Im Gastkommentar repliziert Christoph Bezemek, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Graz, auf Thomas König. Der IHS-Forschungspolitikexperte vermisst Innovationen, die das Universitätsgesetz von 2002 bringen sollte, und sprach vom "Prinzip Bequemlichkeit".

Die Grazer Rektorenwahl steht in der Kritik. Ein Bewerber spricht von "Sittenverfall", und die Justiz prüft einen Anfangsverdacht.
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Fred Sinowatz hat es bekanntlich nie so gesagt, aber vielleicht hätte er es sagen sollen, weil es ja richtig ist: Es ist alles sehr kompliziert. Oder anders: Unsere Welt ist kompliziert, im Kleinen wie im Großen. Das macht die Herausforderungen, die diese Komplexität birgt, eher größer als kleiner. Und Herausforderungen anzunehmen ist ja so eine Sache. Sie zu meiden ist eindeutig bequemer; nicht zuletzt auch analytisch. Was liegt da näher, als die Dinge zu vereinfachen, mit plastischen Beispielen und schablonenhaften Zuschnitten zu arbeiten? So lassen sich Gut und Böse reinlich voneinander scheiden. Das schafft Gewissheit. Und dieser Gewissheit soll doch Gewissenhaftigkeit nicht in die Quere kommen; zumal dann, wenn es der Gewissheit, die man sucht, um Selbstvergewisserung dergestalt geht, bloß zu bestätigen, was man ohnehin immer schon zu wissen glaubte.

Wie dergleichen lege artis abzuführen ist, belegt Thomas Königs Gastkommentar eindrucksvoll ("Das Prinzip Bequemlichkeit obsiegt"). Da wird der untrügliche Nachweis dafür erbracht, wie ein im Universitätsgesetz normativ verfestigter Trägheitsgrundsatz die Hohen Schulen dieses Landes stetig nach unten zieht.

Beispiele dafür, wie das vonstattengeht, sind schnell bei der Hand, blickt man nur auf die Universität Graz und die Wahl des neuen Rektors, in der das ausgemachte Problem besonders drastisch zutage tritt. Immerhin: Der Rektor hat (wenn auch entfernte) ÖVP-Vergangenheit. Der grünen Wissenschaftssprecherin lässt sich Derartiges zwar nicht anlasten, aber ihr fehlt es ebenso wie ihm an "höheren akademischen Weihen", weshalb sie an seiner Wahl nur deshalb nichts auszusetzen hat, weil sie dadurch rückwirkend ihre eigene frühere Tätigkeit argumentativ zu sanieren trachtet. Und die Vorsitzende des Universitätsrats hat schlicht den falschen Ehemann. Noch Fragen?

Schnelle Schlüsse

Und überhaupt: Von der Universität Graz scheint die akademische Welt ja nichts anderes gewohnt: "Ein besonders guter Ruf ist da ohnehin nicht zu verlieren." Freilich – und nur für den Fall, dass Graz nicht reichen sollte – endet der Sittenverfall nicht an der steirischen Landesgrenze. Man gibt es auch andernorts gerne billig: "zuletzt etwa in Wien".

Auf dem so aufbereiteten Fundament lassen sich dann vergleichsweise schnell Schlüsse ziehen und jene Strukturen offenlegen, die für die diagnostizierte Misere in den Universitätsleitungen des Landes verantwortlich sind: die Landespolitik, die Bundespolitik, das Gesetz. Vielleicht sind es auch alle drei zugleich. Man weiß es nicht so recht, es ist auch nicht wirklich wichtig. Viel wichtiger war ohnehin, Gewissheit zu schaffen: Gewissheit, dass alles im Argen liegt und das System ebenso korrumpiert ist, wie es die Handelnden sind, die man vor dem geneigten Publikum durch das mediale Dorf treiben kann, weil es ja allzu naheliegt, das zu tun.

Breiteste Unterstützung

Das ist einfach. Das ist bequem. Redlich ist es nicht. Das hätte ein Mindestmaß an Gewissenhaftigkeit gebraucht; und Gewissenhaftigkeit ein Mindestmaß an Differenzierung. Etwa dahingehend, dass der neu gewählte Rektor der Universität Graz über breiteste Unterstützung unter ihren Angehörigen verfügt, weil er über Jahre hinweg für diese Universität gearbeitet und gelebt hat und strategische Visionen mitbringt, die die Universität in den kommenden Jahren entscheidend und positiv formen werden. Oder dahingehend, dass die nunmehrige grüne Bildungssprecherin in ihrer Amtszeit als Rektorin über eine so umfassende Akzeptanz unter den Leiterinnen und Leitern der Universitäten des Landes verfügte, dass sie zur Präsidentin der Universitätenkonferenz gewählt wurde. Oder gar dahingehend, dass die Vorsitzende des Universitätsrates der Universität Graz nicht nur verheiratet, sondern professionell in höchstem Maße ausgewiesen und anerkannt ist.

Bei alldem noch der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass der neu gewählte Rektor der Universität Wien nicht nur ein bedeutendes Maß an Kompetenz in der universitären Verwaltung, sondern auch ein hohes Maß an nationaler und internationaler Anerkennung mitbringt, was sein akademisches Wirken anlangt, schiene beinah übertrieben (zugegeben: ob und gegebenenfalls mit wem er verheiratet ist, entzieht sich sowohl meiner Kenntnis als auch meinem Interesse).

"Die Formel der Bequemlichkeit besteht im Finden eines Kompromisskandidaten, der Uni-intern am wenigsten wehzutun verspricht." Forschungspolitikexperte Thomas König im Gastkommentar

Nun wäre es ebenso wenig redlich, mit einem so vorgenommenen Holzschnitt zu insinuieren, dass alles zum Besten steht mit den Hohen Schulen dieses Landes. Dass dem nicht so ist, ist augenfällig. Ebenso augenfällig sollte es sein, dass man dem auf Basis (vermeintlich) plastischer Beispiele, schablonenhafter Zuschnitte und einer reinlichen Scheidung von Gut und Böse kaum wird adäquat begegnen können. Unsere Welt ist kompliziert; auch im Kleinen der österreichischen Hochschullandschaft. Begegnen wir den Herausforderungen, die diese Komplexität birgt, mit der angemessenen Gewissenhaftigkeit auch auf die Gefahr hin, damit vermeintliche Gewissheiten aufgeben zu müssen. (Christoph Bezemek, 21.7.2022)