Wenn es darauf ankommt, dann funktionieren sie immer wieder gut: Grissemann als genialisch grantiger Österreicher, Stermann als dienstwilliger Deutscher. Das Willkommen Österreich-Duo ist der sehr naheliegende Abschlussgala-Act des österreichischen Gastlandauftritts in Leipzig: unter dem Motto "Werdet Österreicher!". So lautet der Titel des von der Schule für Dichtung ausgerufenen Literaturwettbewerbs, dem thematischen Schlachtruf müssen die allermeisten im Publikum aber gar nicht mehr folgen, sie sind es schon.

Österreicherin ist auch die Leadsängerin von Bipolar feminin, jener Punk-, Pop-, Rockband, whatever, die für eine gut irritierende, musikalische Begleitung durch den Abend sorgt. Von der Formation wird man sicher noch hören, auch viele hammerharte Texte. Die haben in der österreichischen Literaturlandschaft eine große Tradition: "Es ist nichts zu loben …", heißt es bei Thomas Bernhard. "Österreichersein bedeutet Unglück", schrieb Marianne Fritz. "Das Fette, an dem ich würge, Österreich", bezeichnete es Peter Handke. Und Elfriede Jelinek warnt: "Bleiben Sie uns fern, … wälzen Sie sich in ihrem eigenen Schlamm." Literarische Nabelschau mit Hang zum Selbsthass als Kabarettprogramm: Grisse- und Stermann fühlen sich pudelwohl, das Publikum tut das übrigens auch.

Das Gastlandmotto "meaoiswiamia" rund um den Stand ist typografisch sehr gelungen.
Foto: APA/dpa/Jan Woitas

Geholfen hat diesem Samstagabend in Leipzig mit ihrer schön spröden Art auch Doris Plöschberger, die nicht nur Österreicherin, sondern auch Lektorin für Literatur im Suhrkamp-Verlag ist. Sie hat auch mit Größen wie Peter Handke zu tun und spricht mit ihm, erzählt sie, wenn die Arbeit am Text getan ist, übers Fahrradfahren, kaputte Bremsen oder die Pandemie. Fragen, zum Beispiel wann was Literatur ist, lässt sie ansonsten recht gekonnt an sich abprallen. Katja Gasser, die als Kuratorin des Gastlandauftritts die Preisurkunden für die ersten Plätze des Literaturwettbewerbs übergibt (hier die Siegertexte), übrigens auch. Ein erstes Resümee zum Gastlandauftritt? "Euphorisch!" Müde? "Erst übermorgen!"

Klasses Publikum

Man soll den Abend also nicht vor dem Sonntag loben, aber da ist einiges sehr gelungen. Und auf jeden Fall lässt sich sagen: Schon von weitem hat der österreichische Gastlandstand inmitten des Gewusels und der Menschenansammlungen in Halle 4 der Leipziger Buchmesse über die Messetage hinweg ein heimeliges Gefühl und nicht zuletzt Orientierung geboten. Und das nicht nur für die anwesenden Buchmenschen aus Österreich.

Auch das deutsche Literaturpublikum hat zu einem hörbar sprachlich souveränen Umgang mit dem Gastlandmotto "meaoiswiamia" gefunden, das rund um den Stand rot affichiert ist – typografisch übrigens sehr gelungen. Und eines muss zum Ende dieser Buchmesse auch einmal gesagt werden: Das Leipziger Publikum ist klasse. Einen hochkonzentrierten, interessierten Eindruck machen die Menschen auf den immer besetzten Sitzbänken. Das mag auch daran liegen, dass die Gastlandbühne seit Donnerstag verlässlich literarische Qualitätskost im Halbstundentakt bietet.

Am Samstag etwa Anna Baar über das selbstbestimmte Leben der Dorothea Zeemann, Schriftstellerin und Geliebte von Heimito von Doderer, oder das Podium mit dem Flüchtlingsexperten Gerald Knaus, der Essayistin Natascha Strobl und dem Schriftsteller Ilija Trojanow über Solidarität oder eigentlich das Fehlen einer solchen. Wenn Trojanow unsere imperiale Lebensweise ins Feld führt und fordert, dass gewissen Zusammenhänge diesbezüglich in Zukunft klar und besser hergestellt werden müssen, kommt einem kurz der CO2-Fußabdruck einer solchen Messe in den Sinn, man lässt den Gedanken aber gleich wieder fallen.

