Im demokratischen System werden Medien auch als vierte Gewalt bezeichnet. Ihre Kernaufgabe ist es, Öffentlichkeit zu schaffen. Dazu gehören nicht zuletzt Kritik und Kontrolle, also das Aufdecken und Beleuchten von Korruption, von Machtmissbrauch, von strafrechtlichen Verfehlungen. Das ist für diejenigen, über die da berichtet wird, in einer immer stärker mediatisierten Welt naturgemäß wenig angenehm. Deshalb wird der Wind für diejenigen, die kritisieren und beleuchten, rauer – Einschüchterungsklagen nehmen zu. Prototypisch ist etwa der Fall des Aufdeckers Markus Wilhelm. Er hatte einen systematischen Machtmissbrauch bei den Festspielen Erl an die Öffentlichkeit gebracht und wurde in diesem Zusammenhang mit 18 Gerichtsverfahren überzogen. Gewonnen hat er am Ende alle.

"Ziel ist es nicht, das Verfahren zu gewinnen und legitime Ansprüche durchzusetzen."

Wenn kritische Berichterstattung durch solche rechtsmissbräuchlichen Klagen unterbunden werden soll, spricht man auch von Slapps (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Begünstigt wird dieses Vorgehen durch ungleiche finanzielle Möglichkeiten, mächtige Kläger stehen in der Regel finanziell unterlegenen Beklagten gegenüber. Ein Slapp-Kläger nimmt die Kosten eines am Ende verlorenen Prozesses von vornherein in Kauf – gewissermaßen als Preis für das Stummschalten von Kritik. Ziel ist es nämlich nicht, das Verfahren zu gewinnen und legitime Ansprüche durchzusetzen, sondern Druck aufzubauen, einzuschüchtern und dadurch unangenehme Berichterstattung zu verhindern oder zu sanktionieren.

In diesem verpönten Ziel liegt auch der Rechtsmissbrauch. Er zeigt sich vor allem in unverhältnismäßig hohen Geldforderungen, in begleitenden öffentlichen Diffamierungen oder, wie im Fall Wilhelm, in mehreren Klagen in derselben Sache. Sehr oft sind Slapps auch offenkundig unbegründet, beruhen auf einer nicht belastbaren, konstruierten Anspruchsgrundlage. In aller Regel werden solche Prozesse von den Beklagten am Ende denn auch gewonnen.

Abschreckende Wirkung

Das Problem liegt aber eben nicht darin, nach einem jahrelangen Gerichtsverfahren zu einem richtigen Ergebnis zu kommen, sondern in den Belastungen durch diesen Prozess. Die Beklagten sind über einen langen Zeitraum massivem psychischem, emotionalem und finanziellem Druck ausgesetzt. Slapps sind oft existenzbedrohend, und regelmäßig bleiben den Beklagten auch bei vollständigem Obsiegen enorme nicht ersatzfähige Kosten. Zu dieser unmittelbaren Einschüchterungswirkung kommt ein Chilling-Effekt, eine abschreckende Wirkung für jede weitere Kritik am Kläger.

Im Slapp-Report 2023 verzeichnet die Coalition Against Slapps in Europe, eine Vereinigung von rund 110 NGOs, einen europaweiten Anstieg der Fälle um rund 20 Prozent (2022: 135, 2023: 161). Und auch hierzulande ist seit einigen Jahren eine Häufung von hochproblematischen Verfahren zu beobachten. Neben Markus Wilhelm sind das etwa OMV vs. Dossier, Signa vs. Zackzack, ÖVP vs. Florian Klenk oder Internationales Zentrum für Migrationspolitik vs. SOS Balkanroute. Aktuelle fragwürdige Klagen betreffen den Verein gegen Tierfabriken (Kläger: Spar), Die Tagespresse (Kläger: FPÖ) oder den Satiriker, Publizisten und STANDARD-Kolumnisten Florian Scheuba (Kläger: Andreas Holzer, Leiter Bundeskriminalamt).

Hoher Kostendruck

Das Problem beginnt aber nicht erst vor Gericht, denn bereits die bloße Klagsdrohung verursacht hohen Kostendruck und hat enormes Einschüchterungspotenzial. Eine hohe Dunkelziffer ist deshalb sehr wahrscheinlich, zumal das Bewusstsein für die Thematik noch nicht übermäßig ausgebildet ist.

In jedem einzelnen Slapp-Fall soll Berichterstattung über Missstände unterdrückt werden, Missstände, die die Substanz unserer demokratischen Gemeinschaft untergraben und die deshalb im öffentlichen Interesse transparent zu machen sind. Slapps sind daher eine strukturelle Gefahr für Demokratien. Um dem Problem zu begegnen, hat das Europäische Parlament eine Anti-Slapp-Richtlinie für internationale Fälle verabschiedet. Für nationale Fälle gibt es daneben eine Empfehlung der Kommission. Die Europäische Union fordert damit wirksame Maßnahmen ein. Gesetzlich umzusetzen sind diese Vorgaben aber durch die Mitgliedsstaaten.

Ministerin Alma Zadić
Slapp-Klagen sollten auch Österreichs Rechtssystem beschäftigen: Justizministerin Alma Zadić (Grüne).
Foto: Heribert Corn

Nun kennt die österreichische Rechtsordnung zwar schon jetzt Instrumente, die rechtsmissbräuchliche Klagen verhindern sollen. Die schlichte Existenz von Slapps zeigt aber, dass diese bestehenden Regeln nicht ausreichen. Finanziell potente Kläger werden damit offenkundig nicht erreicht. Denn die formale Gleichbehandlung der Parteien im Zivilprozess bevorteilt finanziell überlegene Parteien massiv.

Vorzeitige Einstellung

Vor dem Hintergrund dieses strukturellen Ungleichgewichts sind gesetzliche Maßnahmen geboten, um Slapps zu unterbinden: erstens maßgebliche Elemente, um rechtsmissbräuchliche Prozesse zu deattraktivieren, zum Beispiel spürbare Sanktionsmöglichkeiten gegen die Kläger oder einen vollumfänglichen Kostenersatz für die Beklagten. Zweitens trägt eine wirksame Verfahrenshilfe dazu bei, das finanzielle Ungleichgewicht der Parteien in Balance zu bringen. Und hilfreich wäre drittens die Möglichkeit zur vorzeitigen Einstellung von offenkundig rechtsmissbräuchlichen Verfahren.

Gefordert ist also der österreichische Gesetzgeber, und niemand hindert ihn daran, wirksame Regeln gegen Slapps einzuführen. Es braucht nur einen entsprechenden politischen Willen. (Walter Strobl, 12.3.2024)