Wahrscheinlich ist Julia Roberts schuld. 2010 hat der Hollywoodstar in Neapel für den Film "Eat, Pray, Love" eine Pizza verspeist. Seitdem sind vor dem gefilmten Restaurant Da Michele Schlangen an Touristen. Aber auch durch die engen, dunklen Gassen der Innenstadt düsen nicht nur Mopeds in atemberaubendem Tempo an einem vorbei, auch Urlauber-Gruppen versperren den Weg.

Liegestühle vor alten Fassaden in Neapel
Dem Gewusel von Neapel kann man mit einem Tag am Strand entfliehen.
Karin Cerny

Ich liebe Neapel trotz Übertourismus, vor allem, weil es noch immer Plätze zu entdecken gibt, an die sich kaum jemand verirrt. Etwa das Centro direzionale mit seinen Hochhäusern aus den 1980er- und 1990er-Jahren, das man abends allerdings meiden sollte, weil es gespenstisch leer ist. Oder das Casa del Portuale des neapolitanischen Architekten Aldo Loris Rossi, eine gigantische Betonskulptur im Hafen, in der einst ein Verwaltungsgebäude gewesen ist, und das noch heute als brutalistisches Meisterwerk Architekturfans anzieht. Den zum Teil schon abgerissenen sozialen Wohnbau Vele di Scampia habe ich noch nicht gesehen, wahrscheinlich, weil das Viertel als gefährlich gilt und doch recht abgelegen ist. Neapel kann ziemlich herausfordernd sein, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. Geschätzt nur jeder dritte Bus kommt, oft wartet man ewig – und natürlich ist dann alles übervoll.

Liegestühle auf einem Steg am Meer
Der Holzsteg des Bagno Elena erinnert an ein Schiffsdeck.
Karin Cerny

Wenn mir Neapel zu anstrengend wird, dann verbringe ich einen Tag in meinem Lieblingsbad. Das Bagno Elena ist in der Vorsaison angenehm leer, hat den Charme von 19. Jahrhundert-Badehäusern: ein Holzsteg zieht sich ins Meer, man fühlt sich darauf wie auf einem Schiff. Daneben ein langer Sandstrand direkt am Meer mit Blick auf den Vesuv und den imposanten Palazzo Anna, der schon seit Jahren renoviert wird. Der Eintritt ist nicht günstig, aber ich finde, es lohnt sich. Pastiera, ein Mürbteigkuchen, der herrlich nach Orangenblüten schmeckt und an die arabische Vergangenheit Süditaliens erinnert, ist selbst in der unprätentiösen Kantine zu empfehlen.

Klassizistische Fassaden am Strand von Neapel
Das neapolitanische Nobelviertel Posillipo verfügt über mehrere Strandbäder.
Karin Cerny

Das Bagno Sirena ist rund 100 Meter entfernt, aber schwieriger zu finden, weil der Eingang nicht auf der Meeresseite ist – man geht dann unter der Straße durch zum Strand. Aber die Aussicht ist weit nicht so schön wie im Elena. Beide Bäder liegen im Nobelviertel Posillipo. Faszinierend wie sich die Villen da den Berg entlang schmiegen. Hier kann man atmen, selbst, wenn es im Sommer unerträglich heiß ist. Und der Blick schweift in die Ferne aufs Meer. Man muss automatisch an die Bücher von Elena Ferrante denken, an diesen krassen Gegensatz zwischen Arm und Reich, den sie so anschaulich beschreibt. Der Weg zurück ins Zentrum in einem überfüllten Bus holt einen dann ohnehin wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. (Karin Cerny, 14.8.2023)