In der Umfragen- und Inseratenaffäre rund um Sabine Beinschab laufen auch gegen die ÖVP selbst Ermittlungen.
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Von einem beschaulichen Sommerausklang kann in der ÖVP keine Rede sein. In den vergangenen beiden Wochen ging es einmal mehr Schlag auf Schlag. Zunächst wurde bekannt, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einen Strafantrag gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), seinen früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli und seine einstige Vizeparteichefin und Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner eingebracht hat. Sie alle werden wegen des Vorwurfs der Falschaussage angeklagt.

Nur wenige Tage später schlitterte die ÖVP in eine weitere Umfragenaffäre. Drei ÖVP-Ministerien sollen Steuergelder missbräuchlich dazu verwendet haben, Umfragen zu finanzieren, von denen die ÖVP profitiert haben soll. Hier steht der Verdacht der Untreue, des Betrugs und der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen im Raum.

Und als wäre es damit nicht schon genug, sind just vor dem Superwahljahr 2024 - es stehen Landtagswahlen, eine EU-Wahl und die Nationalratswahl an - noch zahlreiche andere Ermittlungen anhängig. Ein Überblick in loser Reihenfolge. Für alle nachfolgend Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Causa Falschaussage

Was vor kurzem in einen Strafantrag gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz mündete, hatte vor drei Jahren mit einer Aussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss begonnen. Kurz war am 24. Juni 2020 als Auskunftsperson in das parlamentarische Gremium geladen. Die Abgeordneten wollten von ihm wissen, inwiefern er in Personalentscheidungen rund um die Staatsholding Öbag involviert war. Konkret geht es um die Bestellung von Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, zum Öbag-Chef.

Video: Ab 18. Oktober muss sich Sebastian Kurz wegen Falschaussage am Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten.
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Kurz spielte seine Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats sowie bei der Bestellung von Schmid im Ausschuss herunter. Die Neos zeigten Kurz daraufhin wegen Falschaussage an. Die WKStA nahm Ermittlungen auf und sah eklatante Diskrepanzen zwischen Kurz' Aussagen und Inhalten in sichergestellten Chatnachrichten. Ab 18. Oktober wird sich Kurz wegen des Delikts der falschen Beweisaussage vor Gericht verantworten müssen.

Und nicht nur er, denn in diesem Komplex wurde auch gegen Kurz' früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli sowie gegen seine einstige Vizeparteichefin und Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner ermittelt. Auch gegen die beiden hat die WKStA Anklage wegen Falschaussage erhoben. Bonelli soll ebenfalls im U-Ausschuss, Glatz-Kremsner zudem auch bei einer Einvernahme als Zeugin vor den Ermittlern falsch ausgesagt haben.

Konkret wird Bonelli vorgeworfen, seine angebliche Involvierung in die Schmid-Bestellung sowie jene des Altkanzlers im U-Ausschuss heruntergespielt zu haben. Bei Glatz-Kremser geht es um eine möglicherweise falsche Beweisaussage hinsichtlich der umstrittenen Bestellung des früheren FPÖ-Bezirkspolitikers Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria im Jahr 2019.

Causa Umfragen

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die WKStA drei ÖVP-geführten Ministerien vorwirft, mit Steuergeldern Umfragen bezahlt zu haben, von denen nicht die Ministerien selbst, sondern die ÖVP als Partei profitiert haben soll. Konkret sollen in den Jahren 2021 und 2022 Mittel aus dem Wirtschafts-, dem Landwirtschafts- und dem Verteidigungsministerium zugunsten der Volkspartei missbraucht worden sein. In Auftrag gegeben wurden die Umfragen beim ÖVP-nahen Demox-Institut. Es besteht der Verdacht der Untreue, des Betrugs und der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen. Ermittelt wird gegen fünf namentlich bekannte Beschuldigte und eine unbekannte Person. Um welche Personen es sich konkret handelt, ist bisher nicht bekannt.

Das umfangreichste Ermittlungsverfahren betrifft allerdings eine andere Umfragen- und Inseratenaffäre. Seit zwei Jahren ermittelt die WKStA in der sogenannten Causa Beinschab. Hier sollen vom Finanzministerium bezahlte Umfragen vom Team Kurz für parteipolitische Arbeit verwendet worden sein. In diesem Zusammenhang geht es auch um mutmaßliche Deals mit dem Boulevardblatt "Österreich", das frisierte Umfragen, in denen Kurz gut dastand, im Gegenzug für vom Finanzministerium finanzierte Inserate veröffentlicht haben soll.

Im Zuge dieser Ermittlungen kam es im Oktober 2021 zu Hausdurchsuchungen unter anderem im Kanzleramt und im Finanzministerium. Die Affäre führte schließlich auch zum Rücktritt von Kurz zunächst als Kanzler, später auch als Parteichef.

Die WKStA ermittelt gegen ihn und zahlreiche weitere Beschuldigte, darunter die "Österreich"-Macher Wolfgang und Helmuth Fellner und Ex-Familienministerin Sophie Karmasin, sowie drei Verbände, darunter auch die ÖVP selbst. Die jüngsten maßgeblichen Ermittlungen in diesem Verfahrenskomplex betreffen die Boulevardblätter "Heute" und "Kronen Zeitung". Im Zusammenhang mit dem Verdacht der Inseratenkorruption hat die WKStA deshalb auch Ermittlungen gegen das Medienmanager-Ehepaar Eva und Christoph Dichand eingeleitet. Ermittelt wird wegen des Verdachts der Untreue, der Bestechlichkeit und der Bestechung. Die meisten Beteiligten bestreiten die Vorwürfe in der Causa, Meinungsforscherin und Kronzeugin Sabine Beinschab hat jedoch ein Geständnis abgelegt.

