Die größten Hoppalas des Jahres der Tech-Branche. Da brennen nicht nur dem KI-generierten Roboter die Sicherungen durch.
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Das Jahr geht dem Ende zu, und während schon der Sekt eingekühlt wird, um das Jahr 2024 gebührend zu begrüßen, können wir noch einmal zurückblicken auf 2023. Und als wäre das ablaufende Jahr nicht schon schlimm genug gewesen, dürfen wir an dieser Stelle eine kleine Übersicht über ein spannendes Jahr in der Tech-Branche wagen.

Viele positive Dinge werden uns in Erinnerung bleiben: Das iPhone kann endlich USB, die KI macht die Hausaufgaben oder gar die Bachelor-Arbeit, und endlich ist das unsinnige Gerede über NFTs vorbei.

Das Jahr 2023 gab uns aber auch genügend Gründe für Kritik an Big Tech und den Auswüchsen einer Branche, die nicht gerade arm an Exzentrikern ist. Deshalb möchten wir das Schlaglicht nun auf die Tiefpunkte 2023 werfen und zurückblicken auf die denkwürdigsten Momente, die größten Fails und jene Situationen, in denen wir nur noch kopfschüttelnd vor dem Bildschirm saßen. Denn davon gab es einige.

Sam Bankman-Fried auf dem Weg ins Gericht.
GETTY IMAGES NORTH AMERICA/MICHA

Sam Bankman-Fried und der effektive Altruismus

Sam Bankman-Fried wird in seiner Welt von allen missverstanden. Nein, er spielte während wichtiger Geschäftsmeetings nur Videospiele, weil sein Gehirn so multitaskingfähig ist. Und in Wahrheit ist seine Ex-Freundin an allem schuld, die hat schließlich sieben Milliarden Dollar an Kundenguthaben der Kryptobörse FTX in ihrem Hedgefonds Alameda Research verloren. Dabei wollte er doch nur dem effektiven Altruismus anhängen und seinen Reichtum mit allen Menschen teilen. Leider bestand Bankman-Frieds Reichtum ebenfalls aus geborgtem Geld von anderen. Doch der Richter aus New York wollte die Robin-Hood-Geschichte nicht so recht glauben. In einem Prozess, in dem es unter anderem um die mangelnde Körperhygiene des Angeklagten ging, stellte sich heraus, dass Bankman-Fried offenbar keine Ahnung von der finanziellen Lage seines Unternehmens hatte und es auch mit seiner Kompetenz als Chef eines Finanzunternehmens nicht besonders weit her war.

Nachdem sich der gefallene Kryptostar schuldig bekannte, wartet er jetzt auf sein Urteil. Diese wird 26. März 2024 erwartet und dürfte wohl in einer sehr, sehr langen Haftstrafe enden. Ihm drohen bis zu 100 Jahre Haft. Alle seine Mitstreiter, darunter seine Ex-Freundin Caroline Ellison, hatten Bankman-Fried schwer belastet. Einer seiner Freunde, Changpeng "CZ" Zhao war maßgeblich für den Untergang von FTX mitverantwortlich. Doch wer anderen einen Grube gräbt ...

Einst der Held am Glücksrad, jetzt verurteilter Geldwäscher: Changpeng Zhao.
IMAGO/IP3press

Der tiefe Fall von CZ

Die Schadenfreude bei Changpeng Zhao währte nämlich nicht lange. Mit dem Fall von Sam Bankman-Fried, galt Zhao als die Nummer eins der Kryptobranche. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, studierte der junge Zhao Informatik und entwickelte Handelssysteme für Broker, bevor er in der Kryptobranche landete. Er gründete letztendlich Binance, und in nur acht Monaten wuchs die Kryptobörse zur größten Handelsplattform ihrer Art an. Weltweit. Bis Ende 2022 stieg Zhaos Vermögen auf 17 Milliarden Dollar.

