Auf Drängen privater Medienhäuser, die ORF.at als übermächtige Konkurrenz und Hindernis für Paid-Angebote sehen, ist im ORF-Gesetz ein Limit für Textbeiträge auf ORF.at. 350 Textmeldungen pro Woche vorgesehen.

Foto: screenshot, orf.at

Wien – ORF.at ist großer Zankapfel in der Diskussion um die in Begutachtung befindliche ORF-Gesetzesnovelle. Verleger erachten die "blaue Seite" als zu zeitungsähnlich, womit die Medienhäuser Schwierigkeiten beim Etablieren von Paywalls und Digitalabos hätten. Der Vorstand des Münchner Beratungsunternehmens Vocatus AG, Florian Bauer, stimmt im APA-Gespräch zu, dass Gratisangebote am Markt für "Wachstumshemmungen" sorgen. Doch auch die Verleger müssten den "Preismuskel" trainieren.

Bauer erachtet es als "Geburtsfehler des digitalen Publishing", dass Inhalte kostenlos ins Netz gestellt wurden. "Damals lag der Fokus auf Reichweite und mit dieser Werbeeinnahmen zu monetarisieren." Das hat aber nicht geklappt, die Online-Werbeeinnahmen halten sich in Grenzen. Ein großer Brocken der Digitalwerbung fließt zu internationalen Mediengiganten. Nun stehen Medienhäuser laut dem deutschen Strategieberater vor dem Problem, dass viele Leute nicht einsehen, warum sie jetzt für etwas zahlen sollen, dass zuvor gratis zugänglich war. Diese "Trotzschwelle" müsse man aber überwinden, so Bauer.

"Die Preisakzeptanz muss man sich als Muskel vorstellen, der trainiert werden muss und dadurch wächst. Wenn er nicht trainiert wird, weil alles kostenlos angeboten wird, dann wächst er auch nicht." Dabei sei es auch Aufgabe der Anbieter, diesen Muskel zu trainieren. "Wir haben in Deutschland gesehen: Als die Anbieter konzertiert Paywalls eingeführt haben, hat sich dieser Muskel entwickelt. Heute liegen die Paywallpreise teilweise über 20 Euro. Da sind erkleckliche Sprünge gemacht worden, die anfangs gar nicht möglich schienen", sagt Bauer, der auch an der TU München lehrt.

"Leserinnen und Leser zählen nicht Artikel"

Für "Wachstumshemmungen" bei diesem "Preismuskel" sorgen kostenlos zugängliche Nachrichtenseiten. "Man zahlt nicht für einen Porsche Tausende an Euro, wenn man ihn an der nächsten Ecke kostenlos bekommt", meint Bauer. Für ORF.at findet er das Bild eines Ankers, der die langfristige Preisentwicklung nach hinten zieht. Die ORF-Gesetzesnovelle sieht vor, dass künftig 70 Prozent der Inhalte auf ORF.at aus Bewegtbild und nur 30 Prozent aus Textmeldungen bestehen dürfen, wobei letztere auf 350 Stück pro Woche limitiert werden sollen. Ob damit dieser "Anker" gelichtet werde? "Die Leserinnen und Leser zählen nicht Artikel. Für sie zählt, ob sie sich weiterhin gut informiert fühlen oder nicht", sagt Bauer.

Das Gegenargument zum vermeintlichen Hemmschuh ORF.at lautet, dass Medienhäuser verlegerischer Herkunft die Digitalisierung viel zu langsam forciert hätten. "Das würde sich empirisch relativ einfach beantworten lassen. Wenn das Argument zieht, dann darf die Nutzung der 'blauen Seite' keinen Einfluss auf die Nutzung anderer Seiten haben", so Bauer. Auch lohne der Wettbewerbsvergleich mit dem Ausland. In Deutschland werde das Angebot der öffentlich-rechtlichen Medienhäuser "eher als Mediathek wahrgenommen und nicht so sehr als geschriebene Alternative". Und: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk heißt öffentlich-rechtlicher Rundfunk und nicht öffentlich-rechtliche Zeitung. Das hat einen Grund." Der Konflikt entstehe laut dem Strategieberater nicht dadurch, dass die Verleger dem ORF sein Fernsehprogramm verbieten wollen, sondern dadurch, dass Grenzen überschritten worden seien.

Verständnis für beide Seiten

Prinzipiell könne er aber beide Seiten verstehen. "Ich kann verstehen, dass jemand sein Inhalte auch im Netz anbieten möchte. Und ich kann die Verleger verstehen, die meinen, ihnen werde mit dem gebührenfinanzierten Angebot das Geschäft kaputt gemacht. Es ist ein Interessenskonflikt, der völlig nachvollziehbar ist", sagt der Vocatus AG-Vorstand.

Dass es auch in Österreich mit dem Etablieren eines für die Medienhäuser finanziell lohnenden Paywallangebots klappen könnte, glaubt Bauer "absolut". "Es hat in allen Ländern funktioniert – und es wird auch in Österreich funktionieren. Aber nicht von heute auf morgen – und nicht solange der Preisanker nach unten nicht gelichtet wird." (APA, 12.5.2023)