Die Chance, eine "Emanzipationsbewegung" zu werden, wurde nicht genützt, schreibt die ehemalige Nationalratsabgeordnete Sonja Ablinger in ihrem Gastkommentar.

Pamela Rendi-Wagner, SPÖ-Vorsitzende
Mit dem Parteitag kommenden Samstag ist sie Geschichte: Pamela Rendi-Wagner, die erste Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie.
Foto: APA / Roland Schlager

Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kennen die Geschichte von Anna Altmann. Die Funktionärin der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei hätte 1889 als einzige weibliche Delegierte zum Gründungsparteitag fahren sollen. Ihre Genossen im böhmischen Polzental hatten sie dafür ausgewählt. Als Altmann ihre Delegierung der Parteileitung in Wien meldet, erhält sie eine Absage: "Die Wiener Genossen schrieben damals, dass sie einen männlichen Delegierten wünschen, die Frauen wären noch nicht so weit. Ich ließ es sein und dachte, ‚wir geigen wieder‘", schrieb sie in ihren Memoiren.

Daran musste ich denken, als Pamela-Rendi Wagner ihren Rückzug von der Parteispitze bekanntgab. Das Mitgliedervotum, so könnte man es sehen, richtet der ersten weiblichen Vorsitzenden nach viereinhalb Jahren und unzähligen Querschüssen im Amt aus: Die Partei verlangt einen männlichen Vorsitzenden. Wer hat das vergeigt? Ist die SPÖ noch immer eine Männerpartei, in der Frauen nur bedingt geduldet werden? War die erste Frau an der Spitze der SPÖ ein Betriebsunfall? Oder war Rendi-Wagner – auch in Frauenfragen – zu wenig kämpferisch, zu wenig positioniert, fehlte ihr letztlich das Zeug zur überzeugenden Vorsitzenden?

Keine feministische Partei

All das stimmt. Die SPÖ war nie eine feministische Partei. Stets mussten Frauen in der SPÖ um Anerkennung und um Unterstützung für frauenpolitischen Fortschritt ringen. Das war beim Beschluss des straffreien Schwangerschaftsabbruchs 1973 so. Ursprünglich wollte die SPÖ Abtreibungen nur dann erlauben, wenn sie medizinisch notwendig sind. Erst durch den Druck vieler Frauen in der SPÖ und Aktivistinnen der Frauenbewegung wurde die Fristenregelung als Gesetzesvorlage eingebracht und beschlossen.

Mit der Quotenregelung müht sich die Partei bis heute. Im Wahlkampf präsentiert die SPÖ stolz ihre Frau-Mann-Reißverschlusslisten. Wird es aber danach bei der Mandatsvergabe eng, sind die Genossinnen meist allein, wenn sie die Einhaltung der Quote einfordern. Die Genossen halten sich bedeckt. Schon als die Statutenänderung mit einer 40-Prozent-Quotenregelung auf dem Parteitag im Juni 1991 beschlossen wurde, erhielt die Frauenvorsitzende Johanna Dohnal nur 69 Prozent Zustimmung und mit Abstand die meisten Streichungen. Mir wurde damals als junger Delegierter von einem Spitzenfunktionär erklärt, das wären gar nicht die Männer, sondern die Frauen gewesen, die Dohnal so zahlreich gestrichen hätten. Allein mir fehlte der Glaube.

"Dohnal war bereit, Konflikte mit der Partei – auch öffentlich – auszutragen."

Mit Dohnal als Frauenvorsitzender und später erster Frauenministerin errang die SPÖ die frauenpolitische Meinungsführerschaft. Dohnal verstand es gemeinsam mit vielen Frauen inner- und außerhalb der SPÖ, im Bündnis mit der autonomen Frauenbewegung die Agenda (unter anderem Gleichstellungspaket, Sexualstrafreform, Gewaltschutzgesetz, Unterhaltsreform) voranzutreiben. Sie war bereit, Konflikte mit der Partei – auch öffentlich – auszutragen. Aber Dohnal war zu unbequem, bei der Regierungsumbildung 1995 wurde sie ausgewechselt. Als ihre Nachfolgerin Helga Konrad mit der Kampagne "Ganze Männer machen halbe-halbe" die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit in der Familie thematisierte, konnte sie wenig auf die Unterstützung der männlichen SPÖ-Granden zählen. Ihre Initiative wurde nach wenigen Wochen eingestellt und Konrad beim Regierungswechsel 1997 abberufen.

Breites Aufgabengebiet

Seither ist es zäh geworden, frauenpolitische Meilensteine lassen auf sich warten. Gleichstellungspolitik ist in den letzten 20 Jahren aus der Mode gekommen, die SPÖ hat dem kaum etwas entgegenzusetzen, obwohl sie in Regierungsverantwortung war. Das eigenständige Frauenministerium, mit dem Dohnal ihre großen Erfolge erzielte, wurde 2013 ohne großen Widerstand der SPÖ-Frauen unter Bundeskanzler Werner Faymann abgeschafft.

Rendi-Wagner hätte als erste sozialdemokratische Parteivorsitzende gerade darum ein breites Aufgabengebiet gehabt, die frauenpolitische Agenda – auch innerparteilich – wieder zu schärfen. In der Mitgliederabstimmung setzte sie kampagnentechnisch auf "100 Frauen für Rendi-Wagner". Das war eine gute Idee, mit der sie sich von Andreas Babler und Hans Peter Doskozil unterscheiden wollte. Aber sonst? Und davor? Warum nutzte weder sie noch die SPÖ die historische Chance, mit ihr als erster Parteivorsitzender endlich wieder als "Emanzipationsbewegung" mit und für Benachteiligte in Emanzipationsfragen zu reüssieren, unverkennbar zu werden?

Vertane Chance

Der Eindruck bleibt: Die erste Frau an der Spitze der Sozialdemokratie blieb ein nicht genutzter historischer Zufall. Rendi-Wagner selbst blieb in der Frauenpolitik fast ebenso undeutlich wie in vielen anderen Bereichen. Einkommensunterschiede, Pensionslücke und Armutsbetroffenheit von Alleinerziehenden, all diese strukturellen Benachteiligungen von Frauen spitzen sich gegenwärtig wieder zu. Als erste SPÖ-Vorsitzende hätten Rendi-Wagner und mit ihr die SPÖ die Chance gehabt, die Meinungsführerschaft in der Gleichstellungspolitik wiederzuerlangen. Nicht nur erste Frau zu sein, sondern als Bewegung in Geschlechterfragen erste Geige zu spielen. Diese Chance hat die SPÖ vertan. Aber die Wählerinnen wären so weit. (Sonja Ablinger, 31.5.2023)