Oliver Vitouch
Der Klagenfurter Rektor Oliver Vitouch sieht an den heimischen Unis im Nahostkonflikt wenig Probleme mit Antisemitismus. Die Vorfälle an der privaten Central European University (CEU) in Wien seien paradox.
APA/EVA MANHART

Oliver Vitouch kennt die Rolle schon, in die er am Montag einstimmig für die kommenden zwei Jahre gewählt wurde. Der neue Vorsitzende der Universitätenkonferenz (Uniko) stand schon von 2016 bis 2017 an der Spitze der Rektorinnen und Rektoren der öffentlichen Universitäten. Seit der Pensionierung von Vorgängerin Sabine Seidler war Vitouch zudem schon in den vergangenen Monaten interimistischer Uniko-Chef. Als Rektor der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt bringt der Psychologieprofessor viel Erfahrung mit – und sucht gerne die pointierte politische Auseinandersetzung.

Im STANDARD-Interview spricht Vitouch über Antisemitismus an den Unis, die sinkende Relevanz der Matura und die Fragwürdigkeit des Latinums. Das geplante Gesetz für die Digital-Uni in Linz erfüllt ihn mit großer Sorge, die Vorstellungen der Regierung seien mitunter naiv.

STANDARD: An US-amerikanischen Elite-Unis wird Israel-Kritik derzeit mitunter von Hamas-Sympathien und antisemitisch gefärbten Positionen überlagert. Die deutsche Hochschulkonferenz warnt, dass sich jüdische Studierende in der aufgeheizten Stimmung an Unis nicht sicher fühlen können. Inwieweit trifft das auch auf Österreich zu?

Vitouch: Zunächst muss man festhalten, dass der barbarische Terror der Hamas durch nichts zu rechtfertigen oder relativieren ist. An österreichischen Hochschulen halten sich Vorfälle mit gegenteiligen Auffassungen bisher zum Glück in sehr engen Grenzen. Wir dürfen uns zwar nie sicher sein, dass es für immer so bleibt, aber es gibt bei unseren Studierenden ein großes Bewusstsein, dass judenfeindliche Äußerungen inakzeptabel sind. Einzig an der privaten Central European University (CEU) in Wien gab es merkwürdige Vorgänge rund um eine "propalästinensische" Vortragsreihe – das ist paradox, da die CEU von George Soros gegründet wurde, der in Ungarn antisemitisch angefeindet wurde und wird.

Dass junge Menschen bei emotionalen weltpolitischen Themen heißlaufen, ist per se zwar nicht ungewöhnlich, und es soll an den Unis in der Regel auch keine Sprechverbote geben. Nur schreien beim Nahostkonflikt bisweilen gerade die am lautesten, die am wenigsten Ahnung haben. Da wäre es manchmal besser, einfach die Klappe zu halten. Der Konflikt ist historisch komplex, wir sollten sowohl die Situation der Israelis als auch der Palästinenser verstehen und uns, bei aller Betroffenheit, möglichst unaufgeregt für die berechtigten Anliegen beider Seiten einsetzen.

STANDARD: Ein anderes hitziges Thema war jüngst die SPÖ-Forderung nach einer Abschaffung der Matura. Wie stehen Sie dazu? Die Matura ist bei den meisten Studien die alleinige oder zumindest notwendige Zugangsbedingung.

Vitouch: Abgesehen von der aufwendigen Alternativoption der Studienberechtigungsprüfung, ja. Nun, es wäre uns Unis im Prinzip sowieso lieber, stärker selbst entscheiden zu können, wen wir in ein Studium aufnehmen. Derzeit übernimmt diese Funktion großteils die Matura und damit die Schule. Immerhin dürfen die Unis mittlerweile in einigen Fächern von Medizin bis Jus auch selber Zugangsregeln definieren. Als Schwarz-Weiß-Kriterium hat die Matura also tatsächlich ausgedient.

STANDARD: Das heißt: Wenn man die Matura abschafft oder abwertet, wollen die Unis im Gegenzug flächendeckend eigene Zugangsbeschränkungen festlegen dürfen?

Vitouch: Ich mag das Wort "Zugangsregeln" lieber, aber so ist es. Wir hätten gerne mehr Gestaltungsfreiheit, auch zugunsten der Durchlässigkeit.

STANDARD: Wollen Sie dann überall Aufnahmetests ähnlich wie bei Medizin abhalten?

