Für Ummu Salma Bava von der Jawaharlal Nehru University in Indien ist es problematisch, den Krieg in der Ukraine aus einer binären politischen Sichtweise von Demokratie und Autokratie zu betrachten. In ihrem Gastkommentar erläutert sie das aus der Perspektive des Globalen Südens.

Banksy Graffiti Ruine Borodjanka Ukraine
Ein Kampf Demokratie gegen Autokratie? Der Künstler Banksy hat den Krieg auf seine Art in Borodjanka verarbeitet.
Foto: Imago / Kyodo News

Der Krieg in der Ukraine erweckt den Eindruck einer Rückkehr des Kalten Krieges. Insbesondere im Westen und in Europa hat er eine neue politische Agenda erzeugt, in der Demokratien und Autokratien einander gegenübergestellt werden. Dieses Konstrukt treibt eine politische Polarisierung zwischen Staaten voran, die sich auf internationaler Ebene auch als Nord-Süd-Debatte zeigt. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich um ein neues Modell handelt, ist, dass die politische Spaltung nicht auf wirtschaftlicher Ebene stattgefunden hat.

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat das Fehlen eines demokratischen politischen Systems in Russland oder China den Westen und die Europäische Union nicht davon abgehalten, eine wirtschaftliche Zusammenarbeit einzugehen und Investitionen in und Handel mit diesen Ländern zu verstärken. Unterstützung für die Ukraine nun als Verteidigung der Demokratie darzustellen entspricht einer Vereinfachung, die weltweite Unterstützung hervorrufen soll. Tatsächlich vernebelt sie aber das Problem und verschleiert auch die Tatsache, dass alle europäischen Länder auch nach der Annexion der Krim durch Moskau im Jahr 2014 noch Geschäfte mit Russland gemacht haben.

Grobe Vereinfachung

Der Krieg in der Ukraine hat zu viele Dimensionen, als dass man ihn einfach auf eine Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie reduzieren könnte. Eine solche grobe Vereinfachung ignoriert die unterschiedlichen Stufen und Qualitäten der westlichen und europäischen Demokratien. Denn die Aushöhlung der Demokratie zeigt sich auch in Europa, insbesondere durch das Erstarken von Parteien rechts der Mitte und deren Verachtung für Minderheiten, Migration und die engere Verflechtung der europäischen Staaten.

Die demokratische Kehrtwende, wie sie in den jüngsten Fällen Ungarns und Polens in der Auseinandersetzung mit der Europäischen Union zu beobachten ist, unterstreicht diesen Punkt deutlich: Auch die westlichen Demokratien befinden sich heute in einer Krise, da populistische Parteien auf dem Vormarsch sind und die Demokratie ins Hintertreffen gerät.

Westliche Interessen

Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges haben sich der Westen und Europa intensiv bemüht, weltweit politische Unterstützung für eine derartige binäre Deutung zu gewinnen. Dabei haben sie nicht bedacht, dass auch nichtwestliche Staaten eine Strategie verfolgen, um ihre Interessen zu wahren, und sich nicht einfach einreihen, weil in Europa ein Krieg ausgebrochen ist.

Aus der Perspektive des Globalen Südens ist es problematisch, den Krieg in der Ukraine aus dieser binären politischen Sichtweise von Demokratie und Autokratie zu betrachten, da sie nur darauf abzielt, die Interessen des Westens zu bedienen und zu wahren. Auch weil mächtige westliche Länder in der Vergangenheit selbst gegen internationales Recht verstoßen haben, indem sie ungestraft in Ländern interveniert haben, lässt sie das für einige im Globalen Süden nun heuchlerisch wirken.

Naive Dualität

Für die große Mehrheit des Globalen Südens ist die Realität ein Mosaik von Entscheidungen, die ausgehandelt, genutzt und ausgeglichen werden müssen. Eine duale Weltordnung, die Länder zwingen soll, sich für eine Seite zu entscheiden, ist sehr folgenreich und mit hohen Kosten verbunden. Die Reduzierung der Kriegserklärung auf das naive politische Argument einer solchen Dualität hat deutlich gemacht, wie der Westen und Europa Moskau in der Region unterstützten, solange ihre wirtschaftlichen Interessen nicht gefährdet wurden. Sie sahen sich gezwungen, Sanktionen zu verhängen und ihre Energiebeziehungen zu Russland im Hinblick auf einen Krieg zu überdenken, von dem sie glaubten, dass er nicht eintreten würde.

Um den Druck auf Russland zu erhöhen, drängte der Westen auch die Opec-Länder, die allesamt keine Demokratien sind, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland einzuschränken – jedoch ohne großen Erfolg. Offensichtlich hat sich die neue geopolitische Spaltung zwischen Demokratien und Autokratien nicht auf die geoökonomische Ebene übertragen. Wenn überhaupt, dann hat sie zu einer größeren wirtschaftlichen Abhängigkeit von wichtigen globalen Akteuren wie China geführt, die keine Demokratien sind.

"Wenn das Völkerrecht auf eine solche Binarität reduziert wird, liefert es ein gefährliches Argument und einen Präzedenzfall für die 'Verteidigung der Demokratie' auf der ganzen Welt."

Die Debatte über den Krieg in der Ukraine wurde vom Westen und Europa auf die Verteidigung der Demokratie reduziert, während es eigentlich um die Verteidigung und Unantastbarkeit der Grenzen zwischen den Staaten gehen sollte. Wenn das Völkerrecht auf eine solche Binarität reduziert wird, liefert es ein gefährliches Argument und einen Präzedenzfall für die "Verteidigung der Demokratie" auf der ganzen Welt, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Sicherheit aller Staaten, die globale Stabilität und den Frieden haben kann. (Ummu Salma Bava, 18.6.2023)