Doch mit dem rapiden Wachstum geriet Binance auch ins Visier der Behörden. Und tatsächlich: Geldwäsche stand im Raum, genauso wie die Umgehung von Sanktionen gegen Iran und Russland. Dann entschied ein US-Gericht, dass unter anderem der Vorwurf der Geldwäsche berechtigt war. Zhao bekannte sich schuldig. Der 46-Jährige musste als Chef von Binance zurücktreten. Der Vergleich kostete sein ehemaliges Unternehmen 4,3 Milliarden Dollar. Zhao selbst droht nun eine 18-monatige Haftstrafe. Die Verhandlung ist für den 23. Februar 2024 angesetzt, bis dahin darf Zhao das Land nicht verlassen. Die US-Ermittler beschreiben das Geschäftsgebaren von Binance wenig schmeichelhaft: Terroristen und Verbrecher seien für die Kryptobörse Premiumkunden gewesen.

Was für ein tiefer Fall, noch im Vorjahr half Zhao tat- und finanzkräftig bei der Übernahme von Twitter durch Elon Musk mit. Apropos Musk.

Das US-Magazin "Engadget" nannte den Cybertruck eine "dystopische, masturbatorische Fantasie".
REUTERS/MIKE BLAKE

Der Cybertruck: Teuer und doch nicht kugelsicher

Dem widmen wir in den kommenden Tagen einen eigenen Artikel, denn das Jahr 2023 war für den Milliardär sicher ein unvergessliches – so wie für den Rest aller X-Nutzerinnen und -Nutzer. Aber auch Musks Unternehmen Tesla hatte es 2023 nicht besonders leicht. Ziemlich genau vier Jahre musste die Weltöffentlichkeit auf den ersten serienmäßig produzierten Cybertruck warten. 2019 hatte Elon Musk das futuristische Gefährt angekündigt, doch es folgten Probleme am laufenden Band. Pandemiebedingt kam es zu Lieferschwierigkeiten von Bauteilen, und die immer neuen Ankündigungen von Elon Musk ("Der Cybertruck ist ein Amphibienfahrzeug") führten zu Verzögerungen bis 2023.

Als der Cybertruck im groß angekündigten Delivery-Event schließlich einer Handvoll Kunden übergeben wurde, war die Ernüchterung groß: Der Cybertruck war schon in der Basisvariante deutlich teurer als angenommen. Hatte Elon Musk den Preis anfangs noch mit 40.000 Dollar angegeben, wurde dieser auf 61.000 erhöht. Aber nicht nur das: Die Reichweite des Elektro-Boliden entsprach nicht ganz den vollmundigen Ankündigungen des exzentrischen Milliardärs. Statt der angekündigten 800 Kilometer kommt der Basis-Truck nur 400 Kilometer weit. Dafür gibt es aber ein Powerpack, das die Reichweite erhöhen soll, dafür aber viel Platz auf der Ladefläche einnimmt.

Gleichzeitig wurde der Cybertruck als kugelsicher vermarktet, was sich bei näherer Betrachtung auch als dreister Werbeschmäh herausstellte. Zwar hielten die Edelstahlpaneele einem Beschuss durch leichte Handwaffenmunition stand, der Rest des Fahrzeuges ist aber ungepanzert. Zu allem Überfluss ging dann im Dezember noch ein Video viral, in dem ein Cybertruck auf einem schneebedeckten Abhang stecken blieb. Ausgerechnet ein Pickup vom größten Konkurrenten Ford musste den Karren aus dem Gatsch ziehen. Autsch.

Sam Altman stand im Zentrum eines der größten "Was-zur-Hölle-Momente" des Jahres 2023.
AP/Eric Risberg

Sam Altman und der Verschwindetrick

Kommen wir zu einem, der eigentlich nicht für Skandale berühmt ist. Sam Altman hat zwar seine Finger auch in allerlei merkwürdigen Geschäften, aber der KI-Pionier gilt dennoch als einigermaßen seriös – für Silicon-Valley-Maßstäbe wohlgemerkt. Dafür stand er selbst im Zentrum eines der größten Was-zum-Teufel-Momente des Jahres 2023, und dabei konnte er selbst (fast) nichts dafür. Doch Altman war eigentlich einer der Gewinner des alten Jahres: Sein Unternehmen OpenAI hat mit ChatGPT einen KI-Hype entfacht und galt (auch dank vieler Milliarden von Microsoft) als weltweit führend. Aber anscheinend lief es hinter den Kulissen des Unternehmens nicht so gut. In einer Aktion, die man getrost als bizarr bezeichnen kann, wurde Sam Altman am 17. November überraschend gefeuert – und zwar ohne konkrete Angabe von Gründen. Der nunmehrige Ex-Chef sei "in seiner Kommunikation nicht konsequent offen gewesen", hieß es in einem Statement des Vorstandes.