Vitouch: Das wäre grundsätzlich sinnvoll, um die Eignung zu erheben. Es ist aber eine Ressourcenfrage, derlei zu organisieren. In manchen Fächern geht es auch um den Abbau von Voraussetzungen: Es steht gerade zur Diskussion, das Latinum, das man derzeit bei einer beträchtlichen Zahl an Studien nachweisen muss, nicht mehr einzufordern. Das Thema ist vielschichtig, wir müssen uns auch bemühen, mehr "First Generation Students" eine Chance auf ein Studium zu eröffnen und wir brauchen dafür mehr soziale Durchlässigkeit. Hier schwächelt unser Bildungssystem aktuell trotz offenen Hochschulzugangs – unter anderem, weil die Kinder an unseren Schulen schon mit zehn Jahren segregiert werden.

Oliver Vitouch
Vitouch plädiert für eine Ausweitung von Stipendien. Studierende sollten ökonomisch in der Lage sein, sich voll aufs Studium zu konzentrieren – dafür aber Leistung nachweisen müssen.
APA/EVA MANHART

STANDARD: Während des Studiums müssen viele Studierende aufgrund ihrer sozialen Situation nebenbei arbeiten, um sich das Leben finanzieren zu können. Viele brechen unter dieser Doppelbelastung das Studium ab.

Vitouch: Das ist gerade jetzt bei der starken Inflation ein großes Problem. Ich finde, alle Studierende sollten die ökonomische Möglichkeit haben, sich voll auf das Studium zu konzentrieren – wenn sie das wollen und die Leistungen erbringen.

STANDARD: Also ein Ausbau von Stipendien?

Vitouch: Ja, da stehe ich aufseiten der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) und bin für gut dotierte Beihilfen. Nicht im Sinne einer leistungslosen Grundsicherung, das wäre eine gesamtgesellschaftliche Debatte. Solange wir nur über die Unis reden, sollte eine Ausweitung der Stipendien an entsprechende Prüfungsnachweise gekoppelt sein. Wobei wir als wohlhabendes Land finanziell verkraften könnten, wenn jungen Stipendienbeziehern ein einmaliger Ausrutscher passiert.

STANDARD: Ein Ausreißer aus dem bisherigen Uni-System ist das Institute of Digital Sciences Austria (IDSA) in Oberösterreich, das ursprünglich unter "TU Linz" firmieren sollte. Diese Hochschule bekommt ein eigenes Gesetz: Im Unterschied zum normalen Uni-Gesetz soll es am IDSA keinen Senat geben, der die Lehrpläne bestimmt. Die Studierenden haben noch weniger mitzureden und müssen privatrechtliche Studienverträge wie an einer FH eingehen. Ist das überhaupt eine Universität, die den Namen verdient?

Vitouch: Eine provokante, aber berechtigte Frage. Es könnte den öffentlichen Unis ja ein bisschen wurscht sein, wenn das privat bezahlt würde – so wie es in den USA einst auch eine "Trump University" gab. Aber das IDSA kostet Steuergeld, das im Endeffekt den öffentlichen Unis fehlen wird. So wie es jetzt geplant ist, ist das eine seltsame Mischung aus einer Privatuniversität des Landes Oberösterreich, einer Uni und einer Fachhochschule. Am meisten besorgt mich, dass das Ministerium das IDSA als Experimentierfeld sieht, um dessen Struktur künftig auch auf das Universitätsgesetz auszurollen.

STANDARD: Was besorgt Sie daran?

Vitouch: Zum einen hegen wir als Uniko verfassungsrechtliche Bedenken. Wir meinen etwa, dass das Kuratorium als externes Aufsichtsorgan keine Studienpläne erlassen sollte. Es ist zudem unverständlich, warum das IDSA autonom Studiengebühren festsetzen darf, während das den Unis verboten ist. Dann werden auch noch arbeitsvertragliche Verpflichtungen zur Kooperation mit der Privatwirtschaft festgeschrieben – daraus spricht eine gewisse Naivität.

STANDARD: Warum?

Vitouch: Dahinter steht die Vorstellung, dass man die unmittelbare wirtschaftliche Nützlichkeit von Forschung einfach kurzfristig herbeiwünschen kann. Das geht aber nur durch attraktive Rahmenbedingungen, mit denen man die klugen Köpfe anzieht und hervorragende Absolventinnen und Absolventen hervorbringt, die mit ihren Kompetenzen in die Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirken. Das IDSA lehnt sich diesbezüglich leider nicht an die besten internationalen Vorbilder, von Stanford bis zum MIT, an. Es bleibt eine ureigene österreichische Erfindung des Altkanzlers Sebastian Kurz und des Landeshauptmanns Thomas Stelzer ohne einschlägige Sachkenntnis – das ist kein einfacher Start. Ich bin gespannt, ob man unter diesen Bedingungen hervorragende Leute nach Linz lotsen kann. (Theo Anders, 12.12.2023)