Wurst, wenn man so möchte. Die bärtige Frau wurde nicht nur zur Fürbitterin aller Unverheirateten sowie Frauen, die Gewalt in der Ehe ausgesetzt waren, sondern auch zu einer queeren Ikone. In Wien gab es eine Drag-Queen, die vor ein paar Jahren Führungen in Museen angeboten hat und sich Tiefe Kümmernis nannte. Kümmernis lautet der deutsche Name dieser fiktiven Volksheiligen und Königstochter, die sich weigerte zu heiraten. Sie betete zu Gott, er möge sie verunstalten, um der Zwangshochzeit mit einem Heiden zu entgehen. So wuchs ihr ein Bart, woraufhin sie ihr wütender Vater kreuzigen ließ. Erstmals tauchte sie in den Niederlanden auf, obwohl ihr heidnischer Vater König von Portugal gewesen sein soll.

Die Loreto-Kirche in Prag
Die Loreto-Kirche in Prag
Karin Cerny

Es gibt zahlreiche Bilder und Schnitzarbeiten der Wilgefortis, auch im deutschsprachigen Raum, die Gebrüder Grimm nahmen sie in ihre Märchensammlung auf. Eine der beeindruckendsten, beinahe lebensgroßen Darstellungen der bärtigen Heiligen aber ist in Prag zu finden, in der Loreto-Kirche, die direkt neben der Burg auf dem Hügel liegt ­– und eine Oase der Ruhe ist. Nur weniger Touristen verirren sich hierher, obwohl der barocke Gebäudekomplex ein faszinierender Kosmos ist. In einem Seitengang hängt die Kümmernis, aber auch das kleine Museum ist eine Wunder- und Schatzkammer. In einem abgedunkelten Raum stehen Monstranzen und Kelche von unschätzbarem Wert.

Die heilige Agathe
Die heilige Agathe
Karin Cerny

Die Monstranz Prager Sonne von 1699 ist mit 6.222 Diamanten geschmückt, hergestellt wurde sie 1699 in einer Wiener Goldschmiede. Aber auch allerlei Reliquien finden sich in dem Museum und ein riesiges Gemälde von der Heiligen Agathe, die ihre abgeschnittenen Brüste selbstbewusst auf einem Tablett präsentiert. (Karin Cerny, 12.6.2023)