Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici kritisiert in seinem Gastkommentar den Plan der Regierung, die gedruckte Ausgabe der "Wiener Zeitung" einzustellen. In der Medienpolitik würden die Grünen "vorauseilend die Apologie für alle Ungeheuerlichkeiten" liefern. Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Alexandra Borchardt, Expertin für digitale Transformation: "Kampf um Print? Journalismus verschwindet, wenn er sich nicht wandelt".

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Die medienpolitischen Pläne der türkis-grünen Regierung sorgen weiterhin für Aufregung.
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Die Regierung macht der Wiener Zeitung den Garaus. Sie will das Tagesblatt zum bloßen Online-Format degradieren, ein erster Streich zur endgültigen Beseitigung. Aus der dann noch verbleibenden Firmenhülse des vormaligen Qualitätsmediums soll eine Schule für Journalismus werden: der "Media Hub Austria" – direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt und mit mehr Geld ausgestattet als alle anderen heimischen Unterrichtsstätten der Publizistik. Die journalistische Ausbildung wird so der staatlichen Gängelung unterworfen. Ist das die Lektion, die aus der Inseratenaffäre gezogen wurde? Soll es nun um die Abrichtung von willfährigen Marionetten für koalitionäre Public Relation gehen?

Durch die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt wurde die Wiener Zeitung ihrer Finanzierungsgrundlage beraubt. Es bräuchte allerdings nur einen Bruchteil jener Abermillionen, die das Kabinett jährlich für Eigenwerbung ausgibt und größtenteils in den Boulevard pumpt, um mithilfe eines neuen Geschäftskonzepts die Wiener Zeitung zu erhalten.

"Es sind nicht die Türkisen, die der Tageszeitung den eigentlichen Todesstoß versetzen."

Wen wundert’s, wenn die Volkspartei, diese Herren der Message-Control, einen Vorreiter der freien Presse liquidieren wollen? Es sind jedoch nicht die Türkisen, die der Tageszeitung den eigentlichen Todesstoß versetzen. Nicht Ministerin Susanne Raab, sondern Eva Blimlinger, die Mediensprecherin der Grünen, verteidigt das Vorhaben so prononciert, als wäre das Organ der Republik eine fossile Energieform und deren Abdrehen ein ökologisches Projekt. Die Grünen geben den Türkisen Rückendeckung.

Bei anderen Lieblingsthemen der ÖVP – etwa bei Verschärfungen in Asylfragen, beim Kuscheln mit Viktor Orbán und Aleksandar Vučić, beim Veto gegen die Integration von Rumänien und Bulgarien – lassen die Grünen zumindest durchklingen, nicht einverstanden zu sein. In manchen Bereichen setzten sie sich gar durch. Nicht auszudenken, wenn etwa die Türkisen das Justizministerium innehätten.

Seit 1703

Ganz anders bei der Medienpolitik. Hier liefern die Grünen vorauseilend die Apologie für alle Ungeheuerlichkeiten. Jene Fraktion, die immer Übergriffe der Parteien im ORF kritisierte, packelt nun mit der ÖVP um Führungspositionen dort. Nun soll beim einmaligen Kultursender Ö1 gespart, FM4 verflacht und sollen die Blauen Seiten halbiert werden. Blimlinger ventiliert unterdessen, den Öffentlich-Rechtlichen ausgerechnet aus dem Budget zu finanzieren.

"Ein Online-Format kann die Papierausgabe ergänzen, doch nie vollkommen ersetzen."

Die Pläne für die Wiener Zeitung passen ins Gesamtbild. Seit 1703 ist sie ein Sinnbild dessen, wie viel Meinungsvielfalt hierzulande ermöglicht wird. Dieses älteste Blatt der Welt versprach von Anfang an – zunächst unter dem Namen Wiennerisches Diarium –, alle Nachrichten sollten "ohne einigen Oratorischen und Poëtischen Schminck" veröffentlicht werden. Hier wurde 1789 die französische Erklärung der Menschenrechte ins Deutsche übersetzt, und im Revolutionsjahr 1848 prangte auf der Titelseite nicht mehr der kaiserliche Adler. Diese Zeitung war immer eine Stimme der bürgerlichen Freiheiten. Nur unter den Nationalsozialisten durfte das Blatt nicht erscheinen. 1945 konnte die Wiener Zeitung wieder im Besitz des Bundes neu starten. Ab 1995 gab es sie auch online. Seit 2015 hat sie ein Redaktionsstatut, das redaktionelle Unabhängigkeit definiert.

Ein Online-Format kann die Papierausgabe ergänzen, doch nie vollkommen ersetzen, wie internationale Beispiele lehren. Denn eine Zeitung, die nur noch digital erscheint, ist versucht, den Nachrichten und den Klicks nachzuhecheln. Das Gedruckte fördert das Nachdrückliche. Blimlinger erklärt, die Wiener Zeitung habe ohnehin keine große Auflage. Dieses Argument übersieht die allgemeine Entwicklung. Glaubt irgendwer, es ginge hier alleinig um die Absatzschwierigkeiten eines einzigen Qualitätsblattes? Ist denn nicht offensichtlich, dass die freie Presse überall in der Krise ist? Sind soziale Medien, die hemmungslos Fake News und Verschwörungsmythen verbreiten, nicht allseits im Vormarsch? Bedrohen nicht in Ungarn, in Israel oder in Italien die Herzensverbündeten der Türkisen die Vielfalt der veröffentlichten Meinung? Zeigen sich nicht auch in Österreich schon manche Vorboten der Orbánisierung?

Offene Gesellschaft

Angesichts dieser Auseinandersetzung um die Demokratie gilt es nicht für Posten, sondern für Positionen grüne Partei zu ergreifen. Die Einstellung des Blatts verdeutlicht die Einstellung der Koalitionspartner zur offenen Gesellschaft. Diese Entscheidung betrifft nicht allein jene, die dieses eine Organ lesen. Im pluralistischen Diskurs nur kann hochklassiger Journalismus auch in anderen Redaktionen gedeihen.

Die Wiener Zeitung – dieses "Weltkulturerbe", wie Hugo Portisch und Heinz Nussbaumer befanden – zu nutzen, um neue Geschäftsmodelle des Journalismus zu entwickeln und zu erproben, ist eine einmalige Chance, die zu ergreifen die Aufgabe der Regierung wäre. Versagen die Grünen hierbei und folgen sie der Logik des Populismus und der Quoten, müssen sich nicht wundern, wenn ihnen viele aus ihrer Klientel dafür demnächst die Rechnung präsentieren. (Doron Rabinovici, 12.1.2023)