Krimi und Paprikahendl

Falls einem, Buchmessen-energetisch betrachtet, das vielschichtige "meaoiswiamia"-Programm einmal zu viel geworden ist, gab es jede Menge abseitige Veranstaltungen abseits vom Trubel des Messegeländes. Zum Beispiel: "Österreich vs. Deutschland, die Autorenlesung Fußball zur Leipziger Buchmesse 2023". Aber wer am Samstag da hinwollte, stand zunächst im Stau. Wie man den umfährt, weiß der 60-jährige Taxifahrer, der schon seit 60 Jahren in Leipzig lebt. Er weiß auch, dass die Taxifahrer in Wien Taxler heißen, und noch wichtiger, wo das Café Grundmann ist.

Die Bestsellerautoren Bernhard Aichner und Marc Elsberg (v. li.) bei der "meaoiswiamia"-Kriminacht in Leipzig.
Foto: HelenaGuschlbauer

Eki Grundmann und sein Team waren übrigens würdige Gastgeber bei der heillos überfüllten Kriminacht am Freitagabend zuvor. Zu einem Paprikahendl nach einem Rezept der auch kochenden Eva Rossmann servierten neun heimische Krimistars den Gastgebern Thomas Raab und Bernhard Aichner ("Thomas Bernhard") mörderische Kost. Wie war’s? "Es wurde österreichtypisch viel gelacht. Man saß dann noch bis vier Uhr morgens, da war dann auch die formidable Salami von Verleger Lojze Wieser vernichtet", smst Manfred Rebhandl, Krimischreiber und STANDARD-Autor, immer noch ein bisserl müde.

Helene Fischer als Konkurrenz

Als er am Samstag schon im Zug zurück nach Wien sitzt, haben im Café Grundmann die Kicker übernommen – im Aufwärmmodus für das Ländermatch, das um 18.30 Uhr irgendwo am Leipziger Stadtrand stattfinden wird, erst einmal Texte vorlesend (Team Österreich: Clemens Berger, Wolfgang Ilkerl, Mario Schlembach, Willy Kaipel, Thomas Pöltl; Team Deutschland: Andreas Merkel, Norbert Krohn, Friedemann Karig, Falko Hennig, Nik Afanasjew). Und selbst als Frau, die sich nicht so für Fußball interessiert, wird klar, hier geht es um Großes: das Drama Fußball in all seinen erst- und unterklassigen Facetten – Pässe, Fouls, Abseits, ganz große Gemeinschaftsgefühle.

Das steht ganz im Gegensatz zu den Krimi-Fans: Sehr viele sind es nicht, die gekommen sind. Der Taxifahrer und konkrete Poet Uwe Schleier ("Keine Feier ohne Schleier") weiß auch, warum. In Leipzig findet an diesen vier Tagen Ende April nicht nur Buchmesse statt, Helene Fischer singt gleich mehrere Konzerte und Red Bull Leipzig spielt am Samstagnachmittag, kurz bevor die deutschen Autoren gegen die österreichischen antreten, gegen Hoffenheim (1:0). Nach der Lesung von Mario Schlembach, Schriftsteller und Totengräber, bleibt den deutschen Kollegen nur noch die Frage: Werden die Österreicher uns begraben? Mal schauen.

Verpassen gehört dazu

Auf individueller Ebene bedeutet so eine Buchmessen-Besuch endlos Versäumnisse. Wer am Sonntag nicht mehr in Leipzig ist, versäumt etwa das Podium mit Karl-Markus Gauß und den Ukrainischen Autorinnen Kateryna Mishchenko und Nelia Vakhovska, moderiert vom IWM-Permanent Fellow Ludger Hagedorn oder Lesungen aus den neuen Romanen von Teresa Präauer ("Kochen im falschen Jahrhundert") oder David Schalko ("Was der Tag bringt"). Beide wurden moderiert vom legendären deutschen Literaturkritiker Denis Scheck. Noch meaoiswiamia!

Die österreichischen Kicker-Autoren haben in Leipzig gegen die deutschen verloren, haushoch sogar (hier der Spielbericht). Der durchwegs positiven Bilanz des Österreich-Auftritts tut das keinen Abbruch. Lange nach dem Ende der großen Abschlussgala in der Schaubühne Lindenfels war Mario Schlembach der Überbringer der schlechten Nachricht: 12:2. Das Gute daran, man konnte noch einmal den unverwechselbaren Lacher von Katja Gasser hören. Nicht zuletzt haben auch Niederlagen und Scheitern die österreichische Literatur groß gemacht. Und außerdem: "Nichts ist festgeschrieben", das hat die künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts in Leipzig, immer wieder gesagt, ja fast gepredigt. Und ganz abgesehen davon: Früher oder später müssen wir alle den Ball abgeben, verlieren die Kontrolle, so philosophieren die Spieler-Autoren in Leipzig. Darum lieben wir nicht nur den Fußball. Darum lieben wir das Leben und die Menschen, die aus alldem Literatur machen. (Mia Eidlhuber aus Leipzig, 30.4.2023)