Causa Casinos

Die WKStA ermittelt seit mittlerweile vier Jahren auch in der Causa Casinos. Im Raum steht, dass der FPÖ-Mann Peter Sidlo Casinos-Vorstand geworden sein soll, weil im Gegenzug der ÖVP-Mann Thomas Schmid Öbag-Chef wurde. Begonnen hat alles im Mai 2019 mit einer anonymen Anzeige über einen mutmaßlichen Deal zwischen dem Glücksspielkonzern Novomatic und Vertretern der FPÖ. Der Verdachtslage zufolge sollte Novomatic unter anderem dafür sorgen, dass Sidlo Casinos-Vorstand werde. Im Gegenzug hätte die FPÖ Novomatic unter anderem bei der Erlangung von Onlineglücksspiellizenzen helfen sollen.

Beschuldigte in diesem Komplex sind neben Sidlo und Schmid auch die damaligen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus und Hubert Fuchs. Darüber hinaus zählen auch Ex-Finanzminister Hartwig Löger, Ex-Casag-Aufsichtsratschef Walther Rothensteiner, Novomatic-Gründer Johann Graf und der frühere Novomatic-Chef Harald Neumann zu den Beschuldigten.

Causa Postenbesetzungen

Mehrere aktive oder ehemalige ÖVP-Politiker stehen außerdem aufgrund von Postenbesetzungen im Visier der Ermittlerinnen und Ermittler. Darunter etwa Klubobmann August Wöginger. Er soll bei Schmid interveniert haben, um einen ÖVP-Bürgermeister zum Chef eines oberösterreichischen Finanzamts zu machen. Eine besser qualifizierte Kandidatin ging leer aus und beschritt den Rechtsweg; ihr wurde recht gegeben.

Wöginger bestreitet seinen Einsatz für seinen Parteifreund gar nicht, sieht darin aber keine strafbare Handlung. Die WKStA ermittelt jedenfalls wegen Amtsmissbrauchs, nicht nur gegen Wöginger, sondern auch gegen Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling, der über die Personalangelegenheit informiert gewesen sein soll.

Auch gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wird wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs ermittelt. Anlass ist eine Postenbesetzung im Jahr 2017. Andrea Jelinek soll damals von der ÖVP als Wiener Vizelandespolizeidirektorin verhindert worden sein, weil sie als SPÖ-Nahe gesehen worden sei.

Ebenfalls Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit einer Postenbesetzung hat Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter am Hals. Darüber hinaus wird gegen Brandstetter wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt.

Causa Wolf

Die WKStA wirft dem Unternehmer Siegfried Wolf vor, mit der Hilfe von Schmid eine Finanzbeamtin bestochen zu haben, um weniger Steuern nachzahlen zu müssen. Diese soll Wolf einen Steuernachlass gewährt haben. Wolf soll sich als Gegenleistung bei Schmid dafür eingesetzt haben, dass die Beamtin in ein anderes Finanzamt versetzt wird.

Chats zeigen, dass Wolf, der die Vorwürfe entschieden bestreitet, oftmals bei Schelling, Schmid und anderen aus dem Ministerium interveniert hat. Wegen dieser Chats wird auch gegen Schelling und einen ehemaligen Kabinettsmitarbeiter ermittelt.

Frei- und Schuldsprüche

Im Zusammenhang mit den zahlreichen Affären und Vorwürfen der vergangenen Jahre, die Vertreterinnen und Vertreter der Volkspartei oder ihr Umfeld betreffen, kam es bislang erst zu einem Gerichtsprozess. Ex-Familienministerin Sophie Karmasin wurde Ende Mai schuldig gesprochen, zwei Meinungsforscherinnen dazu animiert zu haben, Scheinangebote für sie an ein Ministerium gelegt zu haben. Karmasin wurde deshalb zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt – ins Gefängnis muss sie daher nicht.

Vom Betrugsvorwurf rund um ihre Gehaltsfortzahlung als Ministerin wurde Karmasin hingegen freigesprochen. Sowohl die WKStA als auch die Verteidigung Karmasins brachten Rechtsmittel ein. Daher ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Erst vor wenigen Tagen wurde hingegen Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, rechtskräftig freigesprochen. Fuchs waren Verletzung des Amtsgeheimnisses und Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen worden. Bereits vor einem Jahr wurde der suspendierte Justizsektionschef Christian Pilnacek rechtskräftig freigesprochen – auch ihm wurde Verletzung des Amtsgeheimnisses vorgeworfen. Mit beiden Causen war die Staatsanwaltschaft Innsbruck befasst.

Einstellungen

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass sehr viele Anzeigen im Zusammenhang mit der ÖVP zurückgelegt wurden, weil die Ermittlerinnen und Ermittler keinen Anfangsverdacht sahen. Das betrifft beispielsweise Sachverhaltsdarstellungen rund um Parteispenden an die ÖVP in Verbindung mit angeblichen Vorteilen für die Spenderinnen und Spender. Hier wurde etwa ein Ermittlungsverfahren gegen Ex-Finanzminister Hartwig Löger eingestellt.

Auch viele Personalbestellungen wurden angezeigt, von der Staatsanwaltschaft aber nicht weiterverfolgt. Darüber hinaus wurden zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Falschaussage gar nicht erst aufgenommen oder eingestellt, etwa jenes gegen Ex-Finanzminister Gernot Blümel. Kürzlich eingestellt wurde auch das Ermittlungsverfahren gegen Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner wegen des Vorwurfs der Vorteilsannahme. (Sandra Schieder, 28.8.2023)