Von welchen Medienmenschen wird man 2024 mehr hören? Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) könnte noch einmal von sich hören lassen und mit einem überraschenden Beitrag zur österreichischen Medienentwicklung in die Nationalratswahl im Herbst gehen: Es hängt wesentlich von der Medienministerin und der ÖVP ab, ob noch diese Regierung die verfassungswidrig große Regierungsnähe der ORF-Gremien unter den Verfassungsbogen zurückbringt – und wie. Weihnachten ist eine Zeit der Wünsche.

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP)
Medienministerin Susanne Raab könnte sich nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in der ÖVP für regierungsunabhängigere Gremien einsetzen.
Imago Michael Indra

Verfassungswidriger Regierungseinfluss

Der Verfassungsgerichtshof hat im Oktober erkannt: Das wichtigste ORF-Gremium Stiftungsrat und auch der Publikumsrat des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind verfassungswidrig besetzt. Zu wenig Pluralität und zu wenige Vorgaben und Kriterien dafür im Gesetz, zu viel Einfluss des Bundeskanzlers – oder einer damit betrauten Medienministerin – auf die Besetzung des Publikumsrats. Zu viel Gewicht der von der Bundesregierung entsandten Stiftungsräte gegenüber jenen des Publikumsrats.

Das Höchstgericht hat die einschlägigen Passagen des ORF-Gesetzes aufgehoben und bis 31. März 2025 eine Frist zur Reparatur gesetzt. ORF-Anchor Armin Wolf, der mit einem Blogeintrag das Land Burgenland motiviert haben dürfte, Stiftungsrat und Publikumsrat vom Verfassungsgerichtshof prüfen zu lassen, sah in der Entscheidung "eine historische Chance", die ORF-Gremien unabhängig aufzustellen.

Unmittelbar nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs appellierte die Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, an den Koalitionspartner, "unverzüglich die Arbeit an einer Gremienreform im ORF aufzunehmen". Sie erinnerte: "Die Grünen fordern seit Jahren eine Gremienreform, in der Vergangenheit gab es jedoch in keiner Regierung eine Mehrheit für dieses Vorhaben."

Die ÖVP verdankt dem aktuellen Besetzungsmodus für Publikums- und Stiftungsrat die alleinige Mehrheit im ORF-Stiftungsrat, die bei der Bestellung der ORF-Führung (zuletzt 2021) und allen anderen unternehmerischen Fragen ausreicht. Nur für die Abberufung des ORF-Generaldirektors oder einer -Generaldirektorin braucht es eine Zweidrittelmehrheit.

Bei der jüngsten, erst Mitte 2023 beschlossenen Novelle zum ORF-Gesetz – das ab 2024 den neuen ORF-Beitrag von praktisch allen und mehr digitale Möglichkeiten für den ORF etwa im Streaming bringt – war die ÖVP nicht bereit, über Änderungen in der ORF-Gremienstruktur zu verhandeln. Erst nach dem Beschluss des Gesetzes kam das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs.

Türkise Macht im ORF-Stiftungsrat konserviert

Erste Gespräche zwischen ÖVP und Grünen über das Thema ORF-Gremien und Gesetzesreparatur sollen stattgefunden haben, bisher ohne konkretes Ergebnis. Die ÖVP und ihre Medienministerin hätten jetzt die Chance, die ORF-Gremien unabhängiger von der Regierung, womöglich von politischen Interessen zu machen.

Derzeit sieht es nicht so aus, als würde sich nach der kommenden Nationalratswahl eine so große Mehrheit für die ÖVP im ORF-Stiftungsrat ausgehen.

Wobei: Die Verfassungsrichter haben die Dominanz der Volkspartei in den ORF-Gremien mit ihrem Erkenntnis womöglich noch ein Stück verlängert. Die Höchstrichter haben auch eine andere Regelung des ORF-Gesetzes aufgehoben. Bisher können neue Bundesregierungen, die Parteien in einem nach Wahlen neu zusammengesetzten Nationalrat oder neue Landesregierungen ihre Mandate im ORF-Stiftungsrat neu und vor Ablauf der Funktionsperiode umbesetzen. Diese Möglichkeit der vorzeitigen Abberufung hat der Verfassungsgerichtshof ebenfalls moniert – sie erhöhe die politische Abhängigkeit von den entsendenden Gremien.

Damit könnten die Machtverhältnisse im Stiftungsrat zugunsten der ÖVP ein Stück über die Nationalratswahl hinaus konserviert werden. Der aktuelle Stiftungsrat ist regulär für vier Jahre bestellt, bis Mai 2026.

Im August 2026 bestellt – nach heutigen Regelungen des ORF-Gesetzes – ein neu beschickter ORF-Stiftungsrat dann die nächste ORF-Führung ab 2027.

Tiefergehender Umbau des ORF

Die ÖVP wirkt in der Sache noch nicht entschieden. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker nahm die Entscheidung zum Anlass, gleich über eine grundlegendere Reform des ORF und seines Auftrags nachzudenken. Das, heißt es in der ÖVP, würde gegen eine kurzfristige Reparatur der ORF-Gremien sprechen. Mit einer solchen tiefergehenden Gesetzesänderung könnte etwa auch die Amtszeit des Stiftungs- und des Publikumsrats verkürzt werden – und, wie schon zweimal in der Vergangenheit geschehen, auch die Amtszeit der ORF-Führung.

Es gebe durchaus noch Chancen auf eine verfassungskonforme Reparatur der Gremien vor der Wahl, sagen andere in der ÖVP. Die Gespräche in der Regierung sollen im Jänner weitergehen.

Reparaturanleitung

Eine einfache Reparatur der vom Höchstgericht könnte - sehr grob - etwa so aussehen: Drei Mandate mehr für den ORF-Publikumsrat im Stiftungsrat und damit gleich viele wie die Bundesregierung. Kriterien für die Besetzung von Regierungsmandaten im Stiftungsrat. Auswahl von Publikumsräten nach gesetzlichen Kriterien und womöglich nicht mehr mehrheitlich durch Kanzlerin oder Medienminister. Und kein Tausch von Stiftungsräten, wenn die Entsender neu besetzt sind. Weiter gehende Maßnahmen für eine unabhängigere Besetzung über die Vorgaben der Höchstrichter hinaus sind natürlich erlaubt und möglich, wenn eine Regierungsmehrheit das will.

In Raabs Ministerium hieß es auf STANDARD-Anfrage zum Thema vor Weihnachten: "Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu Stiftungs- und Publikumsrat wurde Anfang Oktober 2023 getroffen und dabei hat der Verfassungsgerichtshof das bestehende System in den Grundzügen bestätigt. Vor allem wurde die Bestellung von ORF-Organen durch demokratisch legitimierte staatliche Organe, die bestehenden Regelungen für die Gewährleistung der persönlichen Unabhängigkeit der Mitglieder des Stiftungsrates oder auch die Beurteilung über die Repräsentanz von Einrichtungen durch das zuständige oberste Organ als zulässig erklärt. Laut Verfassungsgerichtshof besteht jedoch im Einzelnen Regelungsbedarf und dafür ist bis Ende März 2025 Zeit. Wir sind deshalb in engem Austausch mit Expertinnen und Experten der Fachabteilung, die derzeit den Regelungsbedarf konkret ausloten." (Harald Fidler, 23.12.2023)