Dass Volksparteien den Ultrarechten die Tore zur Regierung öffnen, sieht Politikwissenschafter Günther Pallaver in seinem Gastkommentar mit Sorge.

Nehammer, Meloni, in Rom
Bundeskanzler Karl Nehammer Anfang Mai in Rom zu Besuch bei Postfaschistin und Premierministerin Giorgia Meloni.
Imago / Zuma Wire / Fabio Frustaci

Als Benito Mussolini nach dem Marsch auf Rom 1922 vom König mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, lag der Partito Nazionale Fascista bei rund 6,5 Prozent. Bei den Wahlen 1921 hatten die Faschisten im Blocco Nazionale mit Liberalen und Nationalisten kandidiert und auf 535 Parlamentssitze lediglich 35 Mandate erobert. Bei der Vertrauensabstimmung im Parlament stimmten auch die Popolari – die Christdemokraten – für den Duce. Drei Jahre später regierte Mussolini bereits alleine.

Als Adolf Hitler im Jänner 1933 mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, lag die NSDAP nach den Wahlen vom November 1932 bei 33,1 Prozent. An seiner Regierung beteiligten sich neben kleineren Parteien auch Zentrumspolitiker. Gut einen Monat später regierte Hitler bereits alleine.

Popolari und Zentrumspolitiker hatten sich der Illusion hingegeben, die Faschisten beziehungsweise die Nationalsozialisten durch die Regierungsbeteiligung "einrahmen" und damit domestizieren zu können. In Rom und in Berlin wurden sie schnell eines Besseren belehrt und landeten im Confino und in den Konzentrationslagern.

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Im Vergleich zu heute gab es andere Rahmenbedingungen, Faschisten und Nationalsozialisten hatten sich den Weg zur Macht unter anderem auch durch die Anwendung von Gewalt geebnet. Trotzdem fallen einem solche historischen Beispiele ein, wenn man sich aktuell die Haltung von Parteien ansieht, die zur politischen Familie der Volkspartei (Christdemokraten) zählen. Es fällt nämlich auf, wie immer öfter Volksparteien ultrarechten Parteien das Tor zur Regierungsbeteiligung öffnen und damit einen wesentlichen Beitrag zu deren Salonfähigkeit beitragen. Mit Folgen.

Aktuelle Beispiele

In Italien regiert nach den Wahlen vom September im Jahr 2022 die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (26 Prozent) mit Lega, Noi Moderati und Forza Italia. Forza Italia ist Mehrheitslieferant und Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP). Bei den Wahlen zum schwedischen Parlament im September 2022 sind die rechtsextremen Schwedendemokraten mit 20,5 Prozent nach den Sozialdemokraten zur zweitstärksten Partei aufgerückt. Die Moderate Sammlungspartei, Mitglied der EVP, bildet zusammen mit den Liberalen und den Christdemokraten die neue Regierung und wird von den Schwedendemokraten von außen unterstützt. Diese Formel hatte es Jahre zuvor bereits in Kopenhagen mit der Dänischen Volkspartei gegeben.

In Finnland sind die Wahren Finnen mit 20,1 Prozent knapp hinter der konservativen Nationalen Sammlungspartei (20,8 Prozent) auf Platz zwei gelandet. Zur Bildung einer Regierung dieser beiden Parteien mit anderen, kleineren Zentrumsparteien wird derzeit verhandelt. Die Nationale Sammlungspartei ist Mitglied der EVP.

"Die Türöffner für die Ultrarechten gehören der EVP an."

Nach den Wahlen des Jahres 1999 öffnete die ÖVP, ebenfalls Mitglied der EVP, der rechtspopulistischen FPÖ die Tür zur Regierungsbeteiligung. Damals verhängte die EU noch (kurzzeitige) Sanktionen. Weitere Regierungen nach diesem Muster folgten. Nach den heurigen Landtagswahlen in Niederösterreich und Salzburg gibt es starke Vorboten, dass die ÖVP nach den nächsten Nationalratswahlen zum Steigbügelhalter der FPÖ wird.

Die Türöffner für die Ultrarechten – der Einfachheit halber seien rechtsextreme, rechtspopulistische, national- und rechtskonservative Parteien so benannt – gehören der EVP an. Die rechts davon angesiedelten Parteien, die Wahren Finnen und die FPÖ, befinden sich in der EU-Fraktion Identität und Demokratie, in der auch die Lega und die Alternative für Deutschland vertreten sind. Fratelli d’Italia und die Schwedendemokraten gehören der EU-Fraktion Europäische Konservative und Reformer an. In ihren Reihen finden wir unter anderem die spanische Vox und die polnische PiS.

Der EU abgeneigt

Die Öffnung zu den Ultrarechten hat Folgen. Ganz allgemein betrachtet nimmt die Politik der Exklusion zu. Nicht von ungefähr warnen diese Parteien eindringlich vor einem "Bevölkerungsaustausch", dem Lieblingsthema der Identitären. Während der österreichische und bundesdeutsche Verfassungsschutz vor den Identitären warnen, bagatellisieren die Volksparteien die Forderung ihrer Koalitionspartner nach ethnisch homogenen Nationen.

Die Ultrarechten sind keine Freunde des europäischen Integrationsprozesses und fordern eine Abkehr vom supranationalen Charakter der EU. Die einzelnen Staaten sollten wieder das Zepter der Politik übernehmen, eine langjährige Forderung der ungarischen Fidesz des illiberalen Viktor Orbán und der polnischen PiS von Jarosław Kaczyński.

Annäherung an Fratelli d'Italia

Was in einzelnen Mitgliedsstaaten geschieht, könnte auch auf EU-Ebene erfolgen. Die EVP überlegt seit längerer Zeit Varianten, um eine Neuauflage der "Ursula-Koalition" nach den Europawahlen 2024 zu verhindern. Die Annäherung der EVP an Fratelli d’Italia weist in diese Richtung.

So gesehen geht die Gefahr von Einschränkungen der Demokratie, Verletzungen der Menschenwürde sowie Aushebelung des europäischen Integrationsprozesses weniger von den ultrarechten Parteien aus, sondern von den Volksparteien, die diesen die Tore zur Regierungsbeteiligung öffnen. (Günther Pallaver, 24.5.2023)