Bundeskanzler Karl Nehammer ist im Anzug bei einer Rede zu sehen. Er gestikuliert mit der linken Hand.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärt in einem Video, was normal ist und was nicht.
APA/GEORG HOCHMUTH

Wien – Die ÖVP hält die Debatte über ihre Positionierung mit dem Begriff "normal" am Köcheln. Nachdem Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Parteien wegen ausgrenzender Sprache gerügt hatte, konterte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag in einem Video: "Wir werden uns nicht von einigen wenigen die Worte einfach verbieten lassen." Auf die Frage, wer für ihn "nicht normal" sei, nennt er Klimakleber, Identitäre und islamistische Hassprediger in einem Atemzug.

Video: "Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird", sagte Van der Bellen in Bregenz.
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Nehammer definiert, wer nicht normal ist

"Das ist doch alles nicht mehr normal. Bist du noch normal?", begrüßt Nehammer seine Zuseher in den Video. Und stellt sogleich die Frage, was denn nun "normal" überhaupt sei. "Ich sage euch, wer nicht normal ist: Das sind die Extremen und die Radikalen. Seien es Linksextreme, seien es Rechtsextreme." Extrem sei, wenn man seine Meinung über die der anderen stelle, sich über die Regeln und Gesetze hinwegsetze. "Es sind Klimakleber oder Linksradikale genauso wie Rechtsradikale oder Identitäre. Es sind islamistische Hassprediger genauso wie Vandalen und sonstige Extremisten", befand der Kanzler.

"Das Extreme ist der Feind des Normalen und vor allem eine Gefahr für die Gesellschaft", betonte Nehammer. "Und was ich auch nicht normal finde, ist, dass man dafür kritisiert wird, dass man sich für die Normalen, für die Vielen, für die Mehrheit einsetzt", richtete der Kanzler offensichtlich auch dem Bundespräsidenten aus.

"Meinungsfreiheit in Österreich ist ein hohes Gut"

"Meinungsfreiheit in Österreich ist ein hohes Gut", unterstrich Nehammer, "und wir werden uns nicht von einigen wenigen die Worte einfach verbieten lassen". Als Bundeskanzler wolle er die Menschen "zusammenführen und nicht auseinandertreiben".

Man setze sich für jene ein, "die sich an die Regeln halten", die zur Arbeit gehen, sich engagieren. "Ich will Politik für die Vielen machen, ohne die Wenigen dabei zu vergessen. Minderheitenschutz ist ganz wichtig", so Nehammer. "Es ist in Ordnung, wenn wir Ausnahmen machen, aber es ist nicht in Ordnung, wenn Ausnahmen die Regel werden."

Wie schon in seiner ersten Stellungnahme nach Van der Bellens Schelte meint Nehammer in dem Video einmal mehr, es sei "in Ordnung, wenn sich jemand dazu entscheidet, mit dem Rad in die Arbeit zu fahren", aber "es soll aufhören, dass man den Autofahrern ein schlechtes Gewissen macht, vor allem weil viele auf das Auto angewiesen sind".

Seinen umstrittenen und teils belächelten Schnitzelsager ("Und genauso ist es okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen") wiederholte der Kanzler in dem Video hingegen nicht.

Kickl über Video: "Peinlich"

Auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) wehrte sich im Interview mit der Tageszeitung "Österreich" dagegen, "dass man Worte zu Unworten erklärt". Die Schelte des Bundespräsidenten wies er explizit zurück. "Es verwundert mich, dass man sich so darüber echauffieren kann, wenn man sich dafür einsetzt, was der Mehrheit wichtig ist. Es ist die Rolle des Präsidenten, Themen aufzuzeigen. Es muss sich aber jeder fragen, ob er das Recht hat, sich moralisch über andere aufzuschwingen."

Kritik handelte sich Nehammer vom Koalitionspartner ein: "Es ist eine inakzeptable Verharmlosung des Rechtsradikalismus, wenn Rechtsradikale und Klimaaktivstinnen und -aktivisten gleichgesetzt werden", schrieb der grüne Klimaschutzsprecher Lukas Hammer auf Twitter. "Besonders in einem Land, das aufgrund seiner Geschichte besonders sensibel mit diesem Thema umgehen muss und eine hochgerüstete rechte Szene aufweist", merkte er an.

FPÖ-Chef Herbert Kickl bezeichnete das Video in einer Aussendung als "peinlich".

Mikl-Leitners Kommentar als Stein des Anstoßes

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte die Debatte rund um das Wort "normal" Anfang Juli angestoßen. In einem STANDARD-Kommentar argumentierte sie, "die große Mehrheit der Normaldenkenden" beziehungsweise "die Anliegen der normal denkenden breiten Mitte der Bevölkerung" zu vertreten – etwa beim Klimaschutz oder beim Gendern. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kritisierte diesen Ansatz als "brandgefährlich und darüber hinaus präfaschistoid".

Seither werden die Begrifflichkeiten diskutiert. Bundespräsident Van der Bellen hat bei der Eröffnung der 77. Bregenzer Festspiele am Mittwoch vor "zerbrochenen Fenstern" durch ausgrenzende Sprache gewarnt und an die Parteien appelliert, stattdessen um die besten Lösungen zu kämpfen. (APA, red, 21.7.2023)