Ein Rekord an Studierenden sind heuer bei der ÖH-Wahl wahlberechtigt. Am Donnerstag wird sich zeigen, ob mehr in die Wahlkabine gegangen sind als bei der letzten Wahl vor zwei Jahren.
Foto: Christian Fischer

Eigentlich ist es keine kleine Wahl, doch für viele kommt sie daher wie eine: die bundesweite Wahl der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH). Von 9. bis 11. Mai können rund 350.000 Studentinnen und Studenten an 76 Hochschulen ihre Stimme abgeben. So viele Wahlberechtigte gab es noch nie – und damit ähnlich viele, wie bei der kürzlich stattgefundenen Landtagswahl in Salzburg, wo 387.000 Menschen stimmberechtigt waren. Doch bei der Beteiligung können die ÖH-Wahlen nicht mit der "großen Politik" mithalten: Lediglich 16 Prozent der Studierenden haben 2021 ihre Interessenvertretung für die nächsten beiden Jahre mitbestimmt.

Die geringe Beteiligung bei der vorigen Wahl führten viele auf die Corona-Pandemie zurück, als die meisten Studierenden gar nicht im Hörsaal, sondern in der Distanzlehre waren. Doch auch eine höhere Beteiligung bei der Briefwahl konnte die insgesamt niedrige Stimmabgabe nicht wettmachen. Damals gab es einen Rekord bei der Abstimmung per Post: 21.000 Wahlkarten wurden 2021 beantragt. Bei der diesjährigen Wahl sind es mit knapp 6000 deutlich weniger. Damit die Briefwahl auch gilt, müssen die Wahlkarten bis Mittwoch um 18 Uhr bei der Wahlkommission eintreffen.

Die Wahlergebnisse stehen am Donnerstagabend erfahrungsgemäß erst zu später Stunde fest. Aufgrund der zahlreichen Listen und engen Resultate an der Spitze wird über den ÖH-Vorsitz meist nicht am Wahlabend, sondern erst bei den späteren Koalitionsverhandlungen entschieden. Die Funktionsperiode der neuen Bundesvertretung beginnt am 1. Juli.

Grafik: Fatih Aydogdu

Wer und wo gewählt wird
Einmal hingehen, dreimal mitbestimmen

An allen Hochschulen sind die Wahllokale von Dienstag bis Donnerstag geöffnet, mancherorts konnte man bereits vergangene Woche wählen. Die zum eigenen Studium passenden Lokale samt Öffnungszeiten findet man über die Websites der Hochschulen oder den Online-Wahllokalefinder der ÖH. Briefwahlkarten können nicht mehr beantragt werden.

Wer vor Ort wählt, erhält drei Stimmzettel. Die höchste Ebene ist die Bundesvertretung, für dieses österreichweite Studierendenparlament treten neun Listen an. Zweitens gibt es eigene Hochschulvertretungen, die die Interessen an der jeweiligen Institution vertreten – hier treten teils andere Listen an. Nicht Fraktionen, sondern Personen werden in die Studienvertretungen gewählt. Diese kümmern sich etwa um spezifische Anliegen rund um ein bestimmtes Studium, organisieren aber oft auch Feiern oder Info-Abende.

Grafik: Fatih Aydogdu

Kandidaten und Anliegen
Neun Fraktionen und noch mehr Forderungen

Mit acht Fraktionen ist die Vielfalt in der ÖH-Bundesvertretung deutlich größer als im Nationalrat. Drei linke bilden dort eine Koalition: Die sozialistischen (VSStÖ), die grünen Studierenden (Gras) sowie die unabhängigen Fachschaftslisten (Flö). In der Opposition sitzen zwei kommunistische Listen, die liberalen Junos, die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft (AG) und die extrem rechten freiheitlichen Studenten (RFS).

Alle acht treten heuer an, neu kandidiert die Liste "Who the F*ck is Herbert". Einig sind sich die Fraktionen in ihrer Kritik, dass von der Regierung zu wenig gegen die Doppelbelastung von Studierenden durch Job und Studium getan wird. Die Forderungen sind aber naturgemäß sehr bunt. DER STANDARD hat die Spitzenkandidaten interviewt (siehe Infobox). Die Nachlese zur Wahlorientierung gibt es hier.

