Medienhäuser müssen die digitale Öffentlichkeit suchen, ansonsten riskieren sie, "dass ganze Generationen von faktentreuer Berichterstattung abgehängt werden", was wiederum die Demokratie gefährde, sagt Alexandra Borchardt, Expertin für digitale Transformation, in ihrem Gastkommentar. Lesen Sie zur Debatte über die "Wiener Zeitung" auch den Beitrag von Schriftsteller Doron Rabinovici.

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Die Mediennutzung ändert sich, im digitalen Bereich braucht es attraktive Angebote.
Foto: Getty Images

Nostalgiker mögen es als schlagendes Argument betrachten, dass die vor vielen Jahren schon totgesagte gedruckte Zeitung fast überall auf der Welt noch einigermaßen lebendig wirkt – wenngleich auch mancherorts als Schatten ihrer selbst. Wer das jedoch als Beweis für ihre künftige Relevanz ansieht, verschließt die Augen vor den Fakten. Zwar muss jeder Verlag selbst erkunden und entscheiden, wie viel Gedrucktes sein Publikum noch zu schätzen weiß. Von außen ist das kaum zu beurteilen, deshalb geht es in diesem Gastkommentar nicht um den speziellen Fall der Wiener Zeitung. Aber Medienhäuser, die nicht alles dafür tun, ihren Journalismus auf jeweils passenden Wegen digital an die Öffentlichkeit zu bringen, handeln fahrlässig. Sie riskieren, dass ganze Generationen von faktentreuer Berichterstattung abgehängt werden. Nicht zuletzt gefährden sie damit die Demokratie.

Geänderte Nachfrage

Was sind diese Fakten? Zwar gehören die Österreicherinnen und Österreicher im internationalen Vergleich noch zu den loyalsten Anhängerinnen und Anhängern der gedruckten Zeitung. Nach den Daten des "Digital News Report" von 2022 war nur in Indien Print beliebter. Dennoch sinkt der Anteil derjenigen stetig, die sich mithilfe von Gedrucktem informieren. Während 2015 noch 71 Prozent der österreichischen Bevölkerung zur Zeitung griffen, waren es im vergangenen Jahr nur noch 42 Prozent. Praktisch jeder erlebt in seinem persönlichen oder beruflichen Umfeld, dass sich vor allem junge Menschen nicht mehr mit Papierprodukten auf dem Laufenden halten. Viele von ihnen gehen nicht einmal mehr auf eine Website oder App, sie erwarten, dass die Nachrichten und interessanten Erklärstücke sie schon irgendwie finden werden. Es gilt also, mit attraktiven Angeboten dort zu sein, wo sich das Zielpublikum aufhält.

Wer junge Leute ansteuern will, tut dies zum Beispiel derzeit am besten über soziale Netzwerke wie Tiktok, Instagram oder Youtube. In einer in dieser Woche veröffentlichen Umfrage des Reuters Institute unter Medien-Führungskräften wollen Verlage deshalb 2023 weltweit ihre Aktivitäten vor allem auf diese Plattformen lenken.

Kosten steigen

Aber nicht nur die Nachfrage ändert sich rasant, sondern auch die Bedingungen auf der Angebotsseite werden härter. Laut dem erwähnten "Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2023"-Report steht der Branche vor allem angesichts der Inflation ein herausforderndes Jahr bevor. In der Zeitungsproduktion steigen die Kosten für Energie, Papier und Logistik. Vielerorts lassen sich kaum noch Zustellerinnen und Zusteller finden, und je weniger Abonnentinnen und Abonnenten es gibt, desto teurer wird das Austragen pro Stück. Auch wenn sich Preiserhöhungen bei Print immer noch gut durchsetzen lassen, gibt es wohl kaum ein Verlagshaus weltweit, das noch keine Pläne dafür in der Schublade hat, Erscheinungstage zu streichen oder das Drucken gleich auf die Wochenendausgabe zu beschränken. Wohl denjenigen, die bis dahin eine stabile Basis an Digital-Abonnements aufgebaut und möglichst viele ihrer Print-Kundinnen und -Kunden zumindest schon mal fürs Digitale erwärmt haben.

"Nur starker, unabhängiger Journalismus macht die Demokratie resilient."

Generell gilt: Statt sich in einem Kampf um Print aufzureiben, sollten alle Beteiligten ihre Kräfte bündeln, um starkem Journalismus eine Zukunft im 21. Jahrhundert zu ermöglichen. Das ist eine Herausforderung in einer an Ablenkungen reichen Medienwelt, aber auch eine große Chance. Denn auf anderen Plattformen und mit neuen Technologien lassen sich womöglich auch Menschen erreichen, die sich bisher dem Journalismus verschlossen haben. Dazu müssen Verlage und Sender ihre Zielgruppen und deren Bedürfnisse studieren und dann spannende und passgenaue Angebote für die Ausspielwege entwickeln, auf denen sie sie erreichen. Für manche wird das Print sein, für viele etwas anderes. Vor allem gilt es, stabile Beziehungen zu Nutzerinnen und Nutzern aufzubauen, die gerne wiederkommen – ob das zum Lesen, Hören, Spielen, Lernen oder zum Diskutieren bei Veranstaltungen ist.

Gewaltige Umstellung

Für viele in der Branche bedeutet dies eine gewaltige Umstellung. Das gilt auch für etliche langgediente Führungskräfte, deren Identitäten und Status an eine Medienwelt geknüpft sind, die es so nicht mehr gibt. Ein Geschenk für jeden Verlag und seine Mitarbeitenden ist es, wenn sich auch das leitende Personal wissbegierig in die neue Zeit stürzt und sich mit den Chancen und Risiken des digitalen Journalismus beschäftigt. Es ist deshalb wichtig, nicht nur die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten, sondern auch deren Weiterbildung über das gesamte Berufsleben hinweg zu fördern. Ohne an dieser Stelle die Debatte um den geplanten österreichischen "Media Hub" aufzurollen: Es kann grundsätzlich gut sein, wenn Regierungen Journalistenbildung nicht allein US-amerikanischen Plattformkonzernen wie Google oder Meta überlassen, sondern selbst Geld dafür in die Hand nehmen. Sowohl bei staatlicher als auch privatwirtschaftlicher Förderung muss jedoch die inhaltliche Unabhängigkeit gewährleistet sein, sonst taugt das Angebot nichts. Aber dafür gibt es Lösungen.

Nur starker, unabhängiger Journalismus macht die Demokratie resilient. Für die großen Herausforderungen dieser Zeit wird er nötiger gebraucht denn je, ob es um die Durchsetzung der Menschenrechte oder um den Schutz der Lebensgrundlagen auf diesem Planeten geht. Ziel jeglicher Politik muss es sein, den Journalismus als solchen zu stützen, nicht die Plattformen, auf denen er aktuell ausgespielt wird. (Alexandra Borchardt, 12.1.2023)