Schild Reumannplatz im zehnten Wiener Gemeindebezirk Favoriten, umgestaltet in
Favoriten ist der bevölkerungsreichste Wiener Gemeindebezirk. Drogen, Kriminalität, Gewalt – ab dem Wochenende werden Teile Favoritens um den Reumannplatz zur Waffenverbotszone.
Foto: DER STANDARD / Antonia Wagner

Eingedenk der tragischen Ereignisse in Favoriten ist mein Gemüt noch schwerer geworden – gerade im Hinblick auf die Zukunft dieses Landes. Viele Menschen fragen mich um Rat, den ich nicht habe. Ich erwische mich selbst dabei, wie ich in Gedanken einen Freund aus Jugendtagen um Rat bitte. Wie hätte man dir helfen können, damit du nicht ein Leben zwischen Kriminalität und Haft wählst? Waren die Gerichtsurteile zu hart oder gar zu lasch? Wäre es anders gekommen, wenn du eine Vaterfigur gehabt hättest? Oder zumindest mehr von all den Therapien, Präventionen und Workshops, die neuerdings als Allheilmittel gepriesen werden? Aber du kannst mir nicht mehr antworten, die Last deiner falschen Entscheidungen war am Ende erdrückend geworden.

Ich erinnere mich noch gut, wie stolz du Bilder deines Sohnes auf Facebook geteilt hast. Wir hatten kaum noch Kontakt, ich war Journalist geworden, du musstest eine lange Haft absitzen. "Kinder verändern alles", hast du immer gesagt. Du hattest recht, auch wenn diese Einsicht für dich selbst zu spät kam. Wenn du noch leben würdest, wärst du in erster Linie ein besorgter Vater. Drogenkriminalität vor der Haustür? Messerstechereien im Bezirk? Eine Generation junger Männer, die sich selbst aufgegeben hat und nur noch vom schnellen Geld träumt? Du wusstest am besten, wohin das alles führt. Du hättest deinen Sohn genommen und wärst mit ihm so weit weg von diesen Problemen wie nur möglich.

Kinder verändern alles

Deshalb hat mich wohl auch die Angst meines austrotürkischen Friseurs so getroffen, der seinen Heimatbezirk Favoriten verlassen will, weil seine kleine Tochter langsam ins Schulalter kommt. Er wohnt mit seiner Frau gleich gegenüber vom Eissalon, der unlängst Schauplatz eines brutalen Messerangriffs war. Als sie den Tumult und die Ambulanzwagen aus ihrem Fenster sahen, wurden die Pläne, in eine kleine Gemeinde Niederösterreichs zu ziehen, nur noch dringender. Denn Kinder verändern alles.

So wie die Kinder, die nun im Zuge der Familienzusammenführungen zu Hunderten pro Monat nach Wien kommen. Containerklassen müssen etabliert werden, die schulische Infrastruktur droht zu kollabieren. Aber das ist noch nicht einmal das größte Problem.

"Integration? Ja, gerne, aber wohin denn?"

Ich stelle mir vor, nicht in den 1990ern in Tirol zur Schule gegangen zu sein und selbstverständlich unter österreichischen Kindern, Familien, Freunden aufzuwachsen, sondern im Jahr 2024 in Wiens Brennpunktbezirken. Die einzigen Österreicherinnen und Österreicher wären überforderte Lehrkräfte, die ich ein paar Stunden die Woche zu Gesicht bekäme. Dieses "Ding" namens Österreich bliebe etwas Abstraktes, nicht Greifbares. Integration? Ja, gerne, aber wohin denn? Wo ist die Mehrheitsgesellschaft, wo sind die einheimischen Kinder, die mich spielerisch an das Leben in einem neuen Land gewöhnen könnten? Alles, was ich hätte, wären die Drogenverkäufer in den Parks, die tausende Euros verdienten, während meine Familie in Armut lebte. Da bekäme die Chance auf das schnelle Geld plötzlich eine ganz eigene Sogwirkung. In ein paar Jahren stünde ich wohl mit den Jungs am Park und würde Drogen verticken. Warum? Weil ich nie eine faire Chance gehabt hätte.

Wenn Migranten neue Migranten meiden und vor ihnen wegziehen, ist das ein Alarmsignal. Wenn sogar Austrotürken, die gemeinhin zu den Lieblingsthemen der FPÖ gehört haben, ebenjene FPÖ wählen wollen, weil die Probleme in ihren Bezirken schlimmer geworden sind, dann ist das ein Alarmsignal. Weil (alteingesessene) Migranten weniger politisch korrekt, dafür aber sehr praktisch veranlagt sind.

Keine Wohlfühldebatten

Die Glocken läuten, doch gerade jene Kreise, in Politik, Medien und NGOs, die für die verfahrene Situation mitverantwortlich sind, weigern sich weiterhin, genau hinzusehen. Sie jammern, poltern, werden ungehalten, aber niemals gegen jene, die kriminell sind, jene, die die Integration, ja sogar das gewährte Asyl, mit beiden Händen wegstoßen, sondern immer nur gegen jene, die ihre Weltanschauung und ihre Illusionen in Zweifel ziehen.

Doch die Zeit selbstgefälliger Wohlfühldebatten ist vorbei. Weil die Menschen – und das zeigen Achtungserfolge der KPÖ in Salzburg, aber auch der Höhenflug der FPÖ in den Umfragen – kein Interesse an Weltanschauung und Durchhalteparolen haben, sondern ihre Sorgen und Ängste ernst genommen wissen wollen.

Mit Herz und Seele

Wir haben immer jüngere Täter, die schwere kriminelle Handlungen begehen? Dann müssen wir offen und ehrlich über das Herabsetzen der Strafmündigkeit sprechen. Minderjährige, einheimische Mädchen aus ärmeren Einkommensschichten sind besonders durch migrantische und/oder muslimische Machos gefährdet? Dann müssen wir offen und ehrlich das Problem beim Namen nennen. In vielen Wiener Brennpunktschulen wird der Anteil nicht deutschsprachiger Kinder immer höher und höher? Dann müssen wir entweder die Kinder über das ganze Land verteilen können oder ehrlich eingestehen, dass wir diesen Neuankömmlingen keine faire Chance auf Integration, Bildung und sozialen Aufstieg gewähren können und daher unsere Aufnahmekapazität einfach überschritten ist.

Ansonsten werden wir bald jene Zustände bei uns sehen, die wir aus Berlin, Malmö oder den französischen Banlieues kennen. Und das will keiner von uns: weder Einheimische noch alteingesessene Migrantinnen und Migranten. Auch nicht jene Menschen, die bei uns Schutz suchen und dieses kostbare Gut auch zu schätzen wissen, indem sie Teil unserer Gesellschaft werden wollen – mit Herz und Seele. (Ruşen Timur Aksak, 30.3.2024)