Sie mussten noch bei Dunkelheit mit ihrer "Santa Isabel" ablegen, um vor allen anderen draußen auf See zu sein, wo um diese Jahreszeit die meisten Goldbrassen, Seeteufel und Seehechte anzutreffen sind. Da kann man schon einmal etwas vergessen. Sogar das Wichtigste: den Reis.

Hafenkulisse mit Netz im Vordergrund
Der Hafen von Gandia südlich der spanischen Stadt Velencia.
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Fast immer gab es bei den Fischern aus Gandia südlich von Valencia an Bord Paella, das spanische Nationalgericht mit Reis und Meeresfrüchten. Um die Meerestiere brauchten sich die Männer der "Santa Isabel" keine Sorgen zu machen, die zogen sie immer frisch aus dem Wasser. Aber ohne Reis war nicht viel zu wollen. Außer sie würden einen Frevel begehen und improvisieren: mit kleinen dünnen Nudeln. Die gab es noch im Vorratsschrank der Kombüse. Es müsste doch gelingen, sie so ähnlich zuzubereiten wie den Reis: mit Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Petersilie, Salz sowie Paprikapulver und mit Fischsud köcheln lassen, dann die angebratenen Meerestiere zugeben. Und ein paar Safranfäden.

Nudel-Paella
Früher Verpflegung der Besatzung auf Fischerbooten, heute ein Traditionsgericht: die "Nudel-Paella" Fideuà de Gandia
Helge Sobik

Die Neuerfindung hat so gut geschmeckt, dass sich das Rezept herumsprach, erst in Fischerfamilien, dann in ganz Gandia. Und dass es bald auch auf den Speisekarten der ersten Restaurants auftauchte. Sogar einen Namen bekam das neue Gericht: Fideuà. Und weil es von heimischen Fischern erfunden wurde, darf in der offiziellen Vollversion des Namens der Ort nicht fehlen: Fideuà de Gandia.

Nur Spötter sprechen von der Nudel-Paella. Obwohl das den Tatsachen entspricht. Seit einem halben Jahrhundert wird die Spezialität inzwischen mit einem Festival gewürdigt – und sogar auf der Hochzeitstafel der spanischen Königsfamilie landete sie einst.

Zwei Männer halten eine Pfanne mit Nudel-Paella
Lieblingsgericht mit Ausstrahlung bis ins spanische Königshaus: zwei Fischer aus Gandia an der Costa Blanca mit ihrer Fideuà
Helge Sobik

Auch so etwas wie den offiziellen Kulturrat der Fideuà gibt es, um die Einhaltung der Traditionen zu wahren. Avelino Alfaro Serrano ist seit vielen Jahren dessen Präsident: "Nur die Echte ist die Echte. Und die gibt es nur in Gandia." Er sagt es ohne Verbissenheit, viel eher aus Überzeugung und aus Stolz. Denn die Menschen kommen von weit her nach Gandia, um die echte Fideuà zu kosten und in vielen Gaststätten ist sie der Bestseller. "Anderswo", sagt Avelino Serrano, "ist sie eher touristisch. Hier aber kommt die Fideuà aus der Mitte des Alltags, das schmeckt man." (Helge Sobik, 29.1.2024)