In seinem Gastkommentar antwortet der Philosoph und Essayist Franz Schuh auf Markus Hinterhäuser. Der Festspielintendant kritisierte im STANDARD-Interview den "abgenutzten Aktionismus" der Proteste gegen Schwarz-Blau.

Salzburger Festspiele
Was bedeutet die schwarz-blaue Koalition unter Landeshauptmann Haslauer für die Kultur im Bundesland Salzburg und die Festspiele?
Foto: APA / Barbara Gindl

Genau kann ich mich nicht erinnern. Aber das hat man ja öfter bei posttraumatischen Störungen: Die Erschütterungen lassen kein klares Bild von den Ursachen zurück. Die Wucht des Pathos macht mir immer noch zittrige Knochen. Ich spreche von einem Werbespot der Salzburger Festspiele, den das Fernsehen rauf- und runterspielte. Man sah eine eherne Grafik mit der unterschwelligen Botschaft, wer jetzt nicht auf Knie fällt, der fällt nimmermehr auf die Knie: Es sind Festspiele in Salzburg!

Wofür stehen die Salzburger Festspiele? Natürlich für das Höhere. Aber für Menschen, die sich durch die Niedrigkeiten des Daseins wühlen müssen, die zum Beispiel gegen die FPÖ-ÖVP-Koalitionen auf die Straße gehen, ist das Höhere nur schwer erkennbar. Wir sind froh, wenn einer der klügsten Menschen unseres Landes, der Kulturmanager und Pianist Markus Hinterhäuser, es uns richtig vormacht. Ich komme um das Geständnis nicht herum, dass Landeshauptmann Wilfried Haslauer für mich ohnedies von jeder Kritik exkulpiert ist. Er hat vor seinem Schulterschluss mit der FPÖ die beste Analyse dieser Partei geliefert: Ihre "Tonalität" erinnere ihn an die Zwanzigerjahre, und nachdem er dies als leitender Politfunktionär der ÖVP und der Nobelprovinz Salzburg gesagt hat, darf er aus meiner Sicht koalieren, mit wem er will. Er hat seine Schuldigkeit getan.

Vernünftiger Opportunismus

Ein Wort ergibt das andere, das Wort "Tonalität" verweist auf "Kulturaffinität". Der höchste Kulturfunktionär Österreichs, der Intendant der Salzburger Festspiele, hat dem STANDARD ein Interview gegeben, das keinen Zweifel daran lässt, dass er privat die Tonalität der FPÖ genauso abscheulich wie einst der Landeshauptmann empfindet. Ich empfinde auch, dass Hinterhäuser vollkommen recht hat, wenn er die politischen Ohnmachtsbezeugungen so klug analysiert: "Wir haben seit der ersten Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000 viele Male diesen abrufbaren, mittlerweile auch ziemlich abgenutzten Aktionismus erlebt. Man sollte nicht immer in dieselbe Falle tappen: Will man eine Position gegen die FPÖ formulieren, und es gibt viele gute Gründe dafür, dann muss man eine politische Antwort finden."

Rechthaben ist in dieser Welt auch nicht immer alles, vor allem wenn es allein vom höheren Standpunkt aus geschieht. Vom höheren Standpunkt aus kann man sehr schön jeden Versuch, der als Protest noch möglich ist, delegitimieren. Das ist dann eine Voraussetzung dafür, dass man den eigenen Opportunismus legitimiert: "Die Kultur", sagt der Intendant, "liegt bei Wilfried Haslauer und Stefan Schnöll und ist dort gut aufgehoben. Ich habe Vertrauen in beide und nicht den geringsten Anlass, an ihrer Integrität zu zweifeln. Ich wüsste auch nicht, wo oder wie die FPÖ in dieser Koalition Einfluss auf die Salzburger Festspiele nehmen könnte."

Er lobt Politiker wie einst Horaz den Gaius Maecenas und den Kaiser Augustus. Das ist bei Hinterhäuser Opportunismus, aber kein verächtlicher. Es ist ein vernünftiger Opportunismus, denn wie sollte ein Intendant die Heerschar seiner Künstler auch nur stellvertretend zu einer einstimmigen Stellungnahme gegen das Salzburger Polit-Establishment bringen? Der Opportunismus rühmt sich stets seiner Fähigkeit, die Realität erkennen und anerkennen zu können. In Hinterhäusers Interview geht das so: "Mir ist diese Koalitionsvariante alles andere als sympathisch, ich habe sie mir nicht gewünscht, aber sie ist nun einmal Realität."

