ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner kritisiert im Gastkommentar, dass immer wieder nach der Gesamtschule gerufen werde. Ein bildungspolitisches Allheilmittel sei diese aber nicht. Lesen Sie dazu auch die Gastkommentare von Karl Heinz Gruber, Barbara Herzog-Punzenberger und Petra Vorderwinkler.

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Wohin geht es nach der Volksschule? Über Österreichs Schulsystem wird seit langem heftig gestritten.
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Vor genau 50 Jahren erschien das Buch "Ausleseschule oder Gesamtschule?" des Innsbrucker Erziehungswissenschafters Peter Seidl." Mit diesem Satz hebt Bildungsexperte Karl Heinz Gruber seinen Gastkommentar "Die Unfähigkeit zu lernen" an, worin er das von ihm seit Erscheinen des genannten Buches – seit 50 Jahren! – monoton vorgetragene Loblied auf die Gesamtschule anstimmt. Und wie immer paart er es mit der Klage, bildungspolitische Entscheidungsträger nähmen "die schädliche Wirkung der frühen Auslese" nicht zur Kenntnis.

Nüchtern klare Position

Zwar gibt Gruber zu, dass es seither zum Verfall des Gesamtschulkonzepts in Ländern gekommen sei, die sich vor Jahrzehnten dieser Idee verschrieben hatten, aber für ihn, den unerschütterlich Gläubigen, sei "das Gespenst des europaweiten Neoliberalismus mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber Solidarität und Chancengleichheit" dafür verantwortlich. Dass man in diesen Ländern schlechte Erfahrungen mit der Gesamtschule erlitten hatte, will er nie und nimmer eingestehen. So gesehen erübrigt sich jedes weitere Wort. Vielmehr ist die nüchtern klare Position hoch zu schätzen, die der Bildungsexperte Stefan Hopmann einnimmt, wenn er darauf verweist, "dass es weder empirische Beweise für die Überlegenheit der Gesamtschule oder eines gegliederten Schulsystems" gebe. Bei der Pisa-Studie haben, laut Hopmann, Gesamtschulsysteme sowohl bessere als auch schwächere Ergebnisse erzielt als gegliederte Systeme.

Gut verankert

Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist von nachrangiger Bedeutung, auf welches Schulsystem man sich einigt. Wesentlich ist, dass man es vernünftig gestaltet: Es soll allen Schülerinnen und Schülern ermöglichen, das Fundament einer in sich gefestigten und in der Gesellschaft gut verankerten Persönlichkeit zu legen. Und es soll sie dazu befähigen, eine ihren Talenten und Interessen entsprechende berufliche Laufbahn einzuschlagen.

Inwieweit dies derzeit gelingt, mag beargwöhnt werden. Ein von mir hochgeschätzter akademischer Kollege mit viel Erfahrung im Forschungs- und Lehrbetrieb schrieb mir kürzlich: "Wie du weißt, bin ich hinsichtlich des Bildungssystems langsam am Verzweifeln: Wenn bis zu einem Drittel der Fünfzehnjährigen nach neun Schuljahren nicht richtig lesen und schreiben, geschweige denn rechnen kann, dann läuft etwas falsch. Und zwar in der 'Gesamtschule' namens Volksschule. Das ist auch der Grund, warum ich eine Gesamtschule in späteren Schulstufen per se für keine Lösung halte. Ein Schlaglicht auf die Einstellung, mit der unsere Absolventinnen und Absolventen aus der Schule hervorgehen, werfen die Proteste gegen die mündliche Matura: Statt dass man sich über einen weiteren Schritt in Richtung Normalität freut, fühlt man sich 'überfordert'. Und diese Haltung zieht sich für viele fort in das weitere Bildungs- und Berufsleben. Nach wie vor fehlt mir aber die Fantasie, wo man hier den Hebel ansetzen könnte."

Ein Punkt ist für das Ansetzen des Hebels völlig ungeeignet: der seit fünfzig Jahren eingerostete Standpunkt von Gruber. Andere, wirklich zielführende Ideen für ein gutes Gelingen von Schule sind gefragt. Über einige davon läuft bereits die bildungspolitische Diskussion. (Rudolf Taschner, 3.2.2022)