Manchmal ist es gut, wenn man nicht gleich auf den ersten Zug aufspringt, beziehungsweise waren die Abfahrtzeiten des deutschsprachigen Zuges Seinfeld damals so unattraktiv, dass ich gar nicht erst aufspringen wollte: Kabel 1 brachte ab 1995 erste Folgen der Serie im Nachtprogramm, und ProSieben schob sie dann ab 1998 von schlechten Sendeplätzen zu noch schlechteren. Die wussten damals scheinbar genauso wenig damit anzufangen wie ich, nur Jerrys stets bei der Türe hereinrutschender Nachbar Kramer blieb mir in Erinnerung.

Einst in Staffel 1 von
Einst in Staffel 1 von "Seinfeld": Jerry Seinfeld, Michael Richards als Cosmo Kramer.
Imago/United Artists

Nervige Stand-up-Auftritte

Dann kaufte ich mir kurz vor den letzten Weihnachten beim 48er-Tandler die Sammelbox mit den 180 Episoden der neun Staffeln, und siehe da: Es war wie Baden in der Vergangenheit, wie das Trinken von Erinnerung. Und jeder Schluck dauerte 22 Minuten.

Zwar kam ich auch diesmal schwer rein, weil Seinfelds Stand-up-Auftritte zu Beginn jeder Folge mir noch immer auf die Nerven gingen (ProSieben schnitt die damals sogar heraus). Aber 80er-Jahre-Nostalgie mitsamt Festnetztelefon (mit und ohne Kabel), Anrufbeantworter und Yellow Cabs, die noch wie Yellow Cabs aussahen (Chevrolet Caprice!), ließen mich dieses Mal dranbleiben. Dazu kamen die Bilder der Stadt New York, die Ende der 80er-Jahre noch weit davon entfernt war, zum Immobilienparadies für Oligarchen und Despoten aus aller Welt zu verkommen.

Zwei Drittel an der dünnen Türe

So überrascht es bei heutiger Betrachtung, dass Jerrys Wohnung mit der Nummer 6 an der 129 West 81th Street auf der noblen Upper West Side eine abgerockte Bude war, mit einer so dünnen Eingangstüre, dass man sich fragte, wofür die überhaupt gut war.

Geschätzt zwei Drittel der Serie spielen sich bei dieser Türe ab, während eines ständigen Kommens und Gehens seiner Freunde George, Elaine und Kramer sowie seiner jeweiligen Geliebten (Sidra, Nikki, Hellie, Ellen, Bridget u. a.) und nicht zu vergessen: seines Feindes Newman ("Hello Newman!").

Comedy-Genie

Das geschätzt dritte Drittel verbringen die Freunde in Monk's Café, das in Wirklichkeit als Tom's Restaurant am Broadway lag und wo wie in der gesamten Serie vor allem eines getan wird: gesprochen. Und zwar Dialoge auf allerhöchstem Niveau. Kein Wunder auch, wurde die Serie doch von Larry David ("Curb your enthusiasm") miterfunden und dem Sender NBC zunächst als "Show about nothing" angeboten.

Bald verlegte sich mein Interesse also weg von der reinen 80er-Jahre-Nostalgie hin zum Comedy-Genie dieses einzigartigen Autors, der – meist zusammen mit Seinfeld – jeweils drei klar erkennbare Plots etablierte mit vordergründig denkbar einfachen Themen, die aber dann doch alles über uns Menschen erzählten: eine Erkältung; eine neue Jacke; ein überteuerter Sandwich.

Fest der Absurditäten

Diese Alltagsherausforderungen verwoben die beiden allerdings jeweils zu einem Fest der Absurditäten, der Wendungen und der Punch lines, sodass man sich – nach den besten Folgen! – fragte, wie oft man in 22 Minuten eigentlich lachen kann. Man denke nur die Epidsode, in der die vier Freunde versuchen, nicht zu masturbieren, oder an die mit dem Suppen-Nazi, oder an jene, in der George seinen langweiligen Vornamen ablegen und T-Bone genannt werden möchte – sehr zum körperbiegenden Gaudium seiner Arbeitskollegen.

Ergänzt wird der Hauptcast um zwei erfreulich prototypische Elternpaare: Jenes von Jerry, das in Florida lebt, und das von George (mit dem großartigen Jerry Stiller und der umwerfen Estelle Harris), das in Queens wohnt und unverblümt nichts mit dem eigenen Sohn zu tun haben möchte. Die Einführung weiterer Nebenfiguren führte dann zumal interessanteren Handlungssträngen (Nachbar Newman, Elaines Lover David Puddy oder NY Yankees Boss Steinbrenner), mal zu weniger gelungenen. Und am Ende ging sogar dieser Serie der Saft aus.

Nichts mehr zu erzählen: "Yada, Yada!"

Wusste man zuvor bei jeder Episode nach zwei Minuten, ob die Chefs selbst sie geschrieben hatten (dann war sie gut) oder nicht (dann war sie oft mau), so zeigte sich in den Episoden der letzten beiden Staffeln schlicht, dass es nichts mehr zu erzählen gab. Immer häufiger wurde die Handlung nach draußen verlegt, was dieser Serie, deren beste Folgen wie kleine Theaterstücke geschrieben waren, den Todesstoß versetzte.

Als Kramer ein Stück New Yorker Stadtautobahn pachtet und dieses mit viel Herumgehample betreut, verlor ich das Interesse. Und auch das plötzliche Herumgeschrei des bis dahin großartigen Schauspielers Jason Alexander (George) und die immer absurderen Grimassen Elaines samt ständigem "Yada, Yada!" ("Blah, blah, blah!") nervten nur noch. Von Jerry Seinfelds eigenem schlechtem "Schauspiel" gar nicht zu reden, der zuvor schon jede Szene mit einem unfreiwilligen Lachen beendete.

George Starts Thinking About The Future | The Money | Seinfeld
Seinfeld

500 Millionen von Netflix

Über die sieben Staffeln davor aber war ich unfassbar glücklich, und es kann sogar sein, dass ich sie mir bald wieder in kleinen Schlückchen zuführen werde. Vielleicht auf Netflix, wohin Seinfeld die Streamingrechte bis 2025 um satte 500 Mille verkauft hat. Der war aber auch zuvor schon zu einem der reichsten Schauspieler Amerikas aufgestiegen, was ihm künstlerisch freilich nicht guttat.

Während Larry David mit dem Ende von Curb Your Enthusiasm gerade ein weiteres Meisterwerk lieferte, kümmerte sich Jerry vor allem um seine Porsche-Sammlung gleich neben seinem riesigen Appartement im The Beresford auf der Upper West Side, ohne noch was Bleibendes nachzuschieben. Der Gegend immerhin ist er treu geblieben. (Manfred Rebhandl, 27.4.2024)