ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher, "Kleine"-Chefredakteur Hubert Patterer, ProSiebenSat1Puls4-Infodirektorin Corinna Milborn in "Milborn".

Foto: Puls 24

Die ressortzuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP) ist nicht dabei, als Corinna Milborn die aufregende Debatte um das geplante ORF-Gesetz ins Puls-24-Studio holt – zu sehen Mittwoch um 21.15 im linearen Programm und unter diesem Link. Spoiler: Es wird um das "ordnungspolitische Versagen" der Medienpolitik gehen, um "sicher verspätete" Reaktionen der verlegerischen Medienhäuser, um leider nicht mögliche Entpolitisierung des ORF und um ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnhers Hand im Feuer.

"Ordnungspolitisches Versagen"

Für Hubert Patterer, Chefredakteur der "Kleinen Zeitung", ist das geplante ORF-Gesetz mit einer Haushaltsabgabe für alle und mehr digitalen Möglichkeiten für den ORF "ein großes ordnungspolitisches Versagen letzter Klasse".

Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer weist den Vorwurf neuerlich zurück und verweist wie zuletzt im STANDARD-Interview auf die neue Journalismusqualitätsförderung, es gebe so viel öffentliches Geld wie nie zuvor für private Medien.

Förderungen und ORF-Beiträge

Zur Einordnung der aktuelle Stand der Medienförderungen für Private:

  • Geplante Journalismusförderung von 20 Millionen Euro pro Jahr für Verlage und Onlinemedien,
  • Presseförderung für Kaufzeitungen rund acht Millionen,
  • Privatrundfunkförderung 20 Millionen plus fünf für nichtkommerzielle Sender,
  • Digitaltransformationsförderung für private Medienhäuser 2022 zum Start 54 Millionen und nun jährlich 20.
  • 13,5 Millionen aus dem Fernsehfonds gehen großteils an ORF-Produktionen.
  • Die teilweise als informelle Medienförderung verstandenen Werbebuchungen öffentlicher Stellen liegt bei rund 200 Millionen Euro pro Jahr.

Der ORF erwartet für 2023 676 Millionen Euro aus GIS-Gebühren, ab 2024 soll der ORF-Beitrag 710 Millionen bringen. Mit einer Milliarde Umsatz inklusive Werbeeinnahmen ist der ORF der weitaus größte Medienkonzern im Land, etwa so groß wie alle Zeitungshäuser zusammen, vielfach größer als alle Privatrundfunkunternehmen im Land gemeinsam.

Geld für öffentliche Aufträge

Die Finanzierung aus GIS oder künftig ORF-Beitrag "bemisst sich an den Leistungen, die wir erbringen müssen", wendet ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher ein. Der ORF müsse dafür gesetzlich definierte Aufträge und Aufgaben erbringen.

"Der Gesetzesentwurf stärkt nur den ORF", moniert Corinna Drumm, Geschäftsführerin des Privatsenderverbands: "Der ORF bekommt Onlinefreiheiten, fast unlimitiert. Er ist jetzt schon der größte Onlineanbieter in Österreich. Ich weiß nicht, welche Freiheiten er noch braucht."

Werbebeschränkungen

Im Gesetzesentwurf geplante Beschränkungen der Radiowerbezeiten des ORF bedeuteten aus ihrer Sicht keine reale Einschränkung – die ORF-Radios seien ohnehin nicht ausgebucht, argumentiert Drumm. Sie verlangt weitergehende Beschränkungen für Radio und zudem für TV-Werbung im ORF.

"Faire Wettbewerbsbedingungen"

Patterer vermisst auf dem Weg zu einem neuen ORF-Gesetz mit einer neuen Finanzierung eine grundlegende Evaluierung und zeitgemäße Neudefinition dieser Aufgaben des ORF, die Anpassung seiner Strukturen und Angebote daran. Er betont aber ebenso, dass er den ORF nicht schwächen wolle: "Der ORF soll stark sein, soll vital sein, ich glaube, dass das Land diesen ORF als Identitätsklammer benötigt."

Aber, so Patterer: "Es geht um die ureigenste Aufgabe von Politik in diesem Land, faire Rahmenbedingungen, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Bereich und den Privaten. Auch in Hinblick auf mögliche politische Radikalisierungen, die uns noch ins Haus stehen."

"Es geht um einen guten Ausgleich", sagt auch Maurer und erklärt den Ansatz so: "Der ORF bekommt nicht alle Freiheiten, der ORF muss sparen. Er hat Vorgaben und Rahmenbedingungen, die die Privaten alle nicht haben. Natürlich gilt es parallel die privaten Medien zu unterstützen. Wir haben so viel Geld, und zwar qualitätsvergeben, in diesem System, wie nie zuvor. Ansonsten hat sich die Politik nicht einzumischen."

"Unding" Politeinfluss

Warum lässt der Gesetzesentwurf aber den Politeinfluss auf die ORF-Gremien – die ÖVP hat derzeit eine Mehrheit im Stiftungsrat – unverändert? Maurer: "Die Grünen waren immer für eine Gremienreform und sind das auch weiterhin. Es liegt an den anderen Parteien in diesem Land. Diese Veränderung der Strukturen haben nur die Grünen und die Neos auf der Agenda."

Und Maurer fügt zum Besetzungsmodus der ORF-Gremien noch an: "Ich halte das auch für ein Unding, aber es ist in der jetzigen politischen Konstellation nicht änderbar, das muss ich zur Kenntnis nehmen." Sie wartet gespannt, wie der Verfassungsgerichtshof diesen Besetzungsmodus – voraussichtlich bis Sommer 2023 – beurteilt.

Thurnhers Hand im Feuer

Hier kommt die Hand der Radiodirektorin ins Spiel: "Wie der Stiftungsrat besetzt ist und beschickt wird, ist die eine Sache. Dass die Redaktionen unabhängig arbeiten können und sich nicht davon beeinflussen lassen, dafür möchte ich gerne meine Hand ins Feuer legen."

Und wo wir schon beim Wehtun sind: Maurer hat bei Patterer offenbar einen Punkt getroffen. Sie vermutet, dass Österreichs private Medienhäuser die Digitalisierung nicht im nötigen Tempo mitgemacht hätten.

Patterer räumt ein: "Die Branche hat sicher zu spät reagiert auf Umbrüche, möglicherweise auch nicht innovativ genug und nicht entschlossen genug und nicht schnell genug."

Digitales Freibier-Produkt

ORF.at jedoch sei eine "staatlich geförderte digitale Gratiszeitung, ein digitales Freibier-Produkt, das gut gemacht ist, ich nutze es selbst gerne." Es könne "sich keine Zeitung leisten, ihre aufwendig erstellten Inhalte zu verschenken. Darum geht es."

Denn, so Patterer: "Wir sind gezwungen, die qualitativen Segmente des digitalen Angebots hinter eine Bezahlschranke zu stellen. Der ORF nicht. Das ist die Asymmetrie im Wettbewerb. Da muss man etwas tun, wenn man nicht will, dass es diese Zeitungen nicht mehr geben wird."

Patterer an die Grünen-Klubchefin: "Da laden Sie meiner Meinung nach Verantwortung und, wie ich meine, Schuld auf sich, wenn das so kommt und die Regierung nicht zur Vernunft kommt und sagt: Bitte setzen wir uns noch einmal zusammen mit allen Experten an einen Tisch und reden wir miteinander." (fid, 10.5.2023)