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Die Macht ...
Einbindung in Österreich relativ stark verankert

Im internationalen Vergleich ist die Studierendenvertretung in Österreich gesetzlich stark verankert und durch Pflichtbeiträge finanziell abgesichert. In vielen anderen Ländern, etwa Deutschland, gibt es erst gar kein Pendant zur Bundesvertretung und bloß einen Fleckerlteppich an lokalen Vertretungen. Die ÖH-Bundesvertretung entsendet stimmberechtigte Vertreter in hochschulrelevante Behörden und Einrichtungen, zum Beispiel in die Akkreditierungsstelle AQ Austria und den Forschungsfonds FWF.

An den Universitäten stellt die ÖH ein Drittel der Mitglieder des Senats, der über zahlreiche wichtige Fragen entscheidet – so beschließt er die Satzung der Uni und wählt Rektorskandidaten aus. Die Studienvertretungen sind in Kommissionen eingebunden, die zum Beispiel bei Studienplänen oder bei der Berufung von Professorinnen und Professoren mitsprechen dürfen.

... und Ohnmacht
Bei wichtigen Anliegen nichts zu entscheiden

Über die meisten Forderungen, die im Wahlkampf ertönen, kann die ÖH gar nicht entscheiden. Von Studienbeihilfe bis Aufnahmetest entscheidet alle großen Fragen das Parlament. Die Uni-Budgets verhandelt das Bildungsministerium mit den Rektoraten, nicht mit der ÖH. Selbst den ÖH-Beitrag kann die ÖH nicht festsetzen, auch der ist gesetzlich geregelt.

Seit der Uni-Reform 2002 wurde die Mitbestimmung in den Gremien abgebaut: In den damals etablierten Universitätsräten, quasi die Aufsichtsräte der öffentlichen Unis, hat die ÖH nur ein Anhörungsrecht, darf aber nicht mitstimmen. An Privat-Unis und FHs ist die Mitbestimmung seit jeher schwächer, wobei auch informelle Mechanismen dem dortigen Kritikpotenzial Grenzen setzen: Da die Studierenden sogenannte Studienverträge mit der Hochschule abschließen und ja auch für das Studium bezahlen, fürchten sich manche ÖH-Vertreter vor den Folgen allzu harter Worte.

Grafik: Fatih Aydogdu

Der Weg des Geldes
Verwendung der Beiträge ist politisch zu bestimmen

Den Löwenanteil ihres Geldes bekommt die ÖH von Pflichtbeiträgen der Studierenden. Derzeit sind das 21,20 Euro pro Semester. Ein bisschen was legt noch das Bildungsministerium drauf, in Summe hat die ÖH ein Jahresbudget von rund 18 Millionen Euro. Der Großteil fließt an die Hochschulvertretungen.

Es gibt kaum Auflagen, wofür das Geld verwendet werden muss, es ist also eine politische Entscheidung und sorgt immer wieder für Debatten zwischen den Fraktionen – etwa wenn Demos oder politische Workshops gesponsert werden. Die Bundes-ÖH hat in den vergangenen Jahren einige millionenschwere Hilfstöpfe finanziert, mit denen pandemiebedingte soziale Notlagen abgefedert werden sollten oder geflüchtete ukrainische Studierende unterstützt wurden.

Grafik: Fatih Aydogdu

Aufreger im Wahlkampf
Ein blau-blauer Zwist eskaliert im Endspurt

Die Freiheitlichen spielen in der ÖH kaum eine Rolle: Sie haben ein Mandat, und keiner will mit ihnen koalieren. Im Wahlkampf fallen sie aber durch ihr chaotisches Bild auf. Zunächst scheiterte der RFS daran, die Kandidatur korrekt einzureichen, kürzlich eskalierten interne Reibereien.

Der RFS-Mandatar, zugleich FPÖ-Bezirksrat in Wien, trat aus der Fraktion aus und klagte im STANDARD über "persönliche Angriffe" durch blaue Ex-Kollegen. Diese wiederum kritisierten seine Arbeitsweise der letzten Jahre. Für einen Rassismuseklat im Wahlkampf sorgte ausgerechnet der gegen Diskriminierung auftretende VSStÖ: Die rote Vorsitzperson der FH Campus musste zurücktreten, weil sie einen türkischstämmigen AG-Funktionär als "Kanake" diffamiert hatte.

(Theo Anders, Selina Thaler, 9.5.2023)