Über das Wochenende rieb man sich bei Microsoft schon die Hände, schließlich könnte man sich den KI-Guru doch jetzt günstig ins Haus holen, während Altman und der Vorstand von OpenAI noch über seine mögliche Rückkehr verhandelten. Am 20. November verkündete Microsoft-CEO Satya Nadella die frohe Botschaft, dass Altman zu Microsoft wechselt und bald dort ein Team für fortgeschrittene KI-Entwicklung leitet. Kurz sah es so aus als hätte der Vorstand von OpenAI das eigene Unternehmen an die Wand gefahren. Und als wäre die ganze Geschichte nicht schon wendungsreich genug, kam es zwei Tage später noch einmal zu einem Plottwist. Die Mitarbeiter von OpenAI veröffentlichten einen offen Brief an den Vorstand. Sie drohten damit OpenAI zu verlassen und geschlossen zu Microsoft zu wechseln. Pikant: Darunter war auch Ilya Sutskever. Der wissenschaftliche Leiter soll die treibende Kraft hinter der Absetzung von Altman gewesen sein. Plötzlich entschuldigte er sich bei seinem Ex-Chef.

In der Nacht des 20. November gab der Vorstand nach: Altman kommt zurück als CEO, Brockman wird wieder Präsident. Und der Vorstand? Der musste bis auf eine Person gehen.

Chatkontrolle: Scheitern mit Anlauf

Dass der automatisierte Scan von privaten Chatnachrichten bei den Bürgerinnen und Bürgern der EU nicht besonders gut ankommt, war zu erwarten. Schließlich hätten die Pläne der EU-Kommission nichts weniger als das Verbot von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bedeutet. Das alles geschah unter dem Vorwand des Kinderschutzes, schließlich sollte ja nur nach Missbrauchsmaterial gesucht werden.

Das wäre alleine schon schlimm genug gewesen, doch was sich an begleitenden Störgeräuschen dazu einstellte, wurde zu einer wahren Kakophonie. Im Zentrum stehen EU-Kommissarin Ylva Johansson und US-Schauspieler Ashton Kutcher. Letzterer hat eine Kinderschutzorganisation namens Thorn gegründet, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass eines ihrer Subunternehmen eine Software anbietet, die Missbrauchsmaterial erkennen soll. Zufällig bildete sich rund um die vermeintliche NGO ein Netz aus Lobbyorganisationen, deren Ursprünge sich in die USA zurückverfolgen lassen und deren einziger Zweck es war, in Brüssel für guten Wind für die Überwachungspläne zu sorgen.

Diese auffällige Häufung an Zufällen war schließlich auch dem EU-Parlament zu viel, später meldeten die EU-Mitgliedsstaaten massive Bedenken an. Johansson reagierte und gab daraufhin eine Werbekampagne für die Messengerüberwachung in Auftrag. Diese wurde ausgerechnet auf X, vormals Twitter, geschaltet. Eine Plattform, gegen die von der EU-Kommission selbst ermittelt wird. Noch dazu wurde die Werbung mit eigentlich verbotenem Microtargeting an die Nutzerinnen und Nutzer nach deren politischer Einstellung ausgespielt.

Das Ende vom skandalträchtigen Lied: Es hagelte Beschwerden gegen die EU-Kommission und X bei Datenschutzbehörden, Rücktrittsaufforderungen an Johansson und das eigentlich Ziel, die Chatkontrolle, ist ohnehin gescheitert. Die Kommissarin gibt immer noch nicht auf: Die freiwillige Chatkontrolle soll immer noch möglich bleiben. Das Thema bleibt uns also auch 2024 erhalten. (pez, 28.12.2023)