Markus Hinterhäuser
"Auch wenn es nicht jedem gefallen wird, ich bin da relativ gelassen. Die Festspiele haben schon einiges erlebt und auch überlebt": Festspielintendant Markus Hinterhäuser im Interview mit dem STANDARD.
Foto: Franz Neumayr

Als Utopist bin ich Anhänger des großen über die Menschheit verhängten Noch-nicht. Wir auf der Straße sind ungeduldig, wollen jetzt schon dilettantisch verhindern, dass wiederkehrt, was man von den entsprechenden Diktaturen längst kennt. Niemals tun sie den großen Kulturtankern etwas an, weil sie für ihre Propaganda den Schöngesang, den Schönklang und die mephistophelischen Schauspielerstimmen gut brauchen können – ebenso wie die Gretchentöne der großen Schauspielerinnen. Mir gefällt es und ich stimme mit Hinterhäuser ohne alle Ironie überein: "Auch wenn es nicht jedem gefallen wird, ich bin da relativ gelassen. Die Festspiele haben schon einiges erlebt und auch überlebt."

Freiheitlicher Einfluss

Einige haben allerdings nicht überlebt, aber man braucht gar nicht an die Zwanzigerjahre zu denken. Viktor Orbán genügt. Ich weiß, wie die FPÖ, wenn auch noch nicht in dieser Koalition, Einfluss auf die Salzburger Festspiele nehmen wird. Was die propagierte Orbánisierung anstrebt, wird man auf der Bühne im Großen und Ganzen überleben. Nur die Kultur-Apparatschiks in der Verwaltung und überhaupt das Hintergrundpersonal, vom Intendanten bis zum letzten Pförtner, werden ausgewechselt und durch die eigenen Parteigänger ersetzt.

Als Dilettant des politischen Protestes, der die Straße als vorübergehenden Ort benützt, behaupte ich, dass der Bühnenhumanismus gar keinen politischen Ort hat. Deshalb kann er leicht reden. Die Bühne kompensiert bloß, dass es auf der Welt nichts von dem gibt, wofür sie sich im Festspiel leidenschaftlich einzusetzen scheint. Auch die schrecklichsten Tragödien, die fürs Publikum gemacht sind, kann man nicht mit dem vergleichen, was den einzelnen Menschen im Leben tatsächlich trifft. Die Kunst, sagt Thomas Bernhard, ich glaube, in den Alten Meistern, hilft gar nichts angesichts des Todes eines geliebten Menschen. Allerdings ist "die Kunst" nach meiner Meinung für so eine Hilfe, für eine derartige Assistentenrolle gar nicht da. Der Bühnenhumanismus ist förderungswert und er ist besichtigungswert, weil er Ideale, Ideen, Mythen und Darstellungsweisen tradiert, die sonst – und mit ihnen ihre Bedeutung – überhaupt verschwinden müssten. Das Festspiel bringt davon nur das Beste den Reichen und Schönen und es gibt – in der Demokratie – selbstverständlich verbilligte Restkarten für andere, die nicht so "well off" sind.

Hand in Hand

Da haben wir’s: Die Dilettanten auf der Straße – sie sind ins Leere laufende Aktionisten, und auf der Bühne die Profis, die, sieht man von ihren opportunistischen Reflexen ab, das Höhere für die ewige Beschaulichkeit verwalten. Brecht schau obe!, aber den wollten sie in Salzburg mit ihren guten Gründen nicht haben. Schön wär’s, ginge die Netrebko, Hand in Hand mit der Garanča, gleich hinter Hinterhäuser bei unserer Protestdemonstration gegen die ÖVP-FPÖ-Koalition voran. Aber das spielen sie nicht.

Demonstration gegen Schwarz-Blau in Salzburg
Protest auf der Straße gegen die Koalition von ÖVP und FPÖ Ende Mai in Salzburg.
Foto: APA / Franz Neumayr

Zum Glück gibt es wenigstens eine Stelle in Hinterhäusers STANDARD-Interview, an der das austriazistisch Niedrige, also ganz unser Niveau, schlagend wird. Hinterhäuser polemisiert im Interview gegen den Demonstranten Cornelius Obonya, dessen Aufruf zum Protest dem Intendanten "von einer bemerkenswerten gedanklichen Schlichtheit" erscheint. Na ja, wer den Jedermann im Programm hat, hat leicht von jeder Schlichtheit genug. Im Burgenland, führt der Intendant politologisch aus, gab’s zwischen 2015 und 2020 eine SPÖ-und-FPÖ-Koalition. Diese Koalition verleitet ihn zum Sager: "Und wer hat 2019 in St. Margarethen die Zauberflöte inszeniert? Cornelius Obonya. Da scheinen seine Berührungsängste nicht besonders ausgeprägt gewesen zu sein."

Aus dem Ausland schicken die Leute ihre Kinder zum Wadlbeißen-Lernen nach Österreich. Aber dass ein Intendant der Salzburger Festspiele einen ehemaligen Jedermann anprangert – dass ich sowas noch erleben darf! (Franz Schuh, 16